Kontaktaufnahme

Klient*innen als Kolleg*innen

Symbolbild: Drei Finger mit aufgemalten Gesichtern.

Die Belegschaft aus dem Kreis der Angebotsnutzerschaft heraus zu erweitern, ist nicht in allen Tätigkeitsfeldern der Sozialen Arbeit möglich. Für Träger, die mit psychisch erkrankten Menschen arbeiten, ist diese Option aber durchaus realistisch, wie der Psychosoziale Trägerverein Sachsen e. V. zeigt. Er beschäftigt erfolgreich psychiatrieerfahrene Menschen mit einer EX-IN-Ausbildung.

Selbsterfahrung stärker zu nutzen, findet in verschiedenen Bereichen Sozialer Arbeit zunehmend Anwendung. EX-IN ist hierbei eine Möglichkeit, um psychiatrieerfahrene Menschen für einen Einsatz im psychiatrischen System zu qualifizieren. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Fachkraftfrage sollten Arbeitgeber in diesem Tätigkeitsfeld daher ihren Blick weiten. Aber auch für die Teams selbst bringt die Zusammenarbeit mit psychiatrieerfahrenen Personen Vorteile.

Der Psychosoziale Trägerverein Sachsen e. V. (PTV) beschäftigt derzeit zwei Personen, die über eine EX-IN-Ausbildung verfügen. Auf das Thema angesprochen zeigt sich der Vorstand Kay Herklotz begeistert: „Die Beschäftigung der EX-IN-Qualifizierten hat uns viel gebracht - sowohl für unsere Teams als auch für die fachliche Arbeit insgesamt“.

Nicht erlernbare Fähigkeiten ins Team einbinden

Der Träger sieht die psychiatrieerfahrenen Mitarbeitenden als wichtige Ergänzung im Sinne multiprofessioneller Teams. Sie fügen der vorhandenen Fachlichkeit eine Fähigkeit hinzu, die nicht erlernbar ist, und ermöglichen neue Zugänge zu den Klient*innen. So ist beispielsweise das Nähe-Distanz-Verhältnis der Selbsterfahrenen zu den Angebotsnutzenden ein anderes als es bei den übrigen Mitarbeitenden der Fall ist. Die vorhandene Selbsterfahrung ermöglicht ein besseres Verständnis des jeweiligen Zustands der erkrankten Personen und hilft bei der situationsgerechten Ansprache. Oder eben dabei, ob eine Ansprache besser unterbleiben sollte, da sie im Augenblick nicht zielführend ist. Das hilft dem gesamten Team, einzelne Klient*innen noch besser zu verstehen, da ein Teammitglied jetzt in der Lage ist, die Erfahrungen direkt zu spiegeln. Das Gespür für das Machbare steigt.

„Auch unsere hoch qualifizierten und erfahrenen Fachkräfte bestätigen, dass ihnen die Zusammenarbeit mit den EX-IN-Kollegen neue Sichtweisen beispielsweise auf den jeweiligen Zustand von Menschen in unserer Wohngruppe gegeben hat. Die Sensibilität des Teams für einzelne Krankheitsbilder ist so nochmal verbessert worden. Dieser fachliche Gewinn hilft allen Beteiligten und ist in der Arbeit deutlich spürbar“, sagt Kay Herklotz.

Positive Effekte auf alle Mitarbeitenden

Die Anerkennung der EX-IN-Ausgebildeten als vollwertige Teammitglieder ist dafür entscheidend. Das Klima und die Empathiekompetenz in den jeweiligen Teams haben sich positiv entwickelt. Aus Sicht des Gesundheitsmanagements ist es dazu besonders erfreulich, dass die Kolleg*innen gelernt haben, die eigenen Belastungsgrenzen noch einmal besser wahrzunehmen. Der Austausch darüber läuft offener und die gegenseitige Unterstützungsbereitschaft ist erneut gewachsen.

Zudem erfolgt die Zielsetzung für die eigene Arbeit realistischer. Das ist nicht nur der Gesundheit der Beschäftigten zuträglich, sondern sorgt auch für eine höhere Arbeitszufriedenheit, die letztendlich förderlich auf die Bindung an Unternehmen wirkt.

Schrittweise Aufgabenprofile entwickeln

Den oft geäußerten Vorbehalt, dass die Ausfallquote der psychiatrieerfahrenen Menschen höher sei, kann Kay Herklotz nicht bestätigen: „Die Kollegen sind sehr zuverlässig. Die EX-IN-Ausbildung stärkt die Menschen gerade dabei, ein klares Bild von der eigenen Belastbarkeit zu besitzen. Außerdem verfügen sie über eine angemessene Distanz zum eigenen Krankheitsbild. Und eine gute Grundlage für die verlässliche Leistungsfähigkeit bildet auch das gemeinsam entwickelte Aufgabenprofil.“

Darüber hinaus spielt ein stabiles und offenes Team eine zentrale Rolle. Der PTV setzt bewusst auf die schrittweise Einbindung in das jeweilige Tätigkeitsfeld und vermeidet dadurch Überforderungssituationen. Die aktuell beschäftigten EX-IN-Qualifizierten sind daher auch in ganz unterschiedlichen Bereichen mit verschiedenen Aufgaben betraut. Sie arbeiten in einer Wohneinrichtung und in einem Inklusionsprojekt.

Flexibilität und die Bereitschaft zum Scheitern

Die Perspektive bei EX-IN liegt immer auf den Genesungserfolgen und den Ressourcen anstatt auf einer Pathologisierung. Dennoch kann man auftretende Phasen psychischer Erkrankungen nicht völlig ausblenden. „Obwohl wir weitgehend gute Erfahrungen mit den EX-IN-Kollegen gemacht haben, muss man als Arbeitgeber immer eine gewisse Flexibilität mitbringen. Diese ist besonders am Anfang wichtig, um Belastungsgrenzen zu erkennen und Über- oder Unterforderungen zu vermeiden“, räumt der Vorstand ein.

Schwerwiegende Ausfälle gab es beim PTV jedoch noch nie. Die Mitarbeitenden kennen sich selbst sehr gut und senden rechtzeitig Signale, wenn die Krankheit das eigene Handeln zu beeinflussen beginnt. Die Leitungskräfte, aber auch die Teams als Ganzes besitzen mittlerweile ebenfalls ausreichend Feinfühligkeit, um frühzeitig zu reagieren. So lassen sich eventuelle Ausfälle gut kompensieren. Mit Blick auf die gesamte Belegschaft des PTV lässt sich feststellen, dass EX-IN-Kolleg*innen keinesfalls häufiger krank sind als die übrigen Arbeitnehmer*innen. Es kann sich also für alle Beteiligten im sozialen Sektor nur lohnen, EX-IN-Qualifizierte zu beschäftigen.


Sie wollen mehr über die Erfahrungen des Psychosozialen Trägervereins Sachsen wissen? Informationen dazu auf: www.ptv-sachsen.de


Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 2.2018 unseres Verbandsmagazins anspiel.