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Grenzen setzen: Sexuelle Übergriffe auf Pflegepersonal

Eine brünette Frau hält ihre Handfläche den Betrachtenden entgegen und signalisiert dadurch ein klares Stopp.

Insbesondere Fachkräfte in ambulanten Diensten sehen sich bisweilen sexuell motivierten Übergriffen durch Pflegebedürftige ausgesetzt. Diese reichen von anzüglichen Bemerkungen bis hin zu körperlicher Belästigung. Obwohl das Thema nicht neu ist, bleibt es weitgehend tabubeladen. Dabei sind Fachkräfte und Träger im eigenen Interesse gefordert, hier Barrieren zu schaffen.

Bereitwillig greifen Medien das Fehlverhalten einzelner Personen in Einrichtungen und Diensten auf, wenn es beispielsweise zu Misshandlungen von Pflegebedürftigen gekommen ist. Nicht selten steht dabei sofort die gesamte Branche unter Generalverdacht. Wie oft sich andererseits jedoch Pflegekräfte dem aggressiven Verhalten von Pflegebedürftigen ausgesetzt sehen, wird selten angesprochen. Die Bandbreite reicht von verbal aggressivem Verhalten über sexuelle Belästigung bis hin zu körperlicher Gewalt.

In der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahr 2006 beauftragten Studie ‚Kriminalität und Gewalt im Leben alter Menschen‘ gaben 61 Prozent des befragten Pflegepersonals an, schon einmal verbalen Aggressionen ausgesetzt gewesen zu sein. Etwa 36 Prozent berichteten von physischen Übergriffen. „Wenngleich die vorliegenden Zahlen schon älter sind, zeigen Gespräche mit Pflegenden, dass sich an der Situation nichts geändert hat. Für das betroffene Personal ist dies ein enormer Belastungsfaktor, der mitunter traumatisierend wirken kann. Einrichtungen und Dienste müssen sich des Themas bewusst annehmen, wenn sie Fachkräfte unterstützen und binden wollen“, sagt Claudia Österreicher, eine der Referentinnen für Altenpflege des Paritätischen Sachsen.

Besondere Herausforderung für die ambulante Pflege

Dem ambulanten Versorgungssetting kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zu. Die Pflegebedürftigen werden in ihrem gewohnten Umfeld versorgt und agieren somit in der Sicherheit ihrer geschützten Häuslichkeit. Das wahrgenommene Überschreiten einer persönlichen Toleranzschranke gegenüber der Pflegeperson kann einfach der Ausdruck einer Sehnsucht nach Wärme oder einem vertrauten Gespräch sein. Laut der BMFSFJ-Befragung handelt es sich bei immerhin rund einem Sechstel der angegebenen auffälligen Verhaltensmuster in der Pflege aber um sexuelle Belästigung, die sowohl verbal als auch mittels körperlicher Übergriffe erfolgt. Claudia Österreicher dazu: „Die Formen des sexualisierten Kontaktes können von unerwünschter Berührung wie beispielsweise dem oft verharmlosten Klaps auf den Po, von Bedrängung, dem Benutzen von sexualisierter Fäkalsprache oder dem erzwungenen Anschauen pornografischen Materials bis hin zur eindeutigen Aufforderung zu sexuellen Handlungen reichen.“

Eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen bestätigte schon 2007 ähnliche Werte. Demnach berichteten 18 Prozent der weiblichen Pflegekräfte in ambulanten Pflegediensten, schon von Patienten belästigt worden zu sein. Wie groß die wirkliche Zahl der Belästigungen ist, die ein Überschreiten der individuellen Intimgrenze der Pflegekraft darstellen, kann nicht gesagt werden. Die Zahlen schwanken aufgrund des persönlichen Empfindens der betroffenen Personen sowie den unterschiedlichen Settings in der ambulanten wie stationären Pflege.

Gleichzeitig müssen zwei Formen der Belästigung unterschieden werden. Zum einen gibt es die bewussten sexuellen Belästigungen durch Pflegebedürftige. Andererseits aber auch Situationen mit Menschen, die ihre Triebe krankheitsbedingt nicht mehr unter Kontrolle haben. Zu letzteren können beispielsweise Menschen mit Demenz oder anderen Hirnerkrankungen sowie psychisch erkrankte Personen zählen.

Personal stärken – Arbeitgeber in der Verantwortung

„Pflegehandlungen gehen grundsätzlich mit einer gewissen Nähe, direktem Körperkontakt und Berührungen einher, was einen besonderen Umgang mit Intimität zur Folge hat“, umreißt die Fachreferentin das Spannungsfeld in der Praxis. „Eine Vielzahl der Pflegedienste sensibilisiert ihre Mitarbeitenden bereits für das Verhalten in herausfordernden Situationen und bietet regelmäßige Reflexionsmöglichkeiten im Team sowie die Teilnahme an Fortbildungen an. Zudem gibt es bei einigen Trägern konkrete Verfahrensregeln zum Verhalten bei Übergriffen auch sexueller Art auf Pflegekräfte durch Pflegebedürftige, die den Beschäftigten Sicherheit geben und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.“

Eine grundlegende Notwendigkeit im Umgang mit sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld der Pflege ist es, den Mitarbeitenden Verständnis entgegenzubringen. Führungskräften wird hierbei eine besondere Verantwortung und Professionalität abverlangt, da sie ein offenes Klima im Team aktiv befördern und Betroffene ermutigen müssen, sich zu äußern. Die Unterstützung der Betroffenen muss vertrauensvoll und vorurteilsfrei erfolgen. Nicht selten haben jedoch gerade Berufsanfänger(innen) Angst, eventuelle Vorkommnisse offen anzusprechen. Deshalb sollten entsprechende Inhalte bereits in der Ausbildung vermittelt werden. Arbeitgeber sind dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor sexuellen Übergriffen so weit wie möglich zu schützen.

Autorin: Julia Schulz (Referentin für ambulante Altenpflege des Paritätischen Sachsen)


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 2.2017 des Verbandsmagazins anspiel.