Kontaktaufnahme

Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Minderheiten in der Altenpflege

Regenbogenflagge

In zwei Pflegeeinrichtungen setzt der Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe e.V. sein Konzept der Regenbogenpflege um und widmet sich damit den Bedürfnissen von Angehörigen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten.

Aktuellen Studien zufolge lassen sich drei Aspekte hervorheben, die für lesbische, schwule und transidente Menschen besonders bedeutend sind. Zuvörderst wollen sie in ihren Identitäten wahrgenommen werden. Damit einher geht der Wunsch, keine Diskriminierungen fürchten zu müssen und schließlich ist es ihnen – im Falle eines Pflegebedarfs wichtig, dass Pflegende geschult mit ihren Lebensweisen und Geschichten umgehen können.

Lebenserfahrungen, die beispielsweise auf der bis in die 1990er Jahre hinein bestehenden Kriminalisierung homosexueller Handlungsweisen fußen, die erlebte medizinische Pathologisierung sexueller und geschlechtlicher Identitäten sowie die gesellschaftliche Ächtung führten wohl bei den meisten Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- und Intersexuellen (LSBTI) zu versteckten oder teilversteckten Lebensweisen. Dies geht oft mit einem ausgeprägten Misstrauen gegenüber staatlichen und anderen öffentlichen Institutionen einher. Pflegeeinrichtungen betrifft dies gleichermaßen. LSBTI befürchten daher umso mehr in der Abhängigkeitssituation von einer Pflegeeinrichtung aus Angst vor Repressalien den Verlust der gewohnten Lebensweise sowie des Kontaktes zu Gleichgesinnten.

Der Frankfurter Verband für Alten- und Behindertenhilfe e.V. nahm sich dieser Befürchtungen an und verfolgt seit 2014 die Idee der Regenbogenpflege. Leitmotiv ist dabei, den Bedürfnissen von LSBTI in der täglichen Praxis der Pflege zu begegnen, damit Angehörige sexueller und geschlechtlicher Minderheiten vor Diskriminierungen geschützt und in ihrer Identität gestärkt werden.

Impulse von außen nutzen und Bedarfe kennenlernen

Vorbild der Regenbogenpflege des Frankfurter Verbands ist die Zertifizierung einiger niederländischer Pflegeeinrichtungen mit dem Roze Loper (Rosa Schlüssel), welcher für Respekt, Toleranz und Offenheit dieser Einrichtungen gegenüber LSBTI steht. Der praktischen Umsetzung in den beiden Einrichtungen des Frankfurter Verbands ging ein mehrjähriger Prozess voraus, in dessen Verlauf zunächst entsprechende Pflegeeinrichtungen in den Niederlanden besucht wurden, um an deren Erfahrungswissen zu partizipieren. Es folgten viele Gespräche mit Lesben und Schwulen in Frankfurt a. M., die zur Initiativgruppe Regenbogenpflege in den Einrichtungen des Trägers wurden und die dort bis heute ehrenamtlich aktiv sind.

Damit die Regenbogenpflege nachhaltig in die Konzepte des Trägers einfließen konnte, wurde ein top-down-Prozess gelebter Werte von der Leitungsebene her initiiert und in alle Ebenen der Unternehmensstruktur getragen. Begriffe wie die „sexuelle Identität“ und die „Einzigartigkeit jedes Menschen“ flossen in das Leitbild ein, um auch die sexuelle und geschlechtliche Identität als Persönlichkeits-aspekt neben anderen besonders zu achten. Ein neues Diversitätskonzept und eine Selbstverpflichtung tragen dazu bei, Diskriminierungen aktiv zu vermeiden. Diversität wird im Unternehmen ohnehin als Bereicherung verstanden und gefördert auch bei den Mitarbeiter*innen.

