Kontaktaufnahme

Interkulturelle Öffnung: Diskussion offen und breit führen – alle Beschäftigten mitnehmen.

Mitarbeitende in der Werkstatt des Lebenshilfewerk Annaberg stehen an einer Werkbank auf der Bauteile liegen und lächeln in die Kamera.

In der Werkstatt für Menschen mit Behinderung (WfbM) des Lebenshilfewerks Annaberg sind zwei junge Freiwillige fester Teil des Teams. Beide flüchteten 2015 aus Afghanistan. Ihr freiwilliges Engagement fördert nicht nur ihre Integration, sondern hilft auch der WfbM, ihren interkulturellen Horizont zu erweitern. Darüber sprachen wir mit Sebastian Groß, Vorstand des Lebenshilfewerkes.

Sie beschäftigen in Ihrer Werkstatt für Menschen mit Behinderung zwei aus Afghanistan geflüchtete Jugendliche. Wie kam es dazu?

Wir bieten in unserer Werkstatt schon länger Plätze für den Freiwilligendienst an. Der Träger mit dem wir zusammenarbeiten fragte uns, ob wir auch Flüchtlinge als Freiwillige beschäftigen würden, die nebenbei ihren Schulabschluss nachholen wollen. Das fanden wir interessant und stimmten zu. Im ersten Jahr der zweijährigen Laufzeit waren die Flüchtlinge fast ausschließlich in unserer Einrichtung zum Freiwilligendienst. Parallel dazu besuchten sie Deutschkurse und Stützunterricht.

Wie war das Zusammenwirken zwischen allen Beteiligten, also Mitarbeiter*innen mit Behinderung, Anleiter*innen und den Geflüchteten?

Von Seiten der Menschen mit Behinderung gab es von Anfang an keinerlei Berührungsängste. Sie verhalten sich in der Regel allen Menschen gegenüber aufgeschlossen. Allerdings haben wir in unseren Arbeitsgruppen auch einige Werkstattbeschäftigte, die eher dem aktuellen Wutbürgertum zuneigen. In diesen Gruppen setzen wir die beiden Freiwilligen vorerst nicht ein.

Von Seiten der Mitarbeiterschaft wurden die Beiden gleich als helfende Hände anerkannt und in den Arbeitsalltag mitgenommen. Das fiel auch leicht, da beide sehr empathisch, kooperativ und vor allem engagiert sind. Für die Belegschaft zählt eher das Engagement. Herkunftsland oder Hautfarbe spielen dabei keine Rolle. Lediglich die anfängliche Sprachbarriere war eine Herausforderung, die immer wieder Geduld von beiden Seiten forderte. Aber auch diesbezüglich haben wir bereits Erfahrungen, da wir in einem Partnerprojekt mit Tschechien zusammenarbeiten.

Welche Effekte für die Teamentwicklung in der Einrichtung gab es?

Unsere Freiwilligen kamen genau in der Zeit der Großen Fluchtbewegung 2015 zu uns. Natürlich wurde in der Mitarbeiterschaft darüber diskutiert. Mit unserer beiden Afghanen bekam die gesamte Debatte jedoch menschliche Gesichter. Auf einmal ging es um zwei ganz konkrete und nicht nur abstrakte Einzelschicksale. In der Folge wurde auch viel differenzierter diskutiert. Gemeinsam organsierten die Mitarbeiter*innen auch Hilfe für die Freiwilligen.

Auf Leitungsebene haben wir uns mit der Frage beschäftigt, was wir im Unternehmen in Bezug auf den durchaus anderen Kulturkreis anpassen sollten oder auch nicht. Dabei ging es zum Beispiel um Tätigkeiten und deren Kontext zu den ethisch-moralischen Wertevorstellungen des anderen Kulturkreises. Gerade die Frage zu eventuellen Ausschlüssen von Tätigkeiten aufgrund religiöser Einstellungen, kann schon in der Mitarbeiterschaft zu Diskussionen führen. Wir haben leitungsseitig dieses Problem nach allen Seiten offen angesprochen, diskutiert und moderiert. Aber auch ganz praktische Fragen kamen zur Sprache, wie jene nach Beschriftungen in Landessprache oder speziellen Essensangeboten.

Inzwischen konnten wir Berührungsängste der Flüchtlinge teilweise abbauen, fanden bewusste Integrations- und Anpassungsprozesse statt und traten Gewöhnungseffekte ein. Trotzdem sind wir hier noch dabei uns gegenseitig zu finden.

Was würden Sie anderen Organisationen mit geben, die auch über den Weg der Beschäftigung Freiwilliger einen Schritt in Richtung interkulturelle Öffnung machen möchten?

Ich denke, man sollte sich bewusst mit dem anderen Kulturkreis auseinandersetzen. Meiner Meinung nach, neigen wir Deutsche schnell dazu, uns für den Nabel der Welt zu halten und Anpassungsprozesse nur in eine Richtung vorauszusetzen. Die Diskussionen dazu sollten möglichst offen und breit geführt werden. Leitungsseitig müssen sie länger beobachtet, begleitet und moderiert werden. Aufeinander zugehen ist hier wichtig. Wir haben dies schon beim Einsatz tschechischer Azubis getan und erst recht beim Einsatz afghanischer Flüchtlinge.

Die Ergebnisse sind sicher nicht nur bereichernd für das Unternehmen, der größte Gewinn liegt meinem Dafürhalten darin, dass dies die beste Form ist, eigene Vorurteile zu hinterfragen und ein Miteinander zu gestalten.


Interkulturelle Öffnung ist Herausforderung und Chance zugleich. Erfahren Sie mehr dazu und lassen Sie sich beraten durch unser Projekt „Parität konkret – Förderung der interkulturellen Öffnung von Organisationen“