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Inklusion: Das Bundesteilhabegesetz darf in Sachsen nicht scheitern

Eine junge Frau fährt mit ihrem Rollstuhl durch Menschenmassen auf einem Weihnachtsmarkt. (Foto: Andy Weiland/ Gesellschaftsbilder.de)

Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) – einst als Meilenstein für mehr Teilhabe und Inklusion gefeiert – droht in Sachsen zu scheitern. Die Verhandlung eines Rahmenvertrages tritt auf der Stelle. Die Fortschritte der vergangenen Jahre werden in Frage gestellt, befürchtet Anne Cellar, Referentin für Teilhabe.

Kostenträger stehen auf der Bremse

Motor für die Entwicklung der selbstbestimmten Teilhabe in Sachsen sollte die Kommission nach SGB IX sein, die sich aus Vertreter*innen von Leistungsträgern und Leistungserbringern zusammensetzt. Allerdings hat sich die gemeinsame Arbeitsgruppe ‚Konzeptentwicklung und modellhafte Erprobung‘ in eine Sackgasse manövriert. Nicht zuletzt, weil die Seite der Leistungsträger ein in der Praxis erfolgreich erprobtes System ablehnt. Bereits hier ist abzusehen, dass sich die sächsische Umsetzung des BTHG (von 2018) bis mindestens 2027 verschiebt - im Bereich Teilhabe an Arbeit wird es noch länger dauern. 

Weitere Vorschläge der Leistungserbringer wurden von der Leistungsträgerseite blockiert oder in Frage gestellt. Selbst gemeinsam gefundene Kompromisse wurden erneut aufgemacht oder der Kostenträger griff im Nachgang in vereinbarte Punkte ein. Die Arbeitsgruppe dreht sich somit im Kreis. Auch ein im Herbst 2024 durchgeführtes Spitzengespräch mit Vertreter*innen der Kommission brachte keine nennenswerten Fortschritte.

Diese Entwicklungen sind mehr als nur ein administratives Problem. Sie stellen einen politischen Rückschritt dar und verhindern, dass Menschen mit Behinderungen in Sachsen ihre Rechte nach dem BTHG in vollem Umfang wahrnehmen können. 

Der Paradigmenwechsel des BTHG soll zurückgenommen werden

In Gesprächen mit Vertreter*innen der kommunalen Spitzenverbände, des Landtags und weiteren politischen Akteur*innen zeichnet sich ein beunruhigendes Bild für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in unserem Land. Die Idee der Inklusion und das BTHG werden - teils hinter vorgehaltener Hand, teils auch offen - als nicht mehr umsetzbares Projekt bezeichnet. Manche Stimmen gehen so weit, das BTHG als ein "bundespolitisches Missverständnis" zu bezeichnen, das nach den Bundestagswahlen 2025 auf den Prüfstand gehöre. Klares Ziel dabei: das BTHG rückabwickeln und auf die Standards von vor der Gesetzesreform zurückführen. Selbst die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die als Grundlage des BTHG zu sehen ist, wird von diesen Akteuren als „überinterpretiert“ bewertet.

Offene Diskussionen und informelle Äußerungen deuten also darauf hin, dass einige Akteure das BTHG grundsätzlich in Frage stellen. Dabei sind dies nicht die Vertreter*innen aus Kommission und Arbeitsgruppen - wohl aber Akteure, die in den Gremien sitzen, und am Ende dem Rahmenvertrag zustimmen oder ihn ablehnen. Argumentiert wird mit finanziell überlasteten öffentlichen Haushalten, da die Flüchtlingskrise, die Pandemie, der Klimawandel und die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs zu stemmen waren und sind.

Während diese Diskussionen im Hintergrund laufen, stehen die Menschen mit Behinderungen vor realen Herausforderungen: Eingliederungshilfen werden nicht konsequent umgesetzt und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bleibt für viele weiterhin ein unerreichbares Ziel. Für die Leistungserbringer bedeutet der Stillstand, dass ihre Bemühungen und Kompromisse immer wieder ins Leere laufen.

Die Frustration wächst damit auf allen Seiten. Während die Leistungsträgerseite auf finanzielle Zwänge verweist, fühlen sich die Leistungserbringer in ihren Anliegen nicht ernst genommen. In der Praxis droht das BTHG, zum Symbol für politische Blockade und fehlenden Konsens zu werden.

Neuer Anlauf: Inklusion nicht aufgeben

Um aus der Sackgasse herauszukommen, braucht es mehr als nur technische Abstimmungen in der eingangs benannten AG. Es bedarf einer grundlegenden Verständigung auf eine gemeinsame Zielstellung und eine klare Strategie.

Um die bestehenden Blockaden aufzulösen, unterschiedliche Ansätze abzuwägen und eine tragfähige Lösung zu finden, soll nun ein weiteres Spitzengespräch im Januar 2025 für Klärung sorgen. Die Leistungserbringer – darunter auch die Mitglieder des Paritätischen Sachsen - werben erneut dafür, eine praktikable und kalkulierbare Systematik zu einen, die sowohl den finanziellen Rahmenbedingungen als auch den Anforderungen des BTHG gerecht wird. Sie wollen damit ihrer Verantwortung für eine funktionierende Eingliederungshilfe nachkommen.

Das BTHG ist kein Luxus, den man sich in Zeiten knapper Kassen leisten kann oder nicht. Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf Teilhabe und Selbstbestimmung. Die Wohlfahrtsverbände und Leistungserbringer werden deshalb weiterhin mit Nachdruck für die Umsetzung des BTHG kämpfen. Nur wenn alle Beteiligten – Leistungserbringer, Leistungsträger und Politik – an einem Strang ziehen, kann das BTHG in Sachsen wieder auf Kurs gebracht werden.


Kontakt:

Anne Cellar (Referat Teilhabe)
Tel.: 0351 – 828 71 150
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de