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Das Bundesteilhabegesetz miteinander umsetzen

Mario Chmelarz, Referent Entgelte des Paritätischer Sachsen, lächelt freundlich.

Fast 25 Jahre war Mario Chmelarz in Sachen Entgelte in Pflege und Teilhabe unterwegs. Mit dem Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wirkte er maßgeblich an dessen Umsetzung in Sachsen mit. Nun geht er in den Ruhestand. Wir sprachen mit ihm über das BTHG und dessen Weg in die Praxis.

Herr Chmelarz, als Referent für Entgelte aber auch in ihrer Funktion als Vorsitzender der Kommission nach SGB IX haben Sie in den letzten Jahren die Umsetzung des 2017 beschlossenen BTHG in Sachsen begleitet. Hierbei sind noch einige Schritte zu gehen. Was wünschen Sie sich für den weiteren Verlauf?

Mario Chmelarz: Mit dem BTHG wird in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen ein Paradigmenwechsel vollzogen, der über Jahrzehnte gewachsene Strukturen herausfordert, neu zu denken. Das gilt für die Leistungserbringer und die Kostenträger gleichermaßen. Die letzten Jahre waren daher sehr spannend, aber auch anstrengend. Bei allen Hürden, die es noch zu nehmen gilt, darf nicht aus dem Blick geraten, worum es im Kern geht: Um die bessere Teilhabe und Selbstbestimmung der Menschen mit Behinderungen in unserem Land. Es geht um Inklusion.

Es wird sicher noch Zeit, Kraft, Energie, Vertrauen und Fantasie brauchen, bis alle Ziele erreicht werden. Ich denke, wir sollten zunächst Leuchtturmprojekte finden und bekannt machen, die Mut und Zuversicht geben, dass wir es schaffen können. Vor allem müssen wir alle Beteiligten sowie Politik und Verwaltung miteinbeziehen. Das BTHG ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Von außen betrachtet scheint der gesamte Prozess zu stocken. Wie bewerten Sie das?

Mario Chmelarz: Etwas Ernüchterung spüre ich schon, wenn über die Umsetzung des BTHG in Sachsen gesprochen wird. Natürlich wollten wir sieben Jahre nach Inkrafttreten der ersten Stufe schon viel weiter sein. Sich darüber zu ärgern, bringt uns jedoch nichts. Wir müssen den Blick nach vorne richten und uns auf gemeinsame Lösungen konzentrieren. Vor allem müssen wir eine wertschätzende Zusammenarbeit mit allen Akteuren pflegen, um die komplexen Neuregelungen in die Praxis umzusetzen zu können. Dabei dürfen Visionen und Träume aber nicht vom Tisch gewischt werden. Mut zum praktischen Handeln und Ausprobieren ist gefragt. Wir betreten schließlich Neuland. Wir müssen Praktiker*innen vor Ort immer mitnehmen und frühzeitig einbinden, denn Neuerungen müssen verstanden werden.

Wie steht es im Umsetzungsprozess um die sogenannten Expert*innen in eigener Sache?

Mario Chmelarz: Ein wichtiger Punkt, denn um eine selbstbestimmte Lebensführung und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderungen in allen Bereichen zu ermöglichen, sollten diese besser in die Prozesse der Entwicklung und Umsetzung miteinbezogen werden. Das Wunsch- und Wahlrecht von Menschen mit Behinderungen darf eben nicht nur auf dem Papier ernst genommen werden. Das muss beispielsweise bei der Rollenzuordnung von betreuter Person und betreuender Person sichtbar sein. Man muss nach Kräften auf Augenhöhe agieren. Hierbei sind noch viele vertrauensbildende Schritte zu gehen.

Sie gehen jetzt in den Ruhestand und haben die Verantwortung an verschiedenen Stellen bereits an ihre Nachfolger*innen übergeben. Was haben Sie diesen mitgegeben?

Mario Chmelarz: Ich denke, alle müssen eine eigene Herangehensweise finden. Es gibt keinen Königsweg hin zur Umsetzung des BTHG. Zumal es in der Natur des Prozesses liegt, dass es Reibungspunkte gibt. Die Kostenträger verfolgen die Kostenneutralität. Leistungserbringer suchen fachlich fundierte, aber auch praktisch umsetzbare Lösungen. Und die Menschen im Mittelpunkt der Umsetzung pochen zu Recht auf die ihnen zugesagte Selbstbestimmung.

Rückblickend kann ich feststellen, dass wir dort vorwärtsgekommen sind, wo alle Beteiligten mit Respekt und Achtung voreinander und vor den vorgetragenen Positionen agiert haben. Es war immer dann erfolgreich, wenn wir uns – trotz verschiedener Zuständigkeiten – des gemeinsamen Ziels besonnen haben. Termine, bei denen eine Seite ohne Verhandlungsspielraum angetreten ist, waren stets zum Scheitern verurteilt und erzeugten Frust bei allen Anwesenden.

Daher kann ich an alle an der Umsetzung des BTHG beteiligten Akteure nur appellieren, die Fragen, Probleme und Sorgen der anderen zu akzeptieren. Zuzuhören, sich Zeit zu nehmen und zu versuchen, sein jeweiliges Gegenüber zu verstehen. Denn der Weg ist noch lang und der Optimismus darf dabei nicht auf der Stecke bleiben. Das gelingt nur, wenn man sich gesehen fühlt und weiß, das Spielräume bestehen, die man gemeinsam gestalten kann.

Ganz praktisch betrachtet darf der Aufwuchs an Bürokratie nicht überhandnehmen. Damit würde selbst die beste Lösung torpediert. Das ist neben den inhaltlichen und fachlichen Fragen die größte Aufgabe.

Herr Chmelarz, herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen und ihren engagierten Einsatz der letzten Jahre. Wir wünschen Ihnen einen erfüllten Ruhestand.


Das Interview führte Thomas Neumann, Referent für Verbandskommunikation des Paritätischen Sachsen.

 

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