Soziale Innovation erfährt in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit. Das ist gut, denn endlich wird Soziale Arbeit stärker als das wahrgenommen, was sie ist: als ein von Innovation getragenes Arbeitsfeld. Soziale Organisationen sollten selbstbewusster dazu stehen, kommentiert Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen.
Innovationskraft und Erfindungsgeist sind entscheidend für Entwicklung. Lange galten sie als Fähigkeiten, die allein im technischen Bereich zu finden sind. Dass Soziale Arbeit - die jeden Tag mit Menschen interagiert, deren Bedarfe individuell sind und die Fachkräfte immer wieder aufs Neue herausfordern - irgendwie in der breiteren Öffentlichkeit mit Innovation in Verbindung gebracht wurde, daran erinnere ich mich nicht. Daher bin ich froh, dass der Begriff der sozialen Innovation seit den letzten Jahren endlich eine größere Rolle spielt.
Soziale Arbeit und Innovation sind untrennbar verbunden
Das ist einerseits wichtig, da auf diese Weise dem Umstand Rechnung getragen wird, dass Soziale Arbeit nie stehen geblieben ist. Ihr wohnt es inne, sich ständig weiterzuentwickeln, denn unserer Gesellschaft verändert sich laufend und somit ändern sich auch die Bedarfe der Menschen und ihre Lebenslagen, mit denen Soziale Arbeit umgehen muss.
Standen früher Versorgung und Betreuung im Mittelpunkt, ist es heute die Förderung von Teilhabe und Selbstbestimmung. Manifestiert hat sich dies auch in der Sozialgesetzgebung. Das Bundesteilhabegesetz ist ein sichtbares Beispiel dafür.
Andererseits ist die Stärkung des Begriffs der sozialen Innovation auch ein wichtiges Signal an unsere Branche selbst. Wir Sozialarbeiter*innen, Pflegekräfte, Lehrer*innen, Assistent*innen – so gut wie alle Beschäftigten dieses Bereichs - sind nicht dafür bekannt, stolz auf die eigenen Verdienste hinzuweisen. Das macht uns sympathisch und glaubhaft, finde ich. Aber in einer lauten Welt, die fordert, sich und die eigene Leistung sichtbar zu machen, ist dies leider wenig hilfreich. Dabei gibt es so viele prominente Beispiele.
Im 17. Jahrhundert revolutionierte Johann Amos Comenius den Schulunterricht hin zu einer ganzheitlichen, systematischen und liebevollen Wissensvermittlung. Die vor 154 Jahren geborene Kinderärztin Maria Montessori prägte den Leitsatz der modernen frühkindlichen Bildung: “Hilf mir, es selbst zu tun.“
Selbstbewusster zum eigenen Handeln stehen
Ich könnte noch lange weiter meiner Begeisterung über die Wegbereiter*innen moderner Pädagogik und Sozialarbeit Ausdruck verleihen. Unschätzbar wertvoll ist deren Einfluss auf unsere heutige Demokratie und das Aufwachsen und Zusammenleben in der Gesellschaft.
Doch bin ich immer wieder erstaunt, wenn ich in Gesprächen mit Mitgliedsorganisationen erlebe, dass sich diese gar nicht bewusst als Innovator*innen verstehen. Besonders irritierend ist das für mich, wenn mir dieselben Personen kurz zuvor beispielsweise ein neues Projekt oder einen neuen Ansatz in ihrer Arbeit vorgestellt haben. Wenn ich das anspreche, wird bescheiden abgewunken - das gehöre doch zu einer verantwortungsvollen Arbeit für Menschen dazu, dass man sich immer weiterentwickele.
Lasst uns aufhören mit dieser Bescheidenheit. Unsere Arbeit, unsere Leidenschaft, unser Engagement ist bedeutend für dieses Land und unsere Gesellschaft. Diese Tatsache der eigenen Person gegenüber, aber auch nach außen selbstbewusst zu vertreten, wird in den kommenden Jahren immer wichtiger werden. Eine sich ändernde politische Wetterlage sowie härtere Diskussionen über die Finanzierung sozialer Leistungen fordern uns heraus, unsere haupt- und ehrenamtlichen Leistungen – und dazu gehört unsere Innovationskraft – deutlich zu zeigen.
Soziale Innovation gezielt fördern
Innovationsfähigkeit zu besitzen, geht nicht automatisch damit einher, dass Neuerungen auch in der Praxis ankommen. Zwei Aspekte, die bremsend auf die Innovationskraft sozialer Angebote wirken, sind Bürokratie und Ressourcenmangel. Das begegnet mir leider oft, wenn ich im Gespräch mit Praktiker*innen bin. Selbst, wenn es ein inhaltlich passendes Förderprogramm gibt, sind die Hürden für gemeinnützige Organisationen oft zu hoch. Hohe Eigenanteile oder eine degressive Förderung schließen diesen Sektor faktisch aus. Abgesehen davon, dass wir immer wieder erleben müssen, dass sich Innovationsförderung generell nur an gewerbliche Unternehmen richtet. Hinzu kommen aufwendige Antragsverfahren sowie Verwendungsnachweise, die sich an betriebswirtschaftlichen Messkriterien orientieren, welche Projekte in der Sozialen Arbeit so gar nicht erbringen können.
Staatliche Innovationsförderung muss die besonderen Rahmenbedingungen gemeinnütziger Organisationen stärker berücksichtigen. Dafür ist auch ressortübergreifendes Handeln nötig, bei dem sich beispielsweise Sozial-, Kultus- und Wirtschaftsministerium darüber einig sind, wie man gemeinnützige Akteure sinnvoll fördern kann.
Eigene Wirksamkeit darstellen
Gleichzeitig müssen soziale Organisationen die Wirksamkeitsmessung neuer Ansätze von Beginn an mitdenken. Sozial- und Bildungsarbeit geschieht nicht im luftleeren Raum. Wir dürfen den Mut haben, bei der Bewertung unseres Handelns unsere eigenen fachlichen Kriterien anzusetzen und uns nicht rein ökonomischen Maßstäben zu unterwerfen. Wir müssen dringend darüber diskutieren, wie das für die Soziale Arbeit sinnvoll aussehen kann.
Das ist im Übrigen ein Thema, dem wir uns generell stärker annehmen müssen. Die Verteilungskämpfe um öffentliche Mittel werden weiter zunehmen. Finanzministerium, Kämmereien und Haushaltspolitiker*innen prägen bereits heute die Entscheidungsfindung der öffentlichen Hand und schon heute stößt man bei den benannten Gruppen mit einer werte- und menschenorientierten Argumentation nur bedingt auf Verständnis. “Der Sozialstaat ist zu teuer!”, “Zurück zu den Kernaufgaben!” lauten aktuelle Parolen.
Seien wir innovativ. Zeigen wir selbstbewusst, was wir können und leisten. Fordern wir ein, was es braucht, damit Bildungs- und Sozialarbeit ihr volles Potenzial entfalten kann. Das ist gut für die Menschen, für uns als Gesellschaft, für Sachsen insgesamt.
Der Autor: Michael Richter ist Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen. Bereits seit Jahren macht er sich dafür stark, dass soziale Innovation mehr Beachtung findet. Sie haben Fragen oder wollen sich austauschen? Nehmen Sie Kontakt auf.
Tel.: 0351 - 828 71 120
E-Mail: michael.richter(at)parisax.de
Der Kommentar erschien zuerst in der Ausgabe September 2024 des Verbandsmagazins anspiel. mit dem Schwerpunkt Soziale Innovation.