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Interview: Gesetzlicher Diskriminierungsschutz – Pflichten für Arbeitgeber

Karina Schulze auf dem Fachtag des Paritätischen Sachsen zum Antidiskriminierungsgesetz

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) macht klare Vorgaben zum Diskriminierungsschutz, die Arbeitgeber dringend beachten sollten. Im Gespräch mit Karina Schulze, Referentin für Zivilrecht und rechtliche Betreuung beim Paritätischen Gesamtverband, gehen wir auf arbeitsrechtliche Schwerpunkte des AGG ein.

Frau Schulze, die Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Sachsen sind in der Regel auch Arbeitgeber. Warum sollten mindestens Führungskräfte das AGG kennen und worum geht es in diesem Gesetz?

Karina Schulze: In Kraft seit 2006 gehört das AGG zum Knowhow eines jeden (Personal-) Verantwortlichen. Ziel des Gesetzes ist, die Verhinderung bzw. Beseitigung von Benachteiligungen aufgrund der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechtes, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität.

Bei Verstößen drohen – unabhängig von der Arbeitgebergröße - neben der Unwirksamkeit arbeitgeberseitiger Maßnahmen auch Schadensersatzklagen, die zeitraubend, rufschädigend und kostenintensiv sein können.

Was wird im Gesetz unter Diskriminierung im Kontext von Erwerbsarbeit verstanden?

Karina Schulze: Geschützt werden in diesem Kontext Beschäftigte, Auszubildende, Bewerber*innen und ausgeschiedene Beschäftigte vor ungerechtfertigter Benachteiligung aufgrund eines genannten Merkmals. Eine Benachteiligung liegt vor, wenn jemand eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation. Belästigungen, wie Einschüchterung, Anfeindung, Erniedrigung, Entwürdigung, Beleidigung oder ähnliches sowie sexuelle Belästigung und Anweisungen hierzu gelten ebenfalls als Benachteiligung im Sinn des AGG.

Arbeitgeber müssen dafür Sorge tragen, dass betriebliche Abläufe, Strukturen, Arbeitsverträge und Maßnahmen mit dem AGG in Einklang stehen. Im Erwerbsleben gilt das Diskriminierungsverbot des AGG bereits beim Zugang zum Arbeitsplatz bis hin zur Entlassung.

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Karina Schulze: Diskriminierend ist eine Stellenausschreibung als junge dynamische Sekretärin oder die Gewährung der Anzahl tariflicher Urlaubstage abhängig vom Alter.

Welche Pflichten haben Arbeitgeber in Bezug auf das AGG?

Karina Schulze: Grundsätzlich besteht die allgemeine Pflicht, Diskriminierungen wegen der in § 1 AGG genannte Gründe zu unterlassen. Bei der Suche nach Beschäftigten ist eine benachteiligungsfreie Stellenausschreibung und Besetzung durchzuführen.

Zum Schutz gegen Diskriminierungen sind erforderliche Maßnahmen zu treffen. Dazu gehört die Bekanntmachung des AGG durch Auslegung und z.B. durch Mitarbeiterschulung, um auf die Unzulässigkeit von Diskriminierungen hinzuweisen.

Im Einzelfall müssen bei Diskriminierung gegenüber Beschäftigten verhältnismäßige Maßnahmen ergriffen werden, die über Abmahnung bis zur Kündigung reichen können. Auch auf Dritte, wie beispielsweise Kunden, muss in geeigneter Weise eingewirkt werden, um Diskriminierungen zu unterbinden.

Es sind Beschwerdestellen einzurichten, um Beschwerden der Beschäftigten wegen empfundener Diskriminierung zu bearbeiten. Wichtig - das Maßregelungsverbot. Hiernach dürfen Beschäftigte wegen der Inanspruchnahme von Rechten aus dem AGG, nicht benachteiligt werden.

Welche Rechte haben Arbeitnehmer*innen, wenn Sie Diskriminierungen im Zusammenhang ihrer Erwerbsarbeit erleben?

Karina Schulze: Das AGG räumt Beschäftigten bei Diskriminierungen ein Beschwerderecht, im Zusammenhang mit sexueller Belästigung ein Leistungsverweigerungsrecht und Entschädigungs- und Schadensersatzansprüche ein. Für den Schadensersatzanspruch gilt die sehr kurze Frist zur Geltendmachung zu beachten.

Wann sind Ungleichbehandlungen durch Arbeitgeber erlaubt?

Karina Schulze: Unter bestimmten Voraussetzungen ist eine Ungleichbehandlung nach dem AGG wegen unterschiedlicher beruflicher Anforderungen, des Geschlechtes bzw. Alters möglich. Fördermaßnahmen zum Ausgleich bestehender Nachteile sind zulässig. Beispiele für positive Maßnahmen im Arbeitsbereich sind zum Beispiel gezielte Rekrutierungsmethoden für benachteiligte Personengruppen und Betriebsvereinbarungen zur Förderung der Vielfalt in der Belegschaft.

Können Sie das bitte an einem Beispiel fest machen?

Karina Schulze: Die Stellenanzeige eines Automobilverkäufer ist nicht diskriminierend mit dem Text: „Zur weiteren Verstärkung unseres Verkaufsteams suchen wir eine selbstbewusste, engagierte und erfolgshungrige Verkäuferin. Wenn Sie Spaß daran haben Automobile zu verkaufen und Menschen überzeugen zu können, dass wir und Sie die richtigen Partner für unsere Kunden sind, dann bewerben Sie sich bei uns. Automobilerfahrung ist Voraussetzung für diese Position“. Die Annonce war mit dem Betriebsrat als Frauenfördermaßnahme abgestimmt, um das ausschließlich männliche Team zu erweitern. (LAG Köln, AZ: Sa 913/16)

Welche Vorteile gibt es für Arbeitgeber über die Einhaltung des Gesetzes hinaus, sich mit Antidiskriminierung in der eigenen Organisation zu beschäftigen?

Karina Schulze: Diskriminierungen und strukturelle Barrieren - vor allem am Arbeitsmarkt - behindern den gesellschaftlichen Aufstieg und verstärken die soziale Ungleichheit. Ein wesentlicher Punkt ist, dass dadurch dringend benötigte Potentiale brachliegen, die im Zusammenhang mit Arbeitgeberattraktivität und Fachkräftemangel zu erschließen sind. Hierdurch kann ein kultureller Wandel angestoßen werden.

Frau Schulze, herzlichen Dank für das Gespräch.


Informationen und Unterstützung zu diesen oder anderen Themen der Vielfalt in der Organisationsentwicklung können Mitgliedsorganisationen des Paritätischen Sachsen durch die „Paritätische Fach- und Informationsstelle für interkulturelle Öffnung und Diversität (PariFID)“ erhalten. Sie begleitet Veränderungsprozesse und berät.

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