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Bildung - Ein Begriff mit vielen Ebenen

Buntstifte liegen auf einem blauen Hintergrund. Aus den Spitzen der Stifte kommen der jeweiligen Farbe entsprechend Linien.

Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerd Stecklina

Die Perspektiven auf Bildung, Bildungsbeteiligung, Bildungsinstitutionen, Humankapital, Bildungsprozesse im Lebenslauf, Kinder als Ko-Konstrukteure, lebenslanges Lernen, Inklusion, Elternarbeit etc. sind sehr heterogen und äußerst vielschichtig, mithin mit ganz unterschiedlichen Blickrichtungen und grundverschiedenen Absichten verbunden. Ökonomische Perspektiven auf Bildung wie etwa in der Europa-2020-Strategie der Europäischen Union finden sich ebenso wie der pädagogische Blick auf Bildungsinstitutionen mit ihrem Ziel der Qualifikation und Ausbildung im Interesse einer möglichst optimalen Vorbereitung auf die eigenständige Lebensführung. Intensiv diskutiert wird dabei auch die Frage nach außerschulischen als auch non-formalen und informellen Lern- und Bildungsprozessen.

Bildung ist immer eine Frage der Perspektive

Bildung begegnet uns hierdurch in einer Vielzahl von Diskursen und Diskussionszusammenhängen. Zu nennen sind hierbei insbesondere (sozial-)politische, ökonomische, mediale, pädagogische, psychologische, neurobiologische und sozialwissenschaftliche Abhandlungen. Ab den 2000er Jahren sind diese vor allem bestimmt durch Diskussionen um die Pisa-/Iglu-Ergebnisse, das le-benslange Lernen, den Auf-, Aus- und Umbau von Bildungsinstitutionen (Kita-Bereich, Ganztagsangebote, G12, Bolognaprozess), den Umgang mit social media, den Zusammenhang von Bildung und sozialer Ungleichheit sowie um Lern- und Bildungsorte. Auch der Begriff der „Bildung 2.0“ macht immer wieder die Runde, wobei hier als Ziel gesehen wird, Menschen auf die Herausforderungen der modernen Gesellschaft vorzubereiten sowie Menschen durch Bildung zur eigenständigen Lebensführung unter den aktuellen und zukünftigen gesellschaftlichen Bedingungen zu befähigen. Damit ver-bunden ist auch die Position, dass Lern- und Bildungsprozesse nicht nur im schulischen Kontext stattfinden, sondern ebenso im Alltag und im alltäglichen Leben anzutreffen sind. So sieht beispielsweise der Erziehungswissenschaftler Thomas Rauschenbach ein zeitgemäßes Bil-dungsverständnis von vier zentralen Aspekten zugleich bestimmt: kognitive, emotionale, personale und praktische Bildung, welche zugleich auf den Erwerb von kulturellen, instrumentellen, sozialen und personalen Kompetenzen zielen.

Das Bildungsverständnis verändert sich

Ein solches Bildungsverständnis erfordert parallel dazu ein neues Miteinander von Familie sowie schulischen und außerschulischen Bildungsinstitutionen. Der traditionelle Bildungsauftrag von Schule bedarf hierdurch ebenso der Diskussion und Überprüfung auf seine Tragfähigkeit wie die Routinen kognitiv-schulischer Bildung und die fehlende Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems.

Die Autorengruppe Bildungsberichterstattung verweist in diesem Zusammenhang auf einen weiteren Aspekt des Erwerbs von Bildungsqualifikationen, nämlich darauf, dass ein erheblicher Anteil der Bevölkerung auch nach dem 25. Lebensjahr Bildungsabschlüsse er-wirbt. Bildung ist hierdurch nicht mehr ausschließlich ein Privileg von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Sie wird zu einem lebenslangen Prozess und zur Entwicklungsaufgabe über die Lebensalter hinweg. Folgerichtig fordert die Autorengruppe eine bessere Durchlässigkeit des Bildungswesens: Dazu gehören ein schnellerer Wechsel der Schulart, der Erwerb verschiedener Bildungsabschlüsse in einer Schulart und die Möglichkeit, allgemeinbildende Abschlüsse an beruflichen Schulen zu erwerben.

Das Bildungswesen durchlässiger gestalten

Auf kommunaler Ebene macht inzwischen das Wort von der »kommunalen Bildungsverantwortung in der Bildungslandschaft« die Runde. Sie erfordert von allen beteiligten Institutionen ein kooperatives Miteinander, die Akzeptanz unterschiedlicher Bildungsvorstellungen und das Zusammendenken von formalen Bildungsorten und informellen Lernwelten.

Zu den Institutionen, die als Teil der Bildungslandschaft in kommunaler Verantwortung erachtet werden, gehören Institutionen der frühen Förderung und Elementarbildung, Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, allgemeine Erwachsenenbildung als auch der Bereich der beruflichen Erwachsenenqualifikation. Die in kommunaler Bildungsverantwortung kooperierenden Bildungsinstitutionen sehen sich auch mit dem Auftrag konfrontiert, Fragen der sozialen Ausgrenzung und der Bildungsferne aufzugreifen. So soll erreicht werden, dass sich die beteiligten Institutionen intensiv mit der Diversität der zu Bildenden auseinandersetzen sowie die Lern- und Bildungsprozesse so gestalten, dass individuelle und gesellschaftliche Ausgrenzungen verhindert werden.

Bildung als Beziehungsarbeit

Im Kontext des Auf- und Ausbaus der institutionellen Kinderbetreuung rücken seit ca. 15 Jahren verstärkt der Bildungsauftrag von Kitas sowie die Übergangsgestaltung in die Grundschule in den Mittelpunkt fachlicher Diskussionen. Vielfach wird diese Entwicklung durch die Verabschiedung von Bildungs- und Erziehungsplänen auf Bundesländerebene begleitet. Die pädagogischen Fachkräfte in den Kitas sollen einerseits die fachlichen Standards der Bildungs- und Erziehungspläne umsetzen, andererseits die Lern- und Bildungsprozesse der Kinder professionell anregen, begleiten, individuell unterstützen sowie dokumentieren und reflektieren. Hierfür bedürfen sie einer akademischen Ausbildung. Die Voraussetzung erfolgreicher Bildungsarbeit von pädagogischen Fachkräften in Kitas ist allerdings der Aufbau einer sicheren Beziehung, betont u.a. der Erziehungswissenschaftler Elmar Dreischner. Diese ermögliche es den Kindern, die Erfahrung von Vertrauen, Verlässlichkeit und Anerkennung zu machen.

In sozialpädagogischen Zusammenhängen wird die Frage eines subjektorientierten Bildungsbegriffs diskutiert. Der versteht Kinder, Jugendliche und Erwachsene als Subjekte, die es bei der Entwicklung und Festigung ihres Selbstwertgefühls zu unterstützen gilt. Dies geschieht durch die Begleitung auf dem Weg zur selbstbestimmten Lebensführung. Die Subjekte initiieren ihren Bildungsprozess dabei selbst. Selbstbestimmung und die Rückbindung an soziale und sachliche Zusammenhänge stehen hierbei in einem engen Verhältnis.

Bildung ist Chance und Hürde zugleich

Die an dieser Stelle kurz skizzierten und verhandelten Zugänge zu Bildung, Lern- und Bildungsprozessen, institutionellen Bildungssettings usw. verweisen immer wieder auf die zwei Stoßrichtungen von Bildung. Einerseits der in politischen und pädagogischen Zusammenhängen wiederholt erhobene Anspruch, Bildung für alle zu gestalten. Statusunterschiede werden dadurch zwar nicht aufgehoben, aber es soll ermöglicht und erreicht werden, dass alle Menschen Wertschätzung und Anerkennung erfahren. Andererseits befördert Bildung durch Bildungszertifikate gesellschaftliche Differenzierung und soziale Ungleichheit. Die hier nur angedeutete Zweiteilung von Bildung dominiert seit langem die Bildungsdiskurse und wird die Bildungsdebatten weiterhin bestimmen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass Bildung als eines der entscheidenden Kriterien für sozialen Aufstieg gesehen wird.

Unser Gastautor: Prof. Dr. Gerd Stecklina lehrt Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften München. Informationen zu unserem Gastautor lesen Sie auf: www.sw.hm.edu


Der Artikel erschien zuerst in Ausgabe 1/2017 des Verbandsmagazins anspiel.