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„Fragt uns, was wir wollen!“ – Diskussion über die Zukunft der Flüchtlings- und Integrationspolitik

Spielfiguren verschiedener Farben stehen bunt vermischt auf einem weißen Untergrund. Sie symbolisieren Vielfalt, Miteinander und Integration.

Auf einer Konferenz des Paritätischen Gesamtverbandes diskutierten über 150 Teilnehmende über die Hürden und Chancen der deutschen Flüchtlings- und Integrationspolitik. Fazit: Mehr Dialog verbessert die Chancen für alle Beteiligten.

„Es gibt eine helle und eine dunkle Seite von Deutschland.“ Mit etwa diesen Worten leitete Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes, die Konferenz ‚Paritätische Perspektiven. Die Zukunft der Flüchtlings- und Integrationspolitik gestalten‘ in Berlin ein. Selbst wenn dies zunächst polarisierend scheint, hätte er das Spannungsfeld des Themas treffender nicht formulieren können. Darin waren sich die rund 150 Konferenzteilnehmenden aus den Paritätischen Landesverbänden sowie Organisationen der Migrations- und Flüchtlingsarbeit aus der gesamten Bundesrepublik weitgehend einig.

Doch was meint der Verbandsvorsitzende mit der dunklen und der hellen Seite von Deutschland? Im Jahr 2015 stand die Herausforderung, ca. 900.000 Geflüchtete in der Bundesrepublik aufzunehmen. Mitgefühl und Mitmenschlichkeit lösten eine Welle der Hilfsbereitschaft aus. ‚Refugees Welcome‘ war vielerorts der Ausdruck gelebter Willkommenskultur. Rosenbrock beschriebt wie nichtorganisierte Unterstützer, Verbände, Kirch- und Moscheegemeinden durch ihr Engagement zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitrugen.

Gleichzeitig konstatiert er, dass diesem Bild zunehmend ablehnende Haltungen gegenüber Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund entgegenstehen - sich sogar politisch eine Gegenbewegung manifestieren konnte. Die Europäische Union setzt zunehmend auf Abschottung. Asylanträge in Deutschland werden auf Tempo und wenig auf Qualität bearbeitet.

Rückschläge im Diskurs um Intergration

Die stellvertretende Bundesgeschäftsführerin des Bundesverbandes Netzwerke von Migrantenorganisationen e.V., Breschkai Ferhad, zeichnet in ihrem Vortrag ein ähnliches Bild und stellt fest: „Es gab ein Deutschland vor 2015. Wir sind zurückgeworfen worden.“ Der Integrationsdiskurs in Deutschland sei schon weiter gewesen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Mittestudie. Demnach gaben 2011 etwa 30 Prozent der Befragten an, Muslimen die Einreise nach Deutschland verbieten zu wollen. Im Jahr 2016 stieg dieser Wert auf 41 Prozent.

„Wir waren lange Zeit Menschen mit Migrationshintergrund, nun sind wir nur noch Muslime“, sagt Breschkai Ferhad. Vor allem jene Menschen, deren Herkunft durch ihre Hautfarbe oder Kleidung augenfällig scheine, seien stärker von Diskriminierung betroffen als noch vor Jahren. Deshalb formuliert sie eine klare Forderung an die Teilnehmenden der Konferenz: Teilhabe und Partizipation gelinge nur, wenn Menschen mit Einwanderungsgeschichte und äußerlich sichtbarem Migrationshintergrund in das bestehende System reinkämen. Rassismus sowie institutionelle und strukturelle Diskriminierung gemeinsam zu bekämpfen, müsse daher eine vordringliche Aufgabe sein.

Als ein entscheidendes Hindernis für den gesellschaftlichen Anschluss Zugewanderter bezeichnet Fadhumo Musa Afrah in ihrem Beitrag, spezielle Schulen und Flüchtlingsunterkünfte, in denen Geflüchtete ihr Schicksal teilten, aber eben nur unter sich blieben. Die junge Frau aus Somalia durchlebte selber eine mehrjährige Fluchterfahrung und setzt sich aktuell für die Integration von Flüchtlingen in Deutschland ein. Fehlender Dialog zwischen Zugewanderten und der deutschen Mehrheitsgesellschaft minderten die Teilhabechancen Erstgenannter. Kommunikation sei ihrer Meinung nach ein wichtiger Schlüssel. Sie fordert daher: „Fragt uns, was wir wollen!“ Zu oft wird ohne Geflüchtete und Menschen mit Migrationshintergrund entschieden, was für sie gut sein könnte, anstatt zu fragen. Ein Eindruck, der den Teilnehmenden während der Konferenz immer wieder begegnet. Wie immer gilt auch hier: Gut gemeint ist eben nicht gut gemacht.

Dialog ermöglichen - Betroffene einbinden

So taucht das Thema u.a. in den thematischen World Cafés zum Thema Ehrenamt oder zur interkulturellen Öffnung wieder auf. Fragen danach, wie man die Perspektiven von Migrant(inn)en und Geflüchteten berücksichtigt oder sie in soziale Organisationen einbindet, wurden diskutiert. Selbstkritisch stellten die Beteiligten fest: Personalstellen in den Fachbereichen Migration sind in sozialen Organisationen und im Paritätischen zu selten mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzt. Andere Personalstellen sind es noch viel seltener.

Im World Café zur interkulturellen Öffnung kamen weitere Herausforderungen zur Sprache. Mehr Fragen als Antworten entstanden. Wollen wir eine Quotenregelung, die besagt wie viele Migrant(inn)en in einem Unternehmen arbeiten sollen? Reicht es, dass Mitarbeiter(innen) einen Kurs zur interkulturellen Kompetenz erhalten? Und was ist eigentlich Interkulturelle Öffnung? Nach der spontanen Hilfsbereitschaft des hellen Deutschlands, um noch einmal das von Prof. Dr. Rosenbrock verwendete Bild zu bemühen, verlangt es jetzt nach Zeit zum Nachdenken, wie wir künftig in einer vielfältigen Gesellschaft zusammenleben wollen. Wenngleich in diesem World Café augenscheinlich nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund saßen, und damit ein Spiegelbild der gesamten Konferenzteilnehmer(innen)schaft darstellten, eint die Beteiligten, die grundsätzliche Offenheit für Menschen in anderen Lebenssituationen, mit anderen Denkansätzen oder anderem Aussehen als dem eigenen.

Ähnlich verläuft die Diskussion im Workshop ‚Bildungszugänge von Kindern‘. Hier geht es um die Aufnahme von Kindern aus Familien Geflüchteter in Kindertagesstätten. Zwei Projektbeispiele werden vorgestellt. Anschließend sollen die Teilnehmer(innen) Handlungsstrategien formulieren. Was braucht es, um Bedarfen Geflüchteter gerecht zu werden? Es wird deutlich, dass es im Grunde immer wieder darum geht Menschen als Menschen wahrzunehmen und nicht als Herkunft, Ethnie oder Religion. Diese offene Haltung bedarf Raum und Zeit für die Auseinandersetzung der Fachkräfte mit sich selbst und gesellschaftlichen Entwicklungen. Zeit die in Kindertageseinrichtungen oft fehlt. Dazu müsste beispielsweise der Personalschlüssel verbessert werden, so ein Ansatz der Diskutant(inn)en. Hier gilt es sich nicht auf fehlende Ressourcen zurückzuziehen, sondern klare Forderungen an Politik, aber auch an Träger und Fachkräfte von Kitas zu formulieren, so eines der Zwischenergebnisse der Runde.

Politik setzt zunehmend wieder auf Abschottung

Am zweiten Konferenztag wirft der Vortrag ‚Krise der europäischen Asylpolitik – Bedeutungsverlust der Menschenrechte?‘ einen Blick ins Nachbarland Schweiz. Dr. Constantin Hruschka von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe beschrieb darin die Kraft der Zivilgesellschaft. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe organisierte während des zweiten Weltkrieges die Aufnahme deutscher Juden, obwohl der Staat Schweiz deren Aufnahme zu diesem Zeitpunkt ablehnte. Der zweite Tag stand ganz im Zeichen der kritischen Betrachtung politischer Entwicklungen, wie sie in den jeweiligen Nationalstaat und der europäischen Ebene zu erkennen sind.

Hruschka verdeutlicht den momentanen politischen Umbruch in der nationalen und internationalen Flüchtlingshilfe. Asylverfahren werden verkompliziert, Grenzen geschlossen, Entwicklungshilfe an die Wiederaufnahme Geflüchteter in Herkunftsländer geknüpft. Er betont: “Freiheitsbeschränkungen treffen nicht nur Asylsuchende, sondern uns alle.“ Als Beispiel verwies der Referent auf wieder eingeführte Grenzkontrollen.

Ähnlich äußert sich Günter Burkhardt von Pro Asyl in der abschließenden Podiums-Diskussion. Er verwies kritisch darauf, dass Politik gerade dabei sei, geschlossene Systeme zu entwickeln, indem sie beispielsweise Aufnahme- bzw. Ausweisungszentren aufbaue oder die Abschiebehaft ausweite. „Hier hat die Zivilgesellschaft keinen Zugang. Die Flüchtlingsbegleitung ist hier kaum möglich“, warnte Burkhardt.

Obwohl Flucht und gelebtes Miteinander keine neuen Themen sind, verdeutlichte die Konferenz einmal mehr, welche Dynamik diesen Prozessen innewohnt. Einen Masterplan gibt es nicht. Klar ist hingegen, dass die Chance auf gleiche Rechte und Teilhabe für alle Menschen, nur gesamtgesellschaftlich zu erreichen ist. Der persönlichen Haltung sowie einer offene Kommunikation aller beteiligten Akteure kommt dabei eine besondere Rolle zu.


Die Autorin Nicole Börner ist Koordinatorin des Projektes „Parität konkret – Förderung der interkulturellen Öffnung von Organisationen“

Kontakt:
Tel.: 0351 - 491 66 67
E-Mail: nicole.boerner(at)parisax.de

Mehr über das Projekt erfahren Sie hier.