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Kleinkinder beteiligen? Ja, das geht.

Vater und Sohn kochen gemeinsam. (Foto: halfpoint/ fotolia.com)

Erwachsene meinen oft zu wissen, was für kleine Kinder gut und richtig ist. Insbesondere mit Blick auf die Unter-drei-Jährigen ist diese Meinung oft anzutreffen. Doch auch in diesem frühen Alter ist Beteiligung möglich. Wir sprachen darüber mit Ulrike Czech von der Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen (IKS).

Frau Czech, Sie haben sich in Ihrer Studienabschlussarbeit mit dem Thema Partizipation befasst. Was hat Sie daran besonders gereizt?

Ulrike Czech: Der Begriff Partizipation wird schnell mit Beteiligung im Sinne von mit-bestimmen, mit-machen gleichgesetzt. Befasst man sich näher damit, stellt man jedoch fest, dass Partizipation viel mehr umfasst. Es geht darum, ein gleichwertiges Miteinander zu gestalten. Hier spielt die Reflexion der eigenen Haltung eine entscheidende Rolle. Dazu gehört auch, sich mit Machtverhältnissen auseinanderzusetzen, um diese nicht stetig zu reproduzieren. Es braucht ein Bewusstsein für das Gegenüber, für dessen Ansichten, Interessen und Bedürfnisse. Dies alles sind für mich zentrale Fragen unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens, beginnend mit dem Tag unserer Geburt. Das fand ich sehr interessant.

Ein umfassendes Verständnis von Partizipation sollte heutzutage fester Bestandteil Sozialer Arbeit sein. Nicht zuletzt wegen meiner langjährigen Tätigkeit bei der IKS habe ich mich also gefragt, inwieweit Partizipation in der frühkindlichen Bildung bereits gelebt wird. Denn hier werden die Grundlagen dafür gelegt, wie es Kindern später gelingt, sich einzubringen, andere Meinungen zu achten, kompromissbereit und kreativ zu sein, sich für demokratische Verhältnisse einzusetzen. Zwei Dinge interessierten mich besonders: Erfahren Kinder heute, dass ihre Interessen, Empfindungen und Bedürfnisse erforscht, erfragt und beachtet werden? Sind sie in Prozesse involviert, bei denen die eigene Meinung zählt und gemeinsam Lösungen kreiert werden?

Dazu gibt es bisher nur wenige Untersuchungen. Was ist Ihnen aufgefallen und welche Schlüsse ziehen Sie?

Ulrike Czech: Ich untersuchte, ob und inwieweit Partizipation mit Kindern im Alter von null bis drei Jahren in der familiären und der außerfamiliären Betreuung umgesetzt wird. Dafür befragte ich Eltern und pädagogisch tätige Personen aus verschiedenen Betreuungssettings.

Es zeigte sich, dass Partizipation von den Befragten hauptsächlich intuitiv gestaltet wird. Nur in Ausnahmefällen diente die konkrete Auseinandersetzung mit den Themen Macht, Bild vom Kind, Demokratiebildung und dem grundlegenden Recht auf Beteiligung als Basis für das eigene Handeln. Dabei unterschieden sich die Herangehensweisen von Eltern und pädagogisch tätigen Personen nur geringfügig.

Das Bild des kompetenten und selbstaktiven Kindes ist in unserer Gesellschaft noch nicht vollständig verinnerlicht. Machtverhältnisse wie zwischen älteren und jüngeren Menschen werden immer wieder reproduziert und aufrechterhalten. Nur selten werden diese kritisch hinterfragt. Hier muss sich etwas ändern. Wir brauchen diesbezüglich dringend einen Bewusstseinswandel.

Leider gibt es noch zu wenige praktische Hilfestellungen, die sich mit der Partizipation für Kinder unter drei Jahren befassen. Was ist Ihrer Ansicht nach für eine gelingende Umsetzung wichtig?

Ulrike Czech: In einem ersten Schritt geht es darum, sich bewusst dafür zu entscheiden, partizipativ zu leben. Hierzu gehört zum einen, sich allgemein mit dem Thema Partizipation und mit Erfahrungen aus der eigenen Kindheit auseinandersetzen. Zudem ist es entscheidend, die eigene Einstellung und Haltung zu betrachten und ein Grundverständnis über Machtverhältnisse zu entwickeln. Gleiches gilt für die Kenntnis über frühkindliche Lern- und Entwicklungsprozesse.

Um es für mich selbst greifbarer zu machen, habe ich die Frage nach Partizipationsmöglichkeiten einfach umgedreht und mich mit den Hürden für Partizipation befasst. Um dies zu ergründen hilft es, sich folgende Fragen zu stellen: Aus welchem Recht heraus entscheiden wir Erwachsenen für Kinder? Wieso meinen Erwachsene, sie wüssten besser, was Kinder brauchen, fühlen, denken etc.? Warum werden verbale oder nonverbale Äußerungen von Kindern weniger wichtig genommen? Bei Partizipation geht es schließlich um die Gleichwertigkeit aller. Alle Äußerungen, Empfindungen, Wünsche und Bedürfnisse haben den gleichen Wert. Keiner steht über dem anderen.

In einem zweiten Schritt wird es einem dann viel leichter fallen, alltägliche Situationen für sich selbst zu prüfen: Wobei ist es mir bereits gut gelungen, dass Kind einzubeziehen? Wo nicht? Was sind Gründe dafür und wie kann ich sie verändern?

In einem dritten Schritt kann man dann schauen, wo weitere Beteiligungsmöglichkeiten geschaffen werden können und wie Beteiligung dort umgesetzt werden kann. Der Alltag bietet dafür viele Gelegenheiten, wie beispielsweise die Genusszeit Essen und Trinken, entspanntes Schlafen und Ruhen, die Intimsphäre Hygiene, die freie Entfaltung im Spielen, Kommunikation, der respektvolle Umgang im Konflikt oder das gemeinsame Finden von Regeln.

Die Ergebnisse Ihrer Untersuchung fließen jetzt in ein praktisches Arbeitsbuch der IKS mit dem Titel “Miteinander leben – Wie Beteiligung von Kindern zwischen null und drei Jahren gelingen kann“ ein. Was erwartet die Leser*innen konkret?

Ulrike Czech: Partizipation mit Kindern zu leben, heißt vor allem, auf sich selbst zu schauen und sein eigenes Handeln zu betrachten. Wir wollen Mut machen, Dinge, die ‘immer so waren‘ kritisch zu hinterfragen. Konkrete Fragestellungen helfen, sich in verschiedenen Handlungen zu reflektieren. Das ganze geschieht anhand beispielhafter Situationen aus der Interaktion mit Kindern unter drei Jahren. Neben diesen Reflexionsangeboten gibt es außerdem einen Wissensbereich zum Thema Partizipation.

Danke für das Gespräch.


Das Arbeitsbuch „Miteinander leben  - Wie Beteiligung von Kindern zwischen null und drei Jahren gelingen kann“ wird von der IKS herausgegeben und kann online bestellt werden.

Mehr dazu auf: www.iks-sachsen.de


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.

Die neue Ausgabe anspiel. mit dem Titel "Fachkräftemangel. Wirklich?" erscheint am 31. August 2018.

 

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