Kontaktaufnahme

Digitalisierung: Am Bildschirm beraten

Jemand sitzt vor einem Computer und unterhält sich mit einer Person auf dem Bildschirm.

Trotz immer besserer Technik waren Beratungen via Videokonferenz bei sozialen Organisationen eher ein seltenes Phänomen. Die coronabedingten Kontaktbeschränkungen ließen die Träger jedoch umdenken. So auch die Beratungsstellen des pro familia Landesverband  Sachsen e.V.

Was vor Jahren noch wie Science Fiction klang, ist im letzten halben Jahr nahezu selbstverständlich geworden: Sei es die Besprechung innerhalb des Kollegiums, die Konferenz mit bundesweitem oder gar internationalem Fachpublikum oder nur das private Gespräch – wir reden miteinander am Bildschirm. Entfernungen schmelzen und es ist beinahe so, als säße man gemeinsam in einem Raum.

Dass es dann aber doch nicht ganz so ist, wissen die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle der pro familia in Chemnitz sehr gut. „Der persönliche Kontakt und das direkte Miteinander sind insbesondere in Krisengesprächen wichtig. Neben dem gesprochenen Wort gibt uns die Körpersprache darüber Aufschluss, was in unserem Gegenüber tatsächlich vorgeht. Das hilft uns im Beratungsprozess“, erklärt Sozialpädagogin Juliane Löser, die seit sieben Jahren Menschen in verschiedenen Lebenslagen berät. Videotelefonate hatten sie und ihr Team im wahrsten Wortsinn lange nicht auf dem Schirm.

Durch die Einschränkungen zur Erweiterung

Mit den coronabedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Frühjahr 2020 waren jedoch persönliche Beratungsgespräche gar nicht oder nur bedingt möglich. Zunächst erfolgten die Gespräche telefonisch. Schnell zeigte sich indes, dass dies nicht der einzige Kanal bleiben konnte, da sich die Rahmenbedingungen für persönliche Gespräche absehbar nicht verbessern werden.

Diesen Handlungsbedarf erkannte auch der pro familia Bundesverband und bot Schulungen zur Video-Beratung an. Eine Kollegin der Chemnitzer Beratungsstelle nahm teil und gab ihre Erkenntnisse an das Team weiter. Wie bei allen Neuerungen gab es Skepsis und Begeisterung gleichermaßen. Die Berater*innen diskutierten die Vor- und Nachteile, äußerten offen ihre Befürchtungen und verständigten sich darüber, wie gute Video-Beratung aussehen muss.

Als Team die Möglichkeiten ausloten

Sozialarbeiterin Katrin Küchenmeister ist seit elf Jahren in Chemnitz für pro familia tätig. Sie berichtet: „Aus der Fortbildung brachte die Kollegin wichtige Anregungen mit. Trotzdem war es notwendig, sich im Team noch einmal darüber auszutauschen und sich dafür auch bewusst Zeit zu nehmen. Hier kam uns entgegen, dass über den Sommer wieder mehr persönliche Beratungsgespräche möglich waren und die Videoberatung eher die Ausnahme blieb. So konnten wir uns alle miteinander an das Thema herantasten. In den Fallbesprechungen und in den Teamsitzungen haben wir ganz konkret über unsere jeweiligen Erfahrungen mit der neuen Variante gesprochen. Das war gut, denn seit Herbst 2020 kommt diese Form der Beratung wieder stärker zum Einsatz.“

Eckpunkte für die Videoberatung

Zu diesem Zeitpunkt hatte das Team für sich bereits Eckpunkte erarbeitet, die für die Video-Beratung grundlegend sein sollten. Dazu gehört unter anderem, sich als Berater*in einen reizarmen Raum zu suchen. Das Team nutzt dafür die vor Ort vorhandenen Beratungsräume, was bei Klient*innen, die der Träger schon länger betreut, einen vertrauensbildenden Wiedererkennungseffekt erzeugt. Es hat sich gezeigt, dass sich die Videoberatung leichter installieren lässt, wenn es vorher Möglichkeiten zur persönlichen Begegnung gab. Das reduziert die Hemmschwelle seitens der Klient*innen.

Sprache steht stärker im Mittelpunkt

Sowohl die Sprache der Klient*innen als auch der Kommunikationsstil der Fachkräfte rückt bei der Videoberatung mehr in den Vordergrund. Juliane Löser erklärt: „Oft sieht man nur das Gesicht und vielleicht noch die Schulterpartie der Gesprächspartner*innen. Ob aber der Fuß nervös wippt oder die Hände verkrampft ineinander greifen, während jemand erzählt, bekommen wir so nicht unbedingt mit. Hier sind wir noch stärker als sonst gefordert, auf Intonation und Sprachbild zu achten. Aktives und dennoch behutsames Nachfragen erhält dabei einen noch größeren Stellenwert als ohnehin. Andersherum müssen wir bewusst etwas langsamer und besonders deutlich sprechen.“ In der Fallberatung kommen regelmäßig die jeweiligen Methoden zur Sprache. Das Team reflektiert gemeinsam, ob und wie etwas gelungen ist, und was künftig berücksichtigt werden muss. Das Videoformat an sich ist dabei auch immer ein Thema.

Technik vorher mit Klient*innen testen

Zur Vorbereitung der Videoberatung hat sich ein fester Ablauf etabliert. Neben dem inhaltlichen Teil gibt es jetzt auch einen Technik-Check. Unabhängig vom eigentlichen Gesprächstermin vereinbaren die Berater*innen mit den Klient*innen dazu einen Vorabtermin. Hier geht es ausschließlich um die technische Vorbereitung und es werden grundsätzliche Fragen geklärt: Ist die Internetverbindung ausreichend für eine gute Gesprächsqualität? Wie werden Kamera und Mikrofon optimal eingerichtet? Wie können die Klient*innen für ein möglichst ungestörtes und geschütztes Setting sorgen?

„Zuvor diesen separaten Termin durchzuführen, ist eine jener Erkenntnisse, die uns die Praxis der letzten Monate gelehrt hat. Nur wenn die technischen Dinge von vornhinein klar sind, kann man direkt in die Beratungssituation einsteigen und sich auf das Gespräch miteinander konzentrieren. Wenn man erst während des Gesprächs feststellt, dass die Verbindungsqualität ein ordentliches Gespräch nicht zulässt, schlägt sich das auf die Beratung nieder. Durch den vorgeschalteten Check kann man im Falle technischer Schwierigkeiten auf eine andere Form umschwenken, wie zum Beispiel eine Telefonberatung, die von uns wiederum eine andere Vorbereitung erfordert“, so Katrin Küchenmeister.

Videoberatung – einer von mehreren Kanälen

Die Videoberatung wird auch in Zukunft eine Option im Portfolio der Kommunikationswege von pro familia bleiben - selbst wenn die persönlichen Gespräche wieder vollumfänglich möglich sind. Diese sind aus Sicht der Fachkräfte generell das beste Mittel der Wahl. Selbst in der aktuellen Situation gibt es bei den Klient*innen eine spürbare Hemmschwelle, über Video miteinander zu reden. Viele entscheiden sich dann doch lieber für ein Telefonat, weshalb die Videoberatung auch derzeit nur einen Teil der Beratungsgespräche ausmacht. Doch mit Blick auf das Blended Councelling, bei dem verschiedene Kommunikationswege für die Beratung ineinandergreifen, war die Pandemiesituation für den Träger ein Schritt nach vorn.


Der Artikel erschien zuerst in der März-Ausgabe 2021 des Magazins anspiel. mit dem Schwerpunkt "Ab jetzt digital?!"