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Bundesteilhabegesetz verunsichert Akteure – Fachtagung in Dresden befasst sich mit möglichen Auswirkungen

Blick ins Publikum der Fachtagung des Paritätischen Sachsen und der Lebenshilfe Sachsen zum Bundesteilhabegesetz (BTHG) am 28. Juni 2016 in Dresden.

Seit Wochen sorgt der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) für Diskussionen. Selbst Befürworter der Gesetzesvorlage sehen noch Korrekturbedarf. Eine Fachtagung in Dresden stellte nun die Frage nach möglichen Auswirkungen und Handlungsanforderungen.

„Das Bundesteilhabegesetz kommt…?! – Auswirkungen des Reformprozesses auf Sachsen“ betitelten der Paritätische Sachsen und die Lebenshilfe Sachsen ihre Fachtagung am 28. Juni 2016 in Dresden. Schnell füllte sich an diesem Tag der Saal im Berufsförderungswerk Dresden und bereits vor Veranstaltungsbeginn entspannen sich Unterhaltungen, in denen die verschiedenen Perspektiven auf das Gesetzesvorhaben zur Sprache kamen. Trägervertreter(innen) und Verwaltungsmitarbeiter(innen) bezogen ebenso Position wie Menschen mit Behinderungen als unmittelbar Betroffene des Gesetzes. „Die rund 110 Teilnehmenden stellen eine gute Mischung dar und wir werden in den Arbeitsgruppen des zweiten Veranstaltungsteils verschiedene Sichtweise erhalten“, ist Roland Frickenhaus, Referent für Eingliederungshilfe des Paritätischen Sachsen, kurz vor Veranstaltungsbeginn überzeugt. Die Billigung des Gesetzentwurfes durch die Bundesregierung am selben Tag beflügelte die Gespräche zusätzlich.

Gesetzentwurf zwischen Sparzwang und Teilhabe

Bevor es jedoch in die Arbeitsgruppen ging, stellte Claudia Scheytt vom Paritätischen Gesamtverband den Reformprozess und seine wesentlichen Inhalte dar. Der Referentin gelang es in ihrem rund einstündigen Vortrag, sowohl die Komplexität des Vorhabens als auch  seine Auswirkungen weit über den Bereich der Behindertenhilfe hinaus deutlich zu machen. Als besonders schwierig kristallisierte sich erneut der Spagat zwischen angestrebter Kostensenkung einerseits und verbesserter Teilhabe andererseits heraus. Im Anschluss an den Vortrag stellten die Teilnehmenden Verständnisfragen und gaben erste Hinweise zu relevanten Knackpunkten. Zudem wurden die im Vortrag benannten Positionen des Paritätischen Gesamtverbandes zum BTHG hinterfragt und diskutiert.

Die abzusehenden Schwierigkeiten mit dem BTHG prägten auch die Gespräche in der anschließenden Mittagspause. In vielen Diskussionen schwangen die Unzufriedenheit mit dem Entwurf des BTHG sowie das Bedauern über die verpasste Chance für ein der UN- Behindertenrechtskonvention entsprechendes Teilhaberecht mit. In den Arbeitsgruppen des zweiten Veranstaltungsteils betrachteten die Beteiligten das BTHG vor allem aus Sicht der Leistungserbringer, der Menschen mit Behinderungen sowie das Spannungsfeld zwischen Eingliederungs- und Pflegeleistungen.

Leistungserbringer befürchten Abwärtsspirale in der Vergütung

Bei den Auswirkungen auf die Strukturen der Leistungserbringer wurde insbesondere die Vergütung im unteren Drittel im externen Vergleich (§ 124) kritisch gesehen. Es drohe eine Abwärtsspirale in der Vergütung, die das Gewinnen und Halten von Fachkräften zusätzlich erschweren würde, so die einhellige Meinung. Für Unmut sorgten außerdem die ungeklärten Fragen hinsichtlich der Trennung von Kosten zum Lebensunterhalt und der Fachleistungen sowie bezüglich der Zahlungen von Leistungsempfängern an Leistungserbringer.

Wenngleich die Zulassung niedrigschwelliger Arbeitsangebote durch andere Anbieter als positive Entwicklung gesehen wurde, stieß der eingeschränkte Zugang zu Arbeit und Beschäftigung für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf auf breite Ablehnung. In diesem Zusammenhang formulierten die Beteiligten die Forderung, dass die Kriterien für andere Anbieter gemeinsam mit den Leistungsanbietern zu formulieren seien.

Betroffene kritisieren undurchsichtiges Regelwerk und Teilhabeeinschränkungen

In der zweiten Arbeitsgruppe kam das BTHG aus Sicht der Menschen mit Behinderungen auf den Prüfstand. Das vorgesehene Budget für Arbeit, die bessere Regelung der Mobilität sowie die Stärkung der Werkstatträte wurden als Fortschritte gesehen. Ebenso die unabhängige Beratung. Die zeitliche Begrenzung auf fünf Jahre sei dabei jedoch nicht sinnvoll und die Beratung müsse durch gut ausgebildetes Personal erfolgen.

Mit seinen vielen Verweisen und Artikeln und zukünftigen Durchführungsverordnungen sei das Gesetz schwer verständlich, so die Kritiker. Um dieses Regelungsdickicht zu durchblicken, wurden barrierefreie Dokumente bzw. verständliche Ausführungen in leichter Sprache gewünscht.

Widerspruch gab es hinsichtlich der geplanten Zugangsregelung für die Eingliederungshilfe (§99), nach der in fünf von neun Lebensbereichen Unterstützungsbedarf nachgewiesen werden muss. Die aktuelle Unschärfe biete viel Streitpotenzial, da der leistungsberechtigte Personenkreis nur schwer zu bestimmen sei. Konkrete Erläuterungen müssten hier für Klarheit sorgen. Einstimmig abgelehnt wurde der Ausschluss blinder und sehbehinderter Menschen.

Das geplante „Zwangspoolen“ von Leistungen sowie das Aufweichen des Grundsatzes ‚ambulant vor stationär‘ bewerteten die Anwesenden als Rückschritt. diese Selbstbestimmungsrechte dürften nicht durch einen Mehrkostenvorbehalt und Zumutbarkeitsregelungen eingeschränkt werden.

Vorrang Pflege – Nachrang Eingliederungshilfe?!

Die Frage, wie sich Pflege und Eingliederungshilfe künftig gegenüber stehen werden, bewegte alle Arbeitsgruppen. Beide Professionen benötigen ein neues berufliches Selbstverständnis, das sich nicht über Abgrenzung, sondern als Ergänzung definiert. Leistungen dürften dabei nicht verschlechtert und das Selbstbestimmungsrecht nicht eingeschränkt werden, so die Diskutanten.

Diskussionen weiter in die Öffentlichkeit tragen

An vielen Stellen zeigte sich die Bandbreite der Auswirkungen des BTHG auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche. „Für uns ist es wichtig, dass wir die Kritikpunkte in die einzelnen Ebenen des weiteren Gesetzgebungsverfahrens hineintragen und anschließend auch die Ausführungsbestimmungen aktiv begleiten. Doch nicht nur Politik und Verwaltung werden dabei Adressaten sein. Die Öffentlichkeit ist ebenfalls zu informieren. Denn nahezu jeder wird direkt oder indirekt das BTHG zu spüren bekommen“, sagte Roland Frickenhaus nach der Fachtagung. Der Paritätische Sachsen behalte das Thema deshalb auf seiner Agenda weiterhin ganz oben.

Kontakt:
Roland Frickenhaus und Bärbel Herold
Referat Eingliederungshilfe
Tel: 0351/ 49 166 -35 oder -56
E-Mail: roland.frickenhaus(at)parisax.de oder baerbel.herold(at)parisax.de

 

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