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Gastbeitrag: Kündigungsschutz für Schwangere gestärkt

Im April 2025 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass eine Kündigungsschutzklage auch dann nachträglich zugelassen werden kann, wenn eine Arbeitnehmerin erst nach Ablauf der regulären Klagefrist sicher von ihrer Schwangerschaft erfährt. Dieses Urteil hat auch für Arbeitgeber im Sozial- und Gesundheitswesen Relevanz.

Bundesarbeitsgericht ermöglicht nachträgliche Klagezulassung

In dem verhandelten Fall erhielt die Klägerin am 14. Mai 2022 eine ordentliche Kündigung durch ihre Arbeitgeberin zum 30. Juni 2022. Zu diesem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass sie schwanger war. Ein erster Schwangerschaftsselbsttest am 29. Mai deutete zwar auf eine Schwangerschaft hin, Sicherheit erlangte sie jedoch erst am 17. Juni 2022 durch eine ärztliche Untersuchung in der siebten Schwangerschaftswoche. Ihre Kündigungsschutzklage reichte sie am 13. Juni ein – zwei Tage nach Ablauf der gesetzlichen Dreiwochenfrist nach §?4 Satz?1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage zunächst als unzulässig zurück, da sie nicht fristgerecht erhoben worden sei. Das Bundesarbeitsgericht hingegen entschied, dass die Klage nachträglich zuzulassen sei, da die Klägerin ohne eigenes Verschulden keine frühere Kenntnis von ihrer Schwangerschaft hatte. Maßgeblich sei nicht der bloße Verdacht durch einen Selbsttest, sondern die ärztlich gesicherte Feststellung.

Sonderkündigungsschutz für Schwangere gestärkt

Mit seinem Urteil stellte das BAG klar, dass der Sonderkündigungsschutz für Schwangere nach §?17 Absatz?1 Mutterschutzgesetz (MuSchG) auch dann greift, wenn die Schwangerschaft erst nachträglich nachgewiesen werden kann. Entscheidend ist, dass die betroffene Arbeitnehmerin unverzüglich nach Kenntniserlangung Klage erhebt und die nachträgliche Zulassung gemäß §?5 KSchG beantragt.

Gleichzeitig bestätigt das Gericht die unionsrechtliche Auslegung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall „Haus Jacobus“ (C-284/23), wonach auch eine erst nach der Kündigung bekanntwerdende Schwangerschaft den besonderen Kündigungsschutz auslösen kann. Arbeitgeber können sich daher nicht darauf berufen, zum Zeitpunkt der Kündigung nichts von einer Schwangerschaft gewusst zu haben – wenn diese objektiv bestand und später nachgewiesen wird.

Zudem ist hat das BAG nunmehr die bisher offene Rechtsfrage geklärt, wann sicher vom Bestehen einer Schwangerschaft ausgegangen werden darf. Dies ist nicht der Zeitpunkt eines positiven Schwangerschaftsselbsttests, sondern der Zeitpunkt gesicherter ärztlicher Feststellung, einhergehend mit dem Ausstellen eines Mutterpasses.

Bedeutung für Arbeitgeber im Sozial- und Gesundheitsbereich

Auch für Arbeitgeber im Sozial- und Gesundheitsbereich ist dieses Urteil praxisrelevant: Der Anteil weiblicher Beschäftigter in der fertilen Altersphase ist im Vergleich zu anderen Branchen vergleichsweise hoch. Das Risiko, dass eine Kündigung wegen Unkenntnis einer Schwangerschaft rechtswidrig ist und später gerichtlich angefochten wird, kann aufgrund der vergleichsweisen hohen Zahl von potentiell betroffenen Beschäftigten damit erheblich steigen. Bei Rechtswidrigkeit der Kündigung ist die gekündigte Person weiter zu beschäftigen, im Sozial- und Gesundheitsbereich sind häufig sofortige Beschäftigungsverbote auszusprechen. Die Feststellung der rechtswidrigen Kündigung verursacht häufig Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, die nicht refinanziert sind.

Gerade kleinere und mittelgroße Träger sind nun gefordert, ihre Entscheidungsprozesse zu überdenken. Eine routinemäßige Klärung des Schwangerschaftsstatus ist aus Datenschutz- und Diskriminierungsgründen nicht möglich – umso wichtiger sind ein sensibles Vorgehen, klare interne Meldewege und eine gute arbeitsrechtliche Begleitung bei Kündigungen.

Interne Prozesse prüfen, Kündigungen gute vorbereiten, Führungskräfte schulen

Das Urteil verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig ein sensibler und rechtskonformer Umgang mit Kündigungen im Bereich des Mutterschutzes ist. Arbeitgeber in der Sozialwirtschaft sind gut beraten, ihre Prozesse entsprechend anzupassen.

Der Paritätische Arbeitgeberverband PATT e.V. empfiehlt, Kündigungen besonders sorgfältig vorzubereiten und bereits im Vorfeld mögliche Schutzvorschriften wie das Mutterschutzgesetz zu berücksichtigen. Interne Abläufe sollten so gestaltet sein, dass Hinweise auf eine Schwangerschaft – etwa durch Mitteilungen der Arbeitnehmerin oder vorgelegte ärztliche Unterlagen – rasch geprüft und dokumentiert werden können.

Auch Führungskräfte sollten regelmäßig geschult werden, um für die arbeitsrechtlichen Besonderheiten rund um den Sonderkündigungsschutz sensibilisiert zu sein. Auch ist es ratsam, vor beabsichtigter Kündigung frühzeitig juristischen Rat einzuholen, um das Risiko nachträglicher Klagezulassungen und daraus resultierender Rechtsnachteile zu minimieren.

Fazit: Rechte schwangerer Arbeitnehmerinnen gestärkt

Das BAG-Urteil 2 AZR 156/24 stärkt den Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen: Selbst, wenn die Schwangerschaft erst kurz nach Zugang der Kündigung ärztlich bestätigt werden kann, bleibt der besondere Kündigungsschutz bestehen. Arbeitgeber sollten ihre internen Prozesse entsprechend anpassen, um rechtliche Auseinandersetzungen und Folgekosten zu vermeiden.


Autor: Florian Longin ist Referent für Recht und Syndikusanwalt beim Paritätischen Arbeitgeberverband PATT e.V. Er steht seinen Mitgliedseinrichtungen bei arbeitsrechtlichen Fragen unterstützend zur Seite. Sie erreichen ihn via E-Mail an f.longin(at)agv-patt.de oder telefonisch unter 0361 - 602 020 33.

Mehr Informationen zum Arbeitgeberverband PATT e.V. lesen Sie auf www.arbeitgeberverband-patt.de