Praktische Abläufe anpassen

In der Praxis zeigt sich der Ansatz beispielsweise in abgeänderten Aufnahmebögen. In diesen wurde u. a. der Begriff „Ehepartner“ durch „Lebenspartner*in“ ersetzt. Unter Familienstand ist neben den bekannten Optionen nun „verpartnert“ möglich. Zudem wird bei der Biographieerhebung nach Diskriminierungserfahrungen gefragt, nicht aber nach der sexuellen Orientierung. Dies mitzuteilen, entscheidet jede*r Bewohner*in selbst.

Auch wenn die Akzeptanz von LSBTI-Senior*innen von allen Beteiligten gewünscht ist, kann inakzeptables, diskriminierendes Verhalten nicht ausgeschlossen werden. Bewohner*innen werden daher ermutigt, sich über derartiges Verhalten zu beschweren. Es wurden unabhängige ehrenamtliche Toleranzbeauftrage eingeführt, die auf Wunsch von Beschwerdeführenden auf die Wohnbereichs- oder Hausleitung zugehen.

Bewusstsein bei allen Beteiligten schaffen

Die Lebensweisen und Erfahrungen von LSBTI-Senior*innen sind nicht allen Mitarbeiter*innen bekannt. Pflegenden wird in ihren Ausbildungen nur sehr marginales Wissen über sexuelle und geschlechtliche Identitäten vermittelt. Daher sind entsprechende Weiterbildungen unerlässlich. Im Sinne eines umfassenden Diversity-Begriffs wurden nicht nur Pflegende, sondern alle Mitarbeiter*innen der Einrichtungen geschult. Neben zentralen Begriffen wie sexuelle Orientierung und Identität, schwul, lesbisch, transgender, intersexuell etc. und deren Bedeutung (auch im historischen Kontext) wird außerdem die Entstehung von Identität im Spannungsverhältnis zwischen Fremd- und Selbstbestimmung erläutert. Die besondere Bedeutung von Gruppenzugehörigkeiten und deren Verlust kommen ebenfalls zur Sprache. Eigene Erfahrungen weiten den Blick auf die Dimensionen von Diversität und Diskriminierung. Nur wenn Mitarbeiter*innen Wissen über Diskriminierung und Ausgrenzung haben, können sie dieses erkennen und handeln. Es werden Handlungsleitlinien besprochen und Unterstützung angeboten.

Die Interessen und Bedürfnisse von Angehörigen sexueller und geschlechtlicher Minderheiten finden darüber hinaus Eingang ins Freizeit- und Kulturprogramm der Einrichtungen. So finden regelmäßig Veranstaltungen zu LSBTI-Themen wie Vorträge, Lesungen oder Filmvorführungen statt. Höhepunkte sind die einmal im Jahr stattfindenden Ladies‘ und Men‘s Nights.

Diversität sichtbar machen

Der offene Ansatz wird an verschiedenen Stellen deutlich nach außen gezeigt. In beiden Einrichtungen sind Regenbogenaufkleber und das Regenbogenschlüssel-Zertifikat am Eingang gut erkennbar angebracht. Beim Sommerfest des AIDS-Hilfe Frankfurt e.V. ist der Frankfurter Verband regelmäßig ebenso präsent wie beim Christopher Street Day. Dort ist er mit einem Doppeldeckerbus dabei, der sowohl von den Bewohner*innen als auch von älteren LSBTI aus Frankfurt gern genutzt wird, um an der Parade teilzunehmen. Regelmäßig wird in Szenezeitungen und anderen Medien auf die Öffnung der beiden Häuser hingewiesen, um die Willkommenskultur des Trägers zu zeigen. Nicht zuletzt wirkt sich dieser Ansatz auch positiv auf die Mitarbeiter*innengewinnung aus.

Erfahren Sie mehr über die Initiative Regenbogenpflege des Frankfurter Verbands für Alten- und Behindertenhilfe e.V. unter: www.regenbogenpflege.de


Autoren: Peter Gehweiler, Dr. Markus Schupp

Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 2.2019 unseres Verbandsmagazins anspiel.