Wie erreichen Angebote Sozialer Arbeit geflüchtete Menschen? Der Zugang zur Zielgruppe ist nicht immer leicht. Dem Frauen- und Mädchengesundheitszentrum MEDEA aus Dresden ist das gelungen und es bietet nun Gesundheitsförderung für asylsuchende Frauen an.
Neben einem der Eingänge des Plattenbaus im Dresdner Westen weist ein fast unscheinbares Schild auf die Beratungsstelle des MEDEA e.V. hin. In den letzten Monaten haben die drei Mitarbeiterinnen aus einer kleinen Dreiraumwohnung einen Ort der Begegnung und Beratung gemacht. Ihre Zielgruppe sind hier insbesondere asylsuchende Mädchen und Frauen, die im umliegenden Wohngebiet leben.
„Wir haben langjährige Erfahrungen in der geschlechterspezifischen Sozialarbeit. Dass der Bedarf an Beratung zur Gesundheit sowie bei psychischen Problemen bei geflüchteten Frauen vorhanden ist, war uns schnell klar. Zu den oft traumatisierenden Fluchterfahrungen kommt der Verlust des persönlichen Netzwerks aus Familie und Freunden, das eine stützende Funktion ausüben könnte. Wir standen vor der Frage: Wie erreichen wir die Zielgruppe?“, berichtet die im Projekt mitarbeitende Psychologin Anke Müller-Gupte. Die Regelangebote sozialer Arbeit waren den geflüchteten Frauen nicht bekannt. Der Zugang zu Gemeinschaftsunterkünften sowie der dezentralen Unterbringung war hingegen für die MEDEA-Mitarbeiterinnen nur bedingt möglich.
Flüchtlingssozialarbeit als Partner mit einbinden
Ein spezielles örtliches Angebot zu eröffnen würde alleine nicht funktionieren, darin war sich das dreiköpfige Team aus Psychologin, Sozialarbeiterin und Hebamme schnell einig. Die aufsuchende Arbeit stand daher am Anfang der Bemühungen. Hierbei stützten sich die Mitarbeiterinnen auf ihre Kontakte zur Flüchtlingssozialarbeit. Die dortigen Sozialarbeiter*innen erfüllten somit eine Brückenfunktion, die einerseits half, Berührungsängste zu nehmen und andererseits ein gezielteres Zugehen auf Menschen mit besonderen Hilfebedarfen ermöglichte. Anke Müller-Gupte erklärt: „Seit Beginn an geht es uns darum, eine gemeinsame Ebene mit den Frauen zu finden. Wir versuchten deshalb klar zu vermitteln, dass die Bedarfe der Frauen im Mittelpunkt unseres Handelns stehen.“
Doch nicht nur für die Asylsuchenden war der Prozess neu und mit unbekannten Aspekten besetzt. Obwohl sich die Mitarbeiterinnen auf ihre Qualifikationen und breites Erfahrungswissen stützen konnten, bestand eine gewisse Unsicherheit im Team, wie die Hilfe für die neue Zielgruppe erfolgreich gelingen kann. Der offene Dialog über die eigene Unsicherheit, der Austausch zu verschiedenen Vorgehensweisen sowie der Kontakt zu erfahrenen Trägern innerhalb und außerhalb Sachsens boten hierbei eine Stütze.
Angebot gemeinsam mit der Zielgruppe entwickeln
Die Psychologin hebt einen Punkt besonders hervor: „Wir haben das Angebot gemeinsam mit den Frauen entwickelt. Dieses Vorgehen auf Augenhöhe gab uns die nötige Sicherheit und bei den Frauen wuchs das notwendige Vertrauen in unser Angebot. Entscheidend waren dabei Wertschätzung und die Bereitschaft, dem gesamten Prozess die notwendige Zeit einzuräumen. Hinsichtlich der eigenen Gelassenheit und Flexibilität haben wir viel dazugelernt. Erfahrungen, die wir den Kolleginnen in anderen Angeboten ebenfalls zurückspiegeln konnten.“
Zudem ermöglichte der Kontakt zum neuen Personenkreis nicht nur den Mitarbeiterinnen, die in direktem Kontakt mit den asylsuchenden Frauen standen, eine interkulturelle Öffnung der eigenen Sichtweisen. Deshalb organisierte MEDEA auf dem jährlichen Bundesverbandstreffen der Frauengesundheitszentren einen Austausch zwischen asylsuchenden Frauen und Kolleginnen aus ganz Deutschland. Im Gespräch gab es viele Aha-Effekte, die ein besseres Verständnis für die Lebenssituation der Geflüchteten ermöglichten, aber auch Anstöße für die Arbeit jener Kolleginnen boten, die mit deutschen Frauen und Mädchen arbeiten.
Beschäftigte und Angebotsumfeld mitnehmen
Einen weiteren Lerneffekt brachte die bisher ungekannte Notwendigkeit, das eigene Angebot im direkten Umfeld immer wieder zu kommunizieren. Als sich MEDEA dazu entschloss, die aufsuchende Arbeit mit einer Beratungsstelle zu ergänzen, sahen sich die Mitarbeiterinnen verschiedensten Hürden gegenüber. So stellte sich die Suche nach einer Immobilie schwieriger als gedacht dar. Der angespannte Dresdner Immobilienmarkt erschwerte die Suche außerdem. Die Freude war umso größer, als schließlich passende Räume angemietet werden konnten.
Als weitere Aufgabe stand die Skepsis der Anwohner*innen im Raum. Deshalb sorgten die Mitarbeiterinnen für Transparenz. Sie luden die Menschen des Stadtteils ein, um die neu eingerichtete Beratungsstelle in Augenschein zu nehmen. Insbesondere die Hausbewohner*innen waren interessiert und schauten vorbei. Die Bandbreite der Äußerungen reichte von verhaltenem Interesse bis hin zu unmissverständlicher Ablehnung. Der Umstand, dass sich das Angebot ausschließlich an Frauen richtet, nahm etwas Druck aus dem Kessel. „Es gibt viele Menschen hier im Stadtteil, die sich für Geflüchtete engagieren. Dennoch hatten wir nicht erwartet, mit Freudenrufen begrüßt zu werden“, erinnert sich die Sozialarbeiterin Gabriela Nickl und erzählt weiter: „Dass wir vereinzelt jedoch auf derartige Ablehnung stießen, hat uns dann doch überrascht. Nun haben sich die meisten Kritiker beruhigt und ich denke, wir sind von Ablehnung zumindest zu einer gewissen Akzeptanz gelangt. Wir suchen kontinuierlich das Gespräch, um die Menschen mitzunehmen und eventuellen Befürchtungen oder Problemen rechtzeitig entgegentreten zu können.“
Die Beratungsstelle für geflüchtete Mädchen und Frauen scheint sie sich zunehmend zu etablieren. Begegnung, individuelle Beratung und regelmäßige Angebote zu Gesundheitsthemen gehen mittlerweile Hand in Hand. Jede Nutzerin weiß inzwischen, dass das unscheinbare Schild am Eingang auf einen Ort hinweist, an dem Wertschätzung und Miteinander spürbar sind.
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Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 2.2017 unseres Verbandsmagazins anspiel.