Moderne Führung ist ein Handwerk, das Fingerspitzengefühl, Selbstreflexion und ein tiefes Verständnis für die Menschen, mit denen wir arbeiten dürfen, erfordert. Und sie bedeutet, ständige Veränderung zu initiieren, zu begleiten und damit immer wieder von vorn anzufangen. Was ich zu dem Thema von meinen Mitarbeitenden gelernt habe – ein Erfahrungsbericht.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband trat mit der Bitte an mich heran, einen Artikel zum Thema „Moderne Führungskräfte“ zu schreiben. Da mir das Thema als Geschäftsführer einer Behörde mit über 6.000 Mitarbeitenden sehr am Herzen liegt, sagte ich sofort zu. Mein erster Gedanke war, Ihnen das Idealbild einer Führungskraft so zu vermitteln, wie es in vielen guten Lehrbüchern zu finden ist. Auch wir als Bundesagentur für Arbeit (BA) haben ein Führungsverständnis entwickelt, mit dem wir Ergebnisse sichern, Strukturen schaffen, Zukunft gestalten und Menschen unterstützen und fördern möchten. Doch passen das Idealbild und ein realistischer Arbeitsalltag wirklich zusammen? Leben wir tatsächlich das, was wir als perfekte Führungskraft ansehen oder scheitern wir nicht ständig durch Zeitdruck, hohes Arbeitspensum und letztendlich auch an unseren eigenen Kompetenzen und den Besonderheiten der Mitarbeitenden?
Um Ihnen ein verständlicheres Bild dessen zu vermitteln, was aus meiner Sicht eine gute Führungskraft ausmacht, möchte ich Sie mitnehmen - mitnehmen in meinen persönlichen Arbeitsalltag. Anhand von drei Begegnungen zeige ich Ihnen, was ich zum Thema Führung erlebt und gelernt habe und was ich ständig anstrebe - aber es gelingt mir nicht immer.
Kommunikation als Grundlage für gute Zusammenarbeit
Auf dem morgendlichen Weg zu meinem Büro treffe ich Frau Müller (Name geändert). Sie arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der BA und läuft sichtlich frustriert den Gang entlang. Auf meine Frage, was sie so ärgerlich stimmt, antwortet sie: „Ich habe zu einem Thema zehn verschiedene E-Mails bekommen, jeder will in eine andere Richtung.“ Ich höre ihr aufmerksam zu und überlege: Kommunikation und Austausch sind die fehlenden Glieder in der Kette. Ich bin etwas erstaunt, denn wir beugen solchen Situationen schon seit Jahren vor. Wir treffen uns regelmäßig zu Austauschrunden, in denen alle ihre Meinungen einbringen können. In Präsenz oder online werden Ziele abgestimmt und die Frage nach dem Warum wird erörtert. Wir fördern damit nicht nur Kommunikation, sondern auch eine direkte und wertschätzende Feedbackkultur auf Augenhöhe. Das ist essenziell, um Vertrauen aufzubauen, ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen, Orientierung und Gestaltungsspielräume zu geben. Probleme und Spannungsfelder sollen beizeiten angesprochen und aus dem Weg geräumt werden.
Gute Führung beginnt mit Zuhören und klarer Kommunikation. Wer als Führungskraft nicht das Gespräch sucht, verliert den Anschluss und die Verbindung zu seinen Mitarbeitenden. Aber auch wir sind nur Menschen und können solche Dinge im Arbeitsalltag mal vergessen. Diese Gedanken gebe ich Frau Müller mit auf den Weg und grüble weiter, was wir verbessern können.
Stärkenorientierte Förderung der Mitarbeitenden
Zu meinen Aufgaben als Geschäftsführer gehört es, regelmäßig Gespräche mit meinen Mitarbeitenden zu führen. Solch ein Gespräch steht mit einer Kollegin aus dem Bereich Kundencenter der Regionaldirektion Sachsen an. Nach zehn Jahren Betriebszugehörigkeit hat sie ein starkes Team unter sich aufgebaut und immer wieder ihr Organisations- und Führungstalent bewiesen. Trotzdem fällt mir auf, wie wenig sie selbst von ihren Stärken überzeugt ist. Statt sie ausschließlich für ihre bisher erbrachte Leistung zu loben, bot ich ihr an, eine Rolle zu übernehmen, in der sie diese Stärken noch gezielter einsetzen und sich weiterentwickeln kann. Und um sich ihrer Stärken noch mehr bewusst zu werden.
In einer sich immer weiter wandelnden Arbeitswelt suche und fördere ich Menschen, die ihren Job nicht nur gut erfüllen, sondern diesen auch gestalten. Indem wir als Führungskräfte an Kolleginnen und Kollegen glauben, bestärken wir sie, sich auszuprobieren. Führungskräfte sind dadurch auch Coaches und Mentoren. Wenn wir Vertrauen in eine Person haben, können wir helfen, dass diese Person auch mehr Vertrauen in sich selbst entwickelt. Das kommt am Ende nicht nur der einzelnen Person, sondern auch der gesamten Organisation zugute.
Integration neuer Arbeitsmethoden
Zum Abschluss eine Begegnung, die mir gezeigt hat, dass Führung heute auch das Fördern von neuen und innovativen Arbeitsmethoden bedeutet. Eine Kollegin aus dem Bereich Geschäftsentwicklung der Regionaldirektion Sachsen kam zu mir. Sie ist in das Themenfeld ‚Kontinuierliche Verbesserung‘ involviert und möchte es zukünftig aus einer anderen Perspektive angehen. Sie stellt mir eine neue, agile Arbeitsmethode vor, deren Fokus darauf liegt, noch intensiver mit den einzelnen Zielgruppen zusammenzuarbeiten. Doch einige Kollegen sind skeptisch, weil „wir das noch nie so gemacht haben“.
Hier sehe ich meine Aufgabe als Führungskraft darin, die Balance zwischen altgewohnten und neuen Arbeitsmethoden zu finden. Offenheit, Vertrauen und das Aufbrechen alter Strukturen und Abläufe stärken nicht nur die Produktivität, sondern auch die Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem Job, um diesen auch als sinnstiftende Tätigkeit wahrzunehmen. Denn: Als gute Führungskraft will ich in der Lage sein, bestehende Prozesse zu optimieren, nachhaltige Veränderungen anzustoßen und den Raum für neue Ideen und Kreativität schaffen. Ich biete ihr an, ein Pilotprojekt zu starten, um die neue Methode auszuprobieren. Führung heute bedeutet sicher auch, Veränderungen nicht als Bedrohung zu sehen, sondern als Chance. Scheitern und daraus lernen mit einkalkuliert.
Fazit: Führungskräfte sollten Wegbereiter für die Zukunft sein
Diese drei Begegnungen betonen: Führung - egal in welchem Bereich - bedeutet mehr denn je, Sinnvermittlung, Kommunikation und Flexibilität zu fördern, Mitarbeiter individuell zu stärken und neue Wege zuzulassen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir als Führungskräfte bereit sind, unsere eigene Wirksamkeit und unser Handeln regelmäßig zu hinterfragen. Systematisches Reflektieren, mit welchem Führungsverhalten wir den jeweiligen Anforderungen am besten gerecht werden, sichert Ergebnisse, sorgt für Struktur und damit für eine zukunftsfähige Organisation.
Der Autor: Klaus-Peter Hansen ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit. Seine Laufbahn startete der gebürtige Zittauer 1992 bei der Arbeitsagentur in Pirna. Seitdem hatte er verschiedene Führungspositionen innerhalb der Bundesagentur inne. 2014 kehrte er als operativer Geschäftsführer nach Sachsen zurück und übernahm 2016 die Spitze der Geschäftsführung. Zudem ist er Mitglied im Beirat des Paritätischen Sachsen.
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe März 2025 des Verbandsmagazins anspiel.
