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Interview: Sprach- und Kommunikationsbarrieren in der Sozialen Arbeit überwinden

Gute Kommunikation ist eine wesentliche Grundlage unseres Zusammenlebens. Doch miteinander zu reden, heißt noch nicht, einander zu verstehen. Wie Sprach- und Kommunikationsbarrieren erkannt und abgebaut werden können, war Thema unseres Fachgesprächs ‚Wissen kompakt‘ mit Tim Ihde von AGIUA e.V.

Was kann man gegen sogenannte Sprachbarrieren tun?

Tim Ihde: Der erste Schritt ist es, Sprachbarrieren überhaupt als solche zu erkennen. Dafür ist eine sensible Haltung - bestenfalls von allen Beteiligten - notwendig. In der Sozialen Arbeit sollten sich aber zumindest Fachkräfte dessen bewusst sein. Denn verfährt sich eine Situation und die zugrunde liegenden Missverständnisse werden als Ursache nicht erkannt, erschwert dies die künftige Kommunikation. Schlimmstenfalls kommt es zum Kontaktabbruch.

Was ist denn überhaupt unter einer Sprachbarriere zu verstehen?

Tim Ihde: Ich würde das ein wenig trennen. Es gibt Kommunikationsbarrieren, bei denen alle Beteiligten die gleiche Sprache sprechen und auch verstehen. Der Sachverhalt kann aber nicht so formuliert bzw. verstanden werden, dass es zu wechselseitigem Verstehen kommt. Sprachbarrieren innerhalb einer Sprache können beispielsweise entstehen, wenn eine Person sehr viel Fachsprache verwendet, dem Gegenüber die genaue Bedeutung jedoch fremd ist. Noch komplexer kann es sein, wenn eine Muttersprachler*in mit einer Person kommuniziert, die diese Sprache als Zweit- oder Drittsprache erlernt hat oder erst noch erlernt. So können zwar die einzelnen Vokabeln bekannt sein, die verwendeten Wendungen und Satzkonstruktionen und die dahinterstehenden Konzepte bleiben jedoch unverständlich oder die Lautformung der sprechenden Person wird fehlgedeutet. In der wechselseitigen Aushandlung der Kommunikation, im Verständigungsprozess, gibt es unzählige Stolpersteine auf dem Weg zum Verständnis.

Und was können aus Ihrer Sicht hilfreiche Maßnahmen sein?

Tim Ihde: Das kann so pauschal nicht gesagt werden und kommt immer auf die konkrete Situation an. Für die eine Person kann eine langsame und deutliche Aussprache mit regelmäßigen Sprechpausen schon hilfreich sein. Jemand anderes braucht hingegen Sprach- und Integrationsmittlung, um auch komplexere Sachverhalte verstehen und bearbeiten zu können. Hier kommt es darauf an, dass Muttersprachler*innen sensibel erkunden, auf welchem Sprachniveau das jeweilige Gegenüber sprechen und verstehen kann. Sensibel heißt hier auch, nicht gleich vorauseilend sein, wenn man bei einer Person etwa auf Grund ihres Namens eine Sprachbarriere annimmt. Am Ende spricht diese beispielsweise die deutsche Sprache fließend. Also ruhig erst einmal zwei, drei Sprechsequenzen abwarten und unvoreingenommen an das Gespräch heran gehen, auch von Sprachtempo und Betonung. Stellt sich dann aber heraus, dass ein wechselseitiger Redefluss nur schwer in Gang kommt, sollte vorsichtig nachgefragt werden, was für das gegenseitige Verstehen hilfreich sein könnte. Für Fachkräfte der Sozialen Arbeit ist es notwendig, sensibel für das Thema sprachliche Verständigung zu sein und sie nicht als gelungen vorauszusetzen. Dabei kann auch das klare Strukturieren der sprachlichen Information und die Verwendung von sogenannter „Einfacher Sprache“ helfen. Auch wenn die Grundlagen wie beispielsweise das Bilden kurzer Sätze leicht anmuten, sind das dennoch Fähigkeiten, die erst eingeübt werden müssen. Gelungene Verständigung bedeutet immer Aufwand zu betreiben

Sie erwähnten Sprach- und Integrationsmittlung. Was ist das?

Tim Ihde: Sprach- und Integrationsmittlungen sind Überführungen von Informationen, die über den bloßen Transfer einer Äußerung von einer Herkunfts- in eine Zielsprache hinausgehen, da sie kulturelle Erfahrungen, Kenntnisse und Konzepte sowie die Situation und das Verhalten der beteiligten Personen berücksichtigen. Sprach- und Integrationsmittler*innen sind Personen, die durch eine entsprechende Qualifizierung und eigenes kulturelles Wissen in der Lage sind, den Transfer einer sprachlichen Äußerung in den Vorstellungs- und Wissenshorizont der beteiligten Personen vorzunehmen, die mehr als die Wörter umfasst.

Wie kann so eine Sprachmittlung eingesetzt werden?

Tim Ihde: Bei uns können sich sowohl Fachkräfte als auch Privatpersonen melden, die Sprachmittlungen benötigen. Aktuell haben wir ca.120 ehrenamtliche und 3 hauptamtliche Sprach- und Integrationsmittler*innen, die insgesamt über 30 verschiedene Sprachen sprechen. Diese dolmetschen, sind in der Lage Informationen zu soziokulturellen und strukturellen Hintergründen zu vermitteln und können sogar Fachkräften der Sozialen Arbeit assistieren.

Wichtig ist, dass jeder Einsatz von Sprachmittlung durch eine gute Vorbereitung profitiert. Denn die Sprachmittlung kann nur erfolgreich sein, wenn neben der Sprache auch der Kontext erfasst und einbezogen wird. Und auch zwischenmenschlich sollte es stimmen, da die Bereitschaft zum Vertrauen eine Grundlage für das gegenseitige Verständigen ist. In Situationen, in denen es etwa um sehr persönliche Anliegen geht, kann bereits die Anwesenheit einer dritten Person als störend empfunden werden, obwohl diese in bester Absicht zum Sprachmitteln angeheuert wurde. Beziehen Sie alle Beteiligten in den Prozess ein - erst dann kann Sprach- und Integrationsmittlung gelingen und ein Gewinn für alle Seiten sein.

Kostet das Angebot etwas?

Tim Ihde: Ja, wie viel richtet sich nach dem Aufwand und der Art. Ein Einsatz in Präsenz in Chemnitz von bis zu einer Stunde kostet bei uns aktuell 25 Euro. Bei Sprachmittlungen über technische Hilfsmittel wie Telefon oder Webcam, die über die regionalen Grenzen hinausgehen, belaufen sich die Kosten auf 1,00 bzw. 1,20 Euro je Minute.


Tim Ihde ist studierter Germanist und war als Dozent an der TU Chemnitz tätig. Im Jahr 2016 kam er zum AGIUA e.V. und arbeitete im Projekt zur sozialen Betreuung von Asylsuchenden. Seit 2020 leitet er das Projekt SprInt Chemnitz, das sich mit der Vermittlung ehrenamtlicher Sprach- und Integrationsmittler*innen befasst.


Sprach- und Integrations- bzw. Kulturmittlung wird von mehreren Organisationen im Freistaat Sachsen angeboten. In Chemnitz bietet dies unser Mitglied AGIUA e.V. Migrationssozial- und Jugendarbeit.

Mehr zu deren Projekt Sprint lesen Sie unter www.agiua.de/projekt_sprint

Kontakt:

Tim Ihde
Tel.: 0371 495 127 54
Mobil: 0163 672 20 58
E-Mail: sprint_chemnitz(at)agiua.de