Kontaktaufnahme

Interview: „Lagerdenken bringt uns nicht vorwärts“

Horst Wehner, ein Herr mit grauem Haar und Brille, lacht freundlich in die Kamera.

Gründungsmitglied, 16 Jahre Vorstandsarbeit, vier davon als Landesvorsitzender – Horst Wehner ist unbestritten das, was man ein Paritätisches Urgestein nennen kann. Im November 2018 verabschiedete er sich aus der aktiven Mitwirkung im Verband. Als Abgeordneter im Sächsischen Landtag und als dessen Vizepräsident ist der 67-Jährige auch auf der politischen Bühne kein Unbekannter. Wir sprachen mit ihm über den Verband und die politische Kultur in Sachsen.

Herr Wehner, Sie kennen den Paritätischen Sachsen von Beginn an. Als Vertreter des VdK Sachsen waren Sie an der Gründung direkt beteiligt. Wie war das damals?

Horst Wehner: Auf die Mitwirkung an der Gründung bin ich immer noch stolz, denn das war auch aus heutiger Sicht eine richtige Entscheidung, auch wenn es zwischen dem Paritätischen und einigen Mitgliedern zu kleinen Unstimmigkeiten kam. Die Erwartungen der Mitglieder auf der einen Seite und die Möglichkeiten des Spitzenverbandes auf der anderen konnten trotzdem immer wieder in Einklang gebracht werden. Die Gründung des Paritätischen Sachsen war ein richtiger und wichtiger Schritt.

Gleichzeitig muss man natürlich sagen, dass gerade die neunziger Jahre für alle eine Zeit des Ausprobierens waren. Ich erinnere mich gut an viele Diskussionen im Landesvorstand über zig verschiedene Vorgehensweisen. Und wenn ich auf dessen Zusammensetzung zurückblicke, dann kann ich nur von Glück sprechen: Alle Vorstandsmitglieder konnten wichtige Facetten einbringen. Peter Schindzielorz zum Beispiel mit seinem finanziellen Sachverstand oder Martin Sträßer, der durch seine Rechtskenntnis so manches Fettnäpfchen zu vermeiden half, in das andere in jener Zeit tappten – um nur zwei Personen zu nennen.

Mit welchen Stärken konnte – und kann – der Verband Ihrer Meinung nach besonders punkten?

Horst Wehner: Ich denke, es ist uns gelungen, verlässlich zu sein und die Mitgliedsorganisationen in ihrer ganzen Vielfalt wertzuschätzen. Die Mitglieder können wirklich mitgestalten – sei es im Landesvorstand oder in den Fachgremien. Wer etwas zu sagen hat und mitmachen möchte, kann das in diesem Verband tun. Und die Träger tun das ja auch – was letztendlich zur Qualität der Verbandsarbeit beiträgt. Denn das war die Idee bei der Gründung: ein Sprachrohr für die Interessen Sozialer Arbeit zu schaffen und auf diesem Weg ebenfalls die Bedarfe der Menschen, für die sich die Träger engagieren, zu transportieren.

Gleichzeitig ist der Verband eine Solidargemeinschaft, in der wir gemeinsam die Leitmotive Offenheit, Vielfalt und Toleranz verfolgen. Grundlage dafür sind Ehrlichkeit und Verlässlichkeit im Miteinander. Und das beziehe ich nicht nur auf das verbandsinterne Handeln. Ich bin überzeugt – und habe das auch in vielen Gesprächen gespiegelt bekommen –, dass wir so auch bei Partnern in Politik und Verwaltung wahrgenommen werden. Selbst wenn wir mit der einen oder anderen Position anecken oder etwas provokativer auftreten, ist der Paritätische ein Verband, bei dem man weiß, woran man ist. Das haben wir uns erarbeitet. Das hat uns keiner geschenkt.

Schön, wie Sie trotz Ihres Abschieds aus der aktiven Rolle immer noch von „wir“ sprechen.

Horst Wehner: (lacht) Das legt man nicht einfach ab. Dazu ist der Verband mit seinen Grundwerten und Überzeugungen viel zu wichtig für mich. Obwohl ich jetzt nicht mehr direkt dabei bin, werde ich den Paritätischen ganz sicher nicht aus meinem Leben ausschließen und sein Handeln weiter verfolgen.

Da Sie gerade auch von Werten und solidarischem Miteinander sprachen, möchte ich gerne einen Bogen schlagen und auf die politische Kultur in Sachsen zu sprechen kommen. Sie sind seit 2004 Mitglied des Sächsischen Landtages, werden jedoch nicht erneut kandidieren. Was wünschen Sie sich für den politischen Diskurs in Sachsen?

Horst Wehner: Mehr Miteinander, auch mal über die Fraktionsgrenzen hinweg. Zu oft werden Vorschläge anderer Parteien abgelehnt, nur weil sie nicht aus den eigenen Reihen kommen. Ich finde, man muss doch seine Unterschiedlichkeit nicht aufgeben, um trotzdem gemeinsam an der Gestaltung von Prozessen zu arbeiten. Wenn wir das nicht lernen, auch mal Ideen des politischen Mitbewerbers anzuerkennen, oder zumindest bereit sind, diese offen zu diskutieren, wird es nicht gelingen, den Menschen die Möglichkeiten und Zwänge politischen Handelns näher zu bringen. Neben dem verständlichen Erklären von Inhalten ist es meiner Ansicht nach genau das, was wir brauchen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen.

Wissen Sie, wir sollten öfter die Lösung und den Diskurs darüber in den Vordergrund stellen, anstatt nur auf die eigene Profilbildung zu achten. Es ist an der Zeit, eine andere Kultur miteinander zu pflegen. Reines Lagerdenken bringt uns nicht vorwärts und befeuert womöglich jene Tendenzen im politischen Diskurs, die wir heute unverhohlen vom rechten Rand vernehmen: Wir gegen Die.

Sehen Sie Entwicklungen in diese lösungsorientierte Richtung?

Horst Wehner: Spätestens seit dem Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) ist ein Weckruf durch die Parteienlandschaft gegangen, obwohl ihn scheinbar noch nicht alle gehört haben. Bei Ministerpräsident Michael Kretschmer – auch wenn ich nicht mit allem übereinstimme, was er angestoßen hat oder wie jetzt die Lösungen im Bereich Bildung oder innere Sicherheit im Einzelnen aussehen – muss ich aber zugeben, in diesem Punkt durchaus einen positiven Wandel im Regierungshandeln erkennen zu können. Die Dialogbereitschaft ist gestiegen und sichtbarer.

Wir befinden uns 2019 im Wahljahr. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Stimmabgabe im September?

Horst Wehner: Durchaus mit Sorge. Denn ich bin mir nicht sicher, ob die positiven Änderungen im politischen Diskurs bis September schon eine Wirkung entfalten können, um das Vertrauen der Menschen in die Gestaltungsfähigkeit der Landespolitik zurückzugewinnen. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass es keine Regierungsbeteiligung der AfD geben wird. Wie auch immer die Zusammensetzung aussehen wird, es besteht ein klarer Auftrag an alle demokratischen Parteien im neuen Landtag, unter Beweis zu stellen, dass man gemeinsam etwas für die Menschen bewegen kann.

Herr Wehner, ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche Ihnen alles Gute.


Mit Horst Wehner sprach Thomas Neumann, Referent für Verbandskommunikation des Paritätischen Sachsen. Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe 1.2019 des Verbandsmagazins anspiel.