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Interview: Kitas im ländlichen Raum als Integrationsmotoren?

Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen e.V. im Gespräch mit Kolleg*innen Sandra Schneider (r.) und Danilo Starosta (l.).

Petra Schickert vom Kulturbüro Sachsen e.V. im Gespräch mit den Kolleg*innen Sandra Schneider, von der Fachstelle Asyl und Migration (r.) und Danilo Starosta von der Fachstelle Jugendhilfe (l.).


Spätestens seit 2015 müssen sich Kindertagesstätten mit den eigenen interkulturellen Kompetenzen auseinandersetzen, da verstärkt Kinder aus zugewanderten Familien in die Einrichtungen kommen. Wir sprachen darüber mit Petra Schickert von der Mobilen Beratung des Kulturbüro Sachsen.

Was sind die besonderen Chancen des gesellschaftlichen Miteinanders von alteingesessener Einwohnerschaft und Menschen mit Flucht- bzw. Zuwanderungserfahrungen im ländlichen Raum?

Wir sprechen eher von ländlichen Räumen, da diese doch sehr unterschiedlich bezüglich ihrer sozialen Infrastruktur, ihrer Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie der Mobilität sind. In vielen Gemeinden und Kleinstädten haben wir ein reges Vereinsleben, funktionierende Nahbeziehungen und damit kurze Wege für ein gutes Miteinander. Der Zuzug von Menschen mit Flucht- bzw. Zuwanderungserfahrungen kann die ländlichen Räume beleben und zum Erhalt von sozialen Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Schulen beitragen. Das haben wir mit dem Zuzug von Spätaussiedler*innen in den 1990-er Jahren erlebt. Davon profitieren dann auch alteingesessene Menschen.

Welchen Beitrag können beispielsweise Kindertagesstätten Offenheit für Menschen anderer Herkunft in den Regionen leisten?

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe oder Altenhilfe sind nicht nur Unterbringungseinrichtungen, sondern gerade in ländlichen Räumen Orte der Kommunikation und Meinungsbildung.

Wir haben Kindertagesstätten kennengelernt, die sich vor der Aufnahme von Kindern aus geflüchteten Familien mit dem Thema Migration auseinandergesetzt und ihre Fragen diskutiert haben. Andere haben eher auf Problemsituationen reagiert. Eine wichtige Erfahrung ist, dass die Kompetenz, sich als fehlerfreundliches, kritisch in eigener Sozialisation sehendes und multiprofessionelles Team mit Fachberatung begleitet werden sollte. In allen Beratungen sind die Kolleg*innen der Kita sehr um die Entwicklung von Know How erzieherischen Handelns bemüht, dass Rassismus und Diskriminierung nicht zulässt. Der Bedarf an politischer Bildung und moderierter gesellschaftlicher Debatte ist außerordentlich groß.

Sie haben bereits mehrere Kitas zu interkulturellen Fragen beraten. Was war dabei besonders wichtig und auf welche Erfahrungen sind Sie dort getroffen?

Im Zusammenhang mit der immensen Zahl an Flüchtlingen, die im Sommer 2015 kamen, wurde das Thema zunehmend auch in Kitas auf die Tagesordnung gesetzt. Es war klar: Zu den Familien, die kommen, gehören auch Kinder. Die Einrichtungsleitungen und die pädagogischen Fachkräfte beschäftigten sich u.a. auch mit ganz pragmatischen Fragen: Wie verständige ich mich mit den Eltern, wenn sie kein deutsch oder englisch sprechen? Wie vermittele ich Abläufe und Regeln? Wie reagiere ich, wenn mich möglicherweise ein Vater nicht als Erzieherin akzeptiert? Kann ich darauf vertrauen, dass eine Frau, die vollständig verschleiert in die Kita kommt, auch tatsächlich die Mutter des Kindes ist?

Die Fragen, die die Fachkräfte bewegten, hatten also zum einen formale und organisatorische Hintergründe. Zum anderen standen und stehen dahinter Unsicherheiten vor neuen Herausforderungen, die mit der Aufnahme und Integration von Kindern mit nicht deutscher Herkunft, mit anderen Lebenserfahrungen verbunden sind. Die eigene Unsicherheit, der Umgang mit dem Fremden, das Treffen auf andere Wertvorstellungen, das immer die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität, der eigenen Kultur, den eigenen Werten beinhaltet. Der Anspruch der pädagogischen Fachkräfte, alle Kinder gut zu betreuen, trifft auf wenig interkulturelle Erfahrung und fehlendes methodisch-didaktisches Wissen dazu.

In den Vorbereitungstreffen wurde deutlich, dass sowohl das Thema „Auseinandersetzung mit dem Fremden und mit der eigenen Identität“ Inhalt sein muss als auch die Wissensvermittlung, methodische Arbeitshilfen und die Reflexion des pädagogischen Auftrages, für alle Kinder da zu sein, die in den Kitas betreut werden. Wohlbefinden ist die Voraussetzung für gelingende Bildungsprozesse für alle Kinder – und das unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer sozialen oder gesellschaftlichen Zugehörigkeit, ihrem Geschlecht, ihrer kulturellen oder Religionszugehörigkeit, etc. Wohlbefinden ist die Dimension, die alle Aspekte des körperlichen und des psychischen Wohlbefindens sowie der Gesundheit einschließt und gleichzeitig erste und wichtigste Grundlage für den Abschluss eines Betreuungsvertrages mit den Eltern ist. Wohlbefinden ist die Basis für die Beziehungsgestaltung, für Integration, für Lernprozesse für alle Mädchen und Jungen in der Kita gleichermaßen.


Erfahren Sie mehr über die Mobile Beratung unseres Mitglieds Kulturbüro Sachsen e.V.:

www.kulturbuero-sachsen.de/arbeitsbereiche/mobile-beratung/


Nutzen Sie die Beratungsangebote und Veranstaltungen unseres Projektes 'PariFID - Paritätische Fach- und Informationsstelle für interkulturelle Öffnung und Diversität'.

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