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Gastbeitrag: Inklusion in unserer Gesellschaft?!

Annett Heinich Dresden

Annett Heinich - als Inklusionsbotschafterin aktiv.

Ich sitze in einem schweren Elektrorollstuhl. Solange es Rampen und Fahrstühle gibt - kein Problem. Mein guter Bekannter von nebenan hat eine sogenannte „geistige Behinderung“ und darum Schwierigkeiten beim Lernen. Wenn andere sehen, was er kann und was er will und ihn dabei unterstützen - ganz viel ist dann möglich.

Eine Behinderung ist ein Fakt, mit dem man sich arrangieren kann und muss. Menschen mit Behinderungen brauchen, zumindest teilweise, andere Voraussetzungen.

Zwei Gesetze, die das Leben behinderter Menschen maßgeblich beeinflussen , sind zur Zeit in der heissen Phase der Gesetzgebung: Auf Bundesebene das Bundesteilhabegesetz und auf sächsischer Landesebene das Schulgesetz.

Beide Entwürfe haben bereits für heftige Proteste gesorgt. Interessensvertreter von Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen lehnen die Gesetzesentwürfe zu großen Teilen ab. Ich auch.

Das Bundesteilhabegesetz - am Bedarf vorbei

Mir macht der Vorrang von Pflege- vor Teilhabeleistungen Angst. Auch ist im Gesetz ein «Zwangspoolen» vorgesehen. Leistungen, zum Beispiel im Bereich Wohnen und Freizeit, sollen mit dem Argument der geringeren Kosten geteilt werden können.

Viele Auswirkungen der neuen gesetzlichen Reglungen sind für die Betroffenen aktuell nicht abschätzbar. Ich frage mich z.B.: Würde man mich wirklich gegen meinen Willen aus Kostengründen in ein Heim verweisen? Noch kann ich meine Unterstützungsleistungen aus der Pflegeversicherung finanzieren.

Aber gut möglich, dass ich schon in naher Zukunft viel mehr Unterstützung benötige. Und dann will ich immer noch entscheiden dürfen, wo und mit wem ich lebe und wie mein Tagesablauf aussehen soll. Von der "Persönlichen Assistenz", eine Leistungsform, die ja behinderten Menschen mit viel Unterstützungsbedarf einen „normalen“, selbstbestimmten Alltag erst ermöglicht, ist im Entwurf keine Rede. Verbesserungen in Bezug auf Einkommens- und Vermögensgrenzen gibt es im Entwurf nur für behinderte Menschen mit eigenem Einkommen. Was ist aber, wenn ich etwas erbe?

Am stärksten trifft es Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung. Rundum sauber heisst aber auch für sie keineswegs rundum glücklich.

Der Personenkreis, der Leistungen nach dem Teilhabegesetz beanspruchen kann, ist eingeschränkt. Asylsuchende sind komplett aus dem Teilhabegesetz ausgeschlossen. Auch ein vormals geplantes Teilhabegeld ist ganz vom Tisch. Es war als Pauschale geplant, die die vielen Nachteile, die Behinderte im Alltag haben, wenigstens teilweise ausgleichen sollte.

Sachsens neuses Schulgesetz - gemeinsames Lernen unklar

Und ob ein behindertes Kind in Sachsen an die Regelschule darf, gleicht mit dem geplanten Sächsischen Schulgesetz in vielen Fällen einem Lotteriespiel. Das Kind braucht nämlich drei Glücksumstände: starke Eltern, eine Schule mit technisch und personell ausreichenden Voraussetzungen und einem Direktor, der dazu "Ja" sagt. Einen Rechtsanspruch auf Inklusive Bildung, von der laut Meinung vieler Experten auch die Kinder ohne Behinderung profitieren, sieht der Gesetzesentwurf nicht vor und auch nicht die Schaffung angemessener Vorkehrungen.

Wie geht es nun also weiter?

Nachbesserungen an den Gesetzesentwürfen sind möglich und nötig. Es geht bei der Gewährung von Teilhabeleistungen nicht um Almosen. Es geht um den Zugang zu Menschenrechten, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention festgeschrieben sind. Und die gelten für alle gleich und uneingeschränkt.

Die Autorin: Annett Heinich lebt seit 1998 in Dresden und engagiert sich seit vielen Jahren für das gelebte Miteinander unterschiedlicher Menschen. Dabei setzt sie auf den Dialog und das gegenseitige Kennenlernen. In Vereinen und Initiativen ist sie vor allem als Netzwerkerin aktiv - so zum Beispiel als Inklusionsbotschafterin beim ISL Deutschland e.V. (www.isl-ev.de)

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