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Gastbeitrag: Auf sexualisierte Gewalt (online) reagieren

Symbolbild: Computertastatur mit einer roten Sex-Taste

Laut der der JIM-Studie 2020 verfügen 94 Prozent der Befragten im Alter von 12 bis 19 Jahren über ein eigenes Smartphone, das sie auch täglich verwenden. Bereits die jüngste Gruppe – die 12- bis 13-jährigen – ist mit 91 Prozent digital sehr gut ausgestattet. Den „digital natives“ - also den Kindern und Jugendlichen, die von einem guten und einfachen Zugang zu medialen Welten umgeben sind - wird meist die Kompetenz zugeschrieben, sich dort sicher zu bewegen oder dies leicht erlernen zu können. Dies wird von der Annahme getragen: Wer mit digitalen Medien aufwächst und diese bereits von klein an kennt, der wird schon von alleine dort hineinwachsen und sich die nötigen Fertigkeiten aneignen. Denn was analog durch die Vorbildfunktion der Eltern und  Umgebung funktioniert, das wird auch digital so funktionieren.

Medienerziehung muss sein

Doch genau an dieser Stelle hinkt der Vergleich, da es in nicht wenigen Fällen an der entsprechende Begleitung und Vorbildfunktion fehlt. Meist zeigen sich Eltern und weitere an der Erziehung mitwirkende Menschen ab einem bestimmten Punkt (technisch) nicht in der Lage zur adäquaten Begleitung, beziehungsweise sind schlichtweg nicht daran interessiert oder fühlen sich nicht zuständig.

Doch bedarf es einer gegenüber neuen Dingen offenen, (auch technischen Entwicklungen) zugewandten und (auch an Selbsterkenntnissen) interessierten Haltung, um Kindern und Jugendlichen die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln, damit diese sich im digitalen Raum sicher bewegen und zu emanzipierten Nutzer*innen werden können.

Sexualisierte Gewalt in digitalen Medien

Ist dann diese erste Aufgabe angegangen, steht ein weiteres Thema an: Wie können Kinder und Jugendliche mit (alters-)unangemessenen sexuellen Inhalten umgehen, auf die sie zufällig oder bewusst - sicher jedoch zwangsläufig - stoßen werden?

Sexualisierte Gewalt findet schon lange nicht mehr nur im analogen Raum statt, sondern bedient sich auch der vielfältigen neuen Optionen, die die Vernetzung und Digitalisierung mit sich gebracht haben. Während Täter*innenstrategien oft in ähnlicher Form auftreten, so haben sich die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Umsetzung dieser entsprechend multipliziert.

Wie muss also Präventionsarbeit für den digitalen Raum gestaltet sein? Erfordert es anders gedachte Ansätze der Sensibilisierung für eine manchmal parallele Lebenswelt, die nicht selten ihren eigenen Wegen folgt? Neben dem Wissen über Inhalte, Vorgänge und Phänomene bedarf es einer klaren Haltung und unaufgeregten Kommunikation. Wer unterstützen möchte, der muss grenzenwahrend im Gespräch bleiben und Offenheit sowie das nötige Know-how signalisieren.

Während rechtlich viele Aspekte klar geregelt sind, bleibt pädagogisch also die Aufgabe, mit diesen Themen umzugehen. Themen, die (rechtlich) nicht sein dürfen, es faktisch aber sind. Es ist Aufgabe nicht zuletzt auch der Kinder- und Jugendhilfe, inhaltlich auf diese Fälle einzugehen, damit nicht das faktisch nicht durchsetzbare Verbot von Mediennutzung als letztes Wort stehen bleibt. Vielmehr muss ein fachlich angemessener Umgang mit diesen Themen gefunden werden: Sensibel, aber klar und mit praktisch umsetzbaren Lösungen.


Der Autor: Christian Grüner leitete sechs Jahre lang eine stationäre Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Als Referent und Mediator stärkt er nun Fachkräfte im Umgang mit Medien und sexualisierter Gewalt.