Soziale Einrichtungen stärken den Zusammenhalt und gestalten die demokratische Gesellschaft mit. Darin sieht Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüro Sachsen e.V., auch die Verpflichtung, sich mit rechtsextremen Positionen auseinanderzusetzen.
Rechtsextreme, rassistische und andere demokratie-feindliche Einstellungen sind in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Wissenschaftliche Untersuchungen wie „Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/23.“ zeigen, dass Rassismus, Chauvinismus, Nationalismus und Antisemitismus seit langem keine Randphänomene, sondern in verschiedenen Milieus präsent sind. Seit dem Aufkommen von Pegida im Jahr 2014 haben diese Einstellungen ein Gesicht bekommen und wurden in bisher ungekanntem Ausmaß auf die Straße getragen. Zudem hat sich mit der Alternative für Deutschland (AfD) eine Partei etabliert, die für diese Kreise als Wahloption fungiert.
Bedrohung des friedlichen Zusammenlebens
Die AfD in Sachsen wird mittlerweile von staatlichen Stellen und der Wissenschaft als gesichert rechtsextreme Bestrebung eingestuft, die unsere Demokratie gefährdet. Dennoch gewinnt die Partei laufend an Zuspruch, mit etwa einem Drittel der Stimmen in Sachsen und rund 20 Prozent im Bundesdurchschnitt. Rechtsextremismus ist durch Pegida und die AfD salonfähig geworden und tritt selbstbewusster auf. Personen, die sich in ihren Gemeinden für Asylsuchende einsetzen oder gegen Rechtsextremismus und die AfD positionieren, sehen sich oft Anfeindungen oder Bedrohungen ausgesetzt.
Auch vor der Arbeitswelt machen der Rechtsruck der letzten Jahre und der Anstieg demokratiefeindlicher sowie rechtsextremer Positionen nicht halt. Viele Beschäftigte sehen sich in sozialen Einrichtungen, Wohlfahrtsverbänden oder karitativen Vereinen mit solchen Haltungen konfrontiert. Was geschieht, wenn Mitarbeitende Rassismus, Antisemitismus oder Verschwörungstheorien äußern? Wie sollte reagiert werden, wenn eine Mitarbeiterin regelmäßig gegen eine Asylunterkunft demonstriert oder eine Kita-Erzieherin für eine rechtsextreme Partei kandidiert? Und was ist zu tun, wenn ein Hausmeister in sozialen Medien demokratiefeindliche und rassistische Inhalte teilt?
Soziale Einrichtungen als wichtige Akteure
Soziale Einrichtungen spielen in einer demokratischen Gesellschaft eine entscheidende Rolle, denn sie fördern soziale Gerechtigkeit und bieten benachteiligten Gruppen Unterstützung. Indem sie Menschen in Notlagen helfen und ihnen Zugang zu grundlegenden Rechten wie Bildung, Gesundheit und sozialer Integration ermöglichen, tragen sie zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts bei. Darüber hinaus fungieren sie als wichtige Akteure im politischen Diskurs, weil sie auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen und sich für die Rechte von Minderheiten und Schwächeren einsetzen. Durch ihre Arbeit leisten sie einen Beitrag zur Gestaltung einer inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen – unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Religionszugehörigkeit – die Möglichkeit haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben.
Man kann nicht nichts tun
Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin sagt: „Auf ein Problem nicht zu reagieren, ist bereits ein Handeln. Man kann nicht nichts tun. Wenn ich sage, ich mache bei der Arbeit gegen Rechtsextremismus nicht mit, dann ist das mittelbar eine Mitgestaltung durch Unterlassung.“ Nimmt man dieses Zitat ernst, dann ist die aktive Auseinandersetzung mit rechtsextremen Positionen für alle Menschen in sozialen Einrichtungen – von den Führungskräften bis hin zum Hausmeister – eine Pflichtaufgabe.
Auseinandersetzung bedeutet Arbeit
Anknüpfend an die oben aufgeworfenen Fragen bedeutet dies also Arbeit auf allen Ebenen. Es reicht eben nicht aus, dass soziale Einrichtungen sich irgendwann in der Vergangenheit ein Leitbild gegeben haben. Dieses muss in den Arbeitsverträgen oder den Betriebsvereinbarungen als verbindlicher Wertekanon verankert sein. Die Werte aus dem Leitbild müssen kontinuierlich und regelmäßig gelebt werden, indem es Diskussionen und Verständigung dazu gibt. Dazu müssen passende Räume geschaffen werden. Die Leitungsebene ist gefordert, sich im Rahmen dieses Wertekonsens sichtbar zu positionieren. Es muss transparent sein, was passiert, wenn Mitarbeitende die Werte der Einrichtung bewusst verletzen. Die Leitungsebene muss bereit dafür sein, auch Konsequenzen durchzusetzen.
Der Weg ist das Ziel
Die Mobile Beratung des Kulturbüro Sachsen e.V. hat in den letzten Jahren verschiedene Einrichtungen dabei begleitet, auf Herausforderungen aus diesem Feld zu reagieren. Der Wunsch der Einrichtungsleitungen nach einer schnellen Umsetzung mit konkreten Ergebnissen steht dabei oft im Widerspruch zu den eigenen Ansprüchen, möglichst alle Mitarbeitenden demokratisch am Prozess zu beteiligen. Hier ist nicht nur Geduld gefragt, sondern ein ständiger Abgleich darüber, an welchem Punkt im Prozess einer wertebasierten Auseinandersetzung die eigene Einrichtung steht.
Der Prozess als Ergebnis
Wenn es Einrichtungen schaffen, in einem beteiligungsorientierten Prozess ein gemeinsames, menschenrechtsorientiertes Leitbild zu entwickeln, dann ist dies oft ein solides Fundament, um damit auf Herausforderungen zu reagieren. Es hilft bei Aushandlungsprozessen und kontroversen Debatten ebenso wie bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen. Die aktive Verständigung über gemeinsam geteilte Werte sorgt zudem dafür, dass die viel beschworene Formel vom „Gesellschaftlichen Zusammenhalt“ auf der Ebene der Einrichtung mit Leben gefüllt wird. Sie schafft zudem Schutz für diejenigen, die von Rassismus, Antisemitismus oder anderen Formen der Ausgrenzung betroffen sind.
Die Leitungsebene in den entsprechenden Einrichtungen hat damit eine Handlungs- und Argumentationsgrundlage, die von den Mitarbeitenden getragen wird. Im Mittelpunkt sollte dabei nicht das Ergebnis, sondern der gemeinsame Verständigungs- und Aushandlungsprozess stehen.
Zum Autor: Michael Nattke studierte Wirtschaftspädagogik, Politikwissenschaften, Soziologie und Rechtswissenschaften in Frankfurt (Oder) und Dresden. Seit 2009 arbeitet er beim Kulturbüro Sachsen e.V., dem Träger der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Bundesland. Seit 2023 ist er als Geschäftsführer des Trägers und Vorstand des Bundesverband Mobile Beratung tätig.
Seminartipp: Sie möchten in Ihrem Unternehmen demokratische Werte stärken und arbeitsrechtliche Optionen bei demokratiefeindlichem Verhalten kennenlernen? Dann besuchen Sie das Seminar: „Zwischen Meinungsfreiheit und Unternehmenswerten – Handlungsspielräume im Umgang mit menschenfeindlich eingestellten Mitarbeitenden“ am 05.06.2025 mit Dr. Tina Lorenz (Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht) und Michael Nattke.
