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Kommentar: Der Fackelzug von Grimma ist ein Weckruf

Kampagne Hand in Hand gegen Rassismus Menschenkette;

Die schweigende Mehrheit in unserem Land muss laut werden, ist unser Landesvorsitzender Christian Kamprad mit Blick auf den Fackelzug vor dem Haus von Sozialministerin Petra Köpping überzeugt.

Vor Ängsten ist niemand gefeit. Das wäre auch fatal, da sie zum Menschsein ebenso dazugehören wie andere Empfindungen auch. Angst ist hilfreich. Sie kann uns vor Schaden bewahren. Unsere Aufmerksamkeit steigern. Angst kann aber auch blind machen. Sie kann den Blick auf die Realität vernebeln und uns zu rein emotional gesteuerten Wesen machen, die für sachliche Argumente nur noch schwer erreichbar sind.

Doch gerade für eine Demokratie, deren Kern der Dialog und das respektvolle Ringen um Lösungen sind, kann ein von Angst verstellter Blick zur Gefahr werden. Das Gespräch und offenes Aufeinanderzugehen sind unabdingbar für eine Gesellschaft, die miteinander und nicht gespalten leben möchte. Das ist nicht nur meine persönliche Ansicht, sondern auch Grundhaltung des Paritätischen Sachsen, der wie kein anderer Wohlfahrtsverband von Vielfalt geprägt ist.

Dialog kann aber auch an Grenzen stoßen. Dessen müssen wir uns schmerzlich bewusst werden, wenn wir die zunehmend radikaleren Proteste von Impfgegner*innen und selbsternannten Querdenkern sehen, die inzwischen oft von Rechtsradikalen unterwandert sind. Von sachlicher und vielleicht berechtigter Kritik haben sich die Beteiligten längst entfernt. Der Fackelaufzug vor dem Privathaus der sächsischen Sozialministerin Petra Köpping ist ein weiterer trauriