Wie selbstverständlich sind Einrichtungen der Kinder– und Jugendhilfe Orte der praktischen Ausbildung pädagogischer Fachkräfte. Zeitliche und finanzielle Ressourcen gab es dafür nie. Vor allem Kindertageseinrichtungen wandeln daher stets auf dem schmalen Grat zwischen hoher Personalbelastung und Ausbildungsqualität. Es ist Zeit, umzudenken, sagt Dr. Susanne Kleber.
Sich an etwas zu beteiligen, birgt einerseits die Chance, durch eigene Impulse (soziale) Wirklichkeit zu gestalten. Zum anderen kann dieser Prozess jedoch mangels zeitlicher Ressourcen oder unkalkulierbarer Einflüsse zum Risiko werden. Das bedeutet: Verantwortung zu übernehmen, hat Grenzen und darf nicht bis zur Selbstaufgabe praktiziert werden. In sächsischen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, die als Ausbildungsstätte fungieren, geschieht nun aber genau das.
Pädagogische Ausbildung braucht qualifizierte Praxiserfahrung
Die Begleitung von Fachschüler*innen in der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe ist essentiell für eine hochwertige Qualifizierung als staatlich anerkannte*r Erzieher*in. Vor allem pädagogische Fachkräfte, die das Zertifikat als Praxisanleiter*in erworben haben, gestalten in Sachsen seit Jahrzehnten Hand in Hand mit den freien und öffentlichen Fachschulen für Soziales und Gesundheit die wichtigsten Praxisteile.
Die eigene Definition als Praxiseinrichtung beginnt deshalb in der Regel mit der Frage: Was ist möglich? Dies setzt voraus, dass beispielsweise Aufgaben der Teammitglieder in Bezug auf Praxisanleitung bekannt sein müssen und auch der Rollenkonflikt ‘Praktikant*in – Kolleg*in‘ aufgelöst ist. Hinzu kommt die aktive Ausgestaltung der Kooperation zwischen den praktischen und theoretischen Lernorten, die von allen Beteiligten inhaltlich, strukturell und im Dialog umgesetzt werden muss. Als Grundlage dafür dient der am 1. August 2017 veröffentlichte ‚‘Leitfaden zur Gestaltung der berufspraktischen Ausbildung an der Fachschule – Fachbereich Sozialwesen‘. Zudem muss ein Controlling den Kooperationsprozess begleiten.
Stellt euch vor, es ist Praxisphase und wir nehmen niemanden mehr auf.
Aber halt: Hier sind wir schon mitten im Fachdiskurs und die Liste der abzuarbeitenden Punkte für eine qualitativ hochwertige Ausbildung pädagogischer Fachkräfte ließe sich leicht verlängern. Allerdings fehlt aktuell eine verlässliche zeitliche und finanzielle Basis für diese verantwortungsvolle Aufgabe – am Praxisort und an den Fachschulen. Deshalb verwundert es nicht, dass einige Träger – die schon jahrzehntelang auch für andere Organisationen den Nachwuchs ausbilden – mittlerweile laut nachdenken: Stellt euch vor, es ist Praxisphase und wir nehmen niemanden mehr auf.
Doch trotz aller Zweifel haben sie unter unverändert schlechten Bedingungen ihr fachliches Know-how in die Waagschale geworfen und gemeinsam mit den Fachschulen auf Grundlage einer Beteiligungskultur Kooperationsverträge erarbeitet. Sie nutzen wechselseitig die vorhandenen Ressourcen, sind sich ihrer Verantwortung im Qualifizierungsprozess bewusst und nehmen diese selbstbewusst wahr. Sie haben die Inhalte der Fachschulausbildung (Lernfelder) mit den eigenen Arbeitsinhalten zusammengeführt und diese, wo nötig, angepasst.
Praxisanleitung gesetzlich anerkennen und finanzieren
Diese Verantwortungsübernahme im Lernort Praxis und Lernort Schule ist nicht (mehr) zum Nulltarif zu haben. Deshalb muss Praxisanleitung in beiden Lernorten gesetzlich anerkannt und finanziert sein, damit sie die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe weiterhin unterstützen kann.
Ist dies umgesetzt, können alle ausbildenden Einrichtungen und Fachschulen ihrer Verantwortung für einen qualifizierten Nachwuchs mit gutem Gewissen gegenüber der eigenen Belegschaft und den zu betreuenden Kindern und Jugendlichen nachkommen, weil die Bedeutung der Praxisphasen innerhalb der Erzieher*innenausbildung als eine Pflichtleistung anerkannt ist. Für beide Lernorte würden so die entscheidenden organisatorischen und strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen. Wenn die Finanzierung des anerkannten zeitlichen Mehraufwandes für qualifizierte Praxisanleitung gesichert ist, können alle Praxisphasen sowohl in der vollzeitschulischen als auch in der berufsbegleitenden Variante durch den Lernort Praxis und den Lernort Schule erfolgreich koordiniert werden.
Zudem wäre der zeitliche Rahmen für die Praxisanleitung in der jeweiligen Ausbildungsstätte für alle Beteiligten geklärt und kann im täglichen Ablauf abgesichert werden. Praktikant*innen und Praxisanleiter*innen würden entsprechend im Personalmanagement berücksichtigt. Gleichzeitig muss die Anzahl der Praktikant*innen in einem ausgewogenen Verhältnis zum pädagogischen Konzept und zur Anzahl der Kinder stehen.
Landesweite Koordinierungsstelle unterstützt alle Akteure
Um Insellösungen zu vermeiden, wäre eine Vernetzung aller Akteure notwendig. Regionale Arbeitskreise und Netzwerke zwischen Fachschulen in freier und öffentlicher Trägerschaft sowie kommunalen und freien Trägern der Kinder- und Jugendhilfe sollten auf der jeweiligen Leitungs- und Fachebene zur inhaltlichen Ausgestaltung der Kooperation bestehen, genutzt und weiterentwickelt werden. Die sowohl schul- als auch trägerseitig tätige Fachberatung ist hierbei ebenfalls einzubinden.
Entscheidend ist außerdem, dass das Landesjugendamt bzw. das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung die qualifizierte Praxisanleitung in der Planung, Durchführung und Reflexion von gemeinsamen Fortbildungsangeboten berücksichtigt. Dabei müssen beide auf eine landesweite Koordinierungsstelle der praktischen und theoretischen Lernorte zurückgreifen können, die als Regelangebot finanziert ist und im Zusammenspiel mit beiden Ausbildungsorten die gelingende Qualifizierungspraxis strukturiert und weiterentwickelt. Diese Koordinierungsstelle sichert über eine fachspezifische Vernetzung und die Nutzung vorhandener Expertise (u.a. aus dem Bundesmodellprojekt LOP) die Qualität aller Fachschulen für die praktische Ausbildung von Schüler*innen – und im Idealfall auch für Studierende.
Landesprojekt „Lernort Praxis Sachsen – Kita“ bietet Impulse
Mit dem Landesprojekt „Lernort Praxis Sachsen – Kita“ (2017 - 2019) werden diese Forderungen unterstützt. Des Weiteren stehen insbesondere regionale Netzwerke des Lernorts Praxis und des Lernorts (Fach)Schule im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie werden in ihren Kooperationsbemühungen bestärkt und weitere Institutionen für dieses Thema sensibilisiert.
Kontakt:
Dr. Susanne Kleber (Referentin Bildung, Projektkoordinatorin Lernort Praxis Sachsen - Kita)
Tel.: 0351/ 491 66 66
E-Mail: susanne.kleber(at)parisax.de
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.