Bei einem Projekt mit dem Namen ‚Bildungspatenschaften‘ scheint es auf der Hand zu liegen, wo und wie Bildung stattfindet, wer von wem gebildet wird. Schaut man jedoch genauer hin, entpuppt sich dies als zu kurz gesprungen. Die Patinnen und Paten erleben selbst einen persönlichen Bildungsprozess, der vielen zu Beginn gar nicht bewusst ist.
Im Projekt Bildungspatenschaften des Ausländerrates Dresden e.V. unterstützen seit 2008 ehrenamtliche Patinnen und Paten die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Das Erlernen der deutschen Sprache und das Ankommen in Deutschland spielen dabei ebenfalls eine bedeutende Rolle. Die Sozialpädagogin Antje Großmann ist seit drei Jahren als Projektkoordinatorin für die Bildungspatenschaften tätig und erklärt: „Die Patenschaft soll mindestens sechs Monate dauern, damit zwischen den Beteiligten auch eine Vertrauensbasis entstehen kann. Denn insbesondere in der Anfangszeit müssen beide Seiten auch ihre Erwartungen an die Patenschaft ausloten. Beidseitig bestehen bestimmte Vorstellungen und durchaus auch Unsicherheiten, die es zu klären gilt. Außerdem ist es für die Kinder wichtig, Kontinuität in der Begleitung zu haben. Die durchschnittliche Zeit einer Patenschaft beträgt derzeit 18 Monate.“
Das Bildungsverständnis des Projektes hat sich in den letzten Jahren erweitert. Während es anfangs um die reine Hausaufgabenhilfe ging, kommen heute auch Aspekte der außerschulischen Bildung zum Tragen. Hierbei steht die soziale Integration im Vordergrund. „Das sind oft ganz grundlegende Dinge, die beim Ankommen hier in Dresden helfen. Bildung heißt also auch: Wie finde ich Zugang zu bestimmten Angeboten und wie kann ich diese nutzen? Auch zu wissen, wie bestimmte Dinge hier organisiert sind. Deshalb klären wir im Vorfeld einer Patenschaft mit den Familien der Patenkinder genau, wofür sie einen Paten wollen. So besteht eine Patenschaft immer aus formellem und informellem Lernen. Bildung, egal in welcher Form, ist somit auch ein Instrument der Integration“, ist Antje Großmann überzeugt.
Patinnen und Paten lernen eigene Fähigkeiten und Grenzen kennen
Das Projekt gelingt nur, wenn Patinnen und Paten bereit sind, sich zu engagieren. „In den letzten zwei Jahren verzeichnen wir ein größeres Interesse von Menschen, die sich in unser Projekt einbringen möchten. Es ist fast wie eine Gegenbewegung, die mit ihrem Engagement als Bildungspaten den fremdenfeindlichen Bestrebungen von Pegida etwas ganz Konkretes entgegensetzen möchte“, sagt die Sozialpädagogin sichtlich erfreut.
Wer sich bei den Projektkoordinatorinnen meldet, ist in der Regel hoch motiviert. Doch die Vorstellungen und Erwartungen an eine Patenschaft sind bisweilen sehr unterschiedlich. Deshalb führen die Projektkoordinatorinnen ein ausführliches Erstgespräch, bei dem sowohl die Tätigkeit mit den Patenkindern als auch das eigene Verständnis von der Patenschaft besprochen werden. Eine Schulung erhalten die Patinnen und Paten im Vorfeld der Patenschaft nicht. „Wir setzen stattdessen auf die direkte Kommunikation mit den Engagierten. Deshalb ist das Erstgespräch für uns, aber auch für die künftigen Ehrenamtlichen, so wichtig. Hier lässt sich viel klären. Nach dem ersten Monat machen wir einen Check und schauen, wie es läuft. Zudem ist ein Reflexionstreffen für alle Engagierten verpflichtend. Der Austausch zwischen verschiedenen Patinnen und Paten hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Selbst jene, die vorher meinen, ohne die Reflexion auskommen zu können, sind danach oft sehr froh über das Angebot. Als Projektkoordinatorinnen stehen wir auch außerhalb der Reflexionstreffen immer für Fragen und Hilfe zur Verfügung“, führt Antje Großmann aus.
Ein zentraler Aspekt der Reflexionstreffen ist die Verarbeitung neuer Eindrücke und Herausforderungen. Patinnen und Paten treffen oft auf völlig andere und ungekannte Lebenswelten, die bisweilen von Armut sowie von Unsicherheit geprägt sind. Zum Beispiel Familien, die im Status der Duldung leben und denen jederzeit Abschiebung droht. Sprachbarrieren sind ebenfalls nicht zu unterschätzen und machen die Kommunikation manchmal sehr aufwendig.
Ehrenamtliche gut begleiten
Die Projektkoordinatorin weist darauf hin: „Mit dieser neuen Situation müssen die Ehrenamtlichen erst einmal lernen, umzugehen. Manche sind überfordert. Andere wiederum engagieren sich so sehr, dass sie ihre eigenen Grenzen verkennen. Deshalb arbeiten wir mit den Teilnehmenden daran, ein Gleichgewicht zwischen Hilfeleistung auf Augenhöhe und dem bewussten Umgang mit der eigenen Leistungsfähigkeit zu erreichen. Nur so kann eine für beide Seiten erfolgreiche Patenschaft gelingen. Deswegen ist Begleitung eines unserer zentralen Instrumente im Umgang mit den Ehrenamtlichen. Diese lernen sich selbst noch einmal neu kennen und erfahren somit eine ganz besondere Form der Persönlichkeitsbildung.“
Für die Engagierten ist die Patenschaft somit eine nonformale Bildungserfahrung, die den eigenen Horizont erweitert. Zudem trainiert sie den bewussten Umgang mit den eigenen Stärken und Schwächen. Die Projektkoordinatorinnen unterstützen die Beteiligten deshalb jeweils nach dem individuellen Bedarf.
Das Projektteam sieht in der Begleitung der Ehrenamtlichen jedoch nicht nur eine wichtige Stütze für deren praktische Arbeit mit den Patenkindern. Gleichzeitig handelt es sich um ein Schlüsselelement in der Arbeit mit Ehrenamtlichen überhaupt. „Seit 2010 erhalten wir Fördergelder für die hauptamtliche Projektkoordination. Ab diesem Zeitpunkt konnten wir mehr als nur die reine Vermittlung leisten und die Begleitung sukzessive ausbauen. Im Ergebnis zeigen sich eine höhere Zufriedenheit der Engagierten und eine längere Engagementdauer. Damit einher geht ein nachhaltiger Bildungserfolg für Patinnen und Paten sowie ihre Patenkinder. Letztere haben zudem verbesserte Chancen auf erfolgreiche Integration und Teilhabe“, unterstreicht die Sozialpädagogin nachdrücklich.
Engagierte als Akteure im gesellschaftlichen Bildungsprozess
Diese Entwicklung ist nicht nur für das Projekt selbst und die daran beteiligten Menschen erfreulich. Aus Sicht der Organisatoren kann damit ein langfristiger gesellschaftlicher Bildungsprozess einhergehen. So sind die Patinnen und Paten wichtige Multiplikatoren und Brückenbauer zwischen den Kulturen. Sie können authentisch im Familien- und Freundeskreis über ihre Erlebnisse berichten. In den dort geführten Gesprächen sind sie gleichsam Botschafter für ein gelebtes Miteinander und können weit besser als jede Informationsbroschüre oder politische Akteure dabei helfen, Vorurteile abzubauen.
Mehr über die Bildungspatenschaften des Ausländerrates Dresden erfahren Sie auf: www.auslaenderrat-dresden.de
Der Artikel ist zuerst in der Ausgabe 1/2017 des Verbandsmagazins anspiel. erschienen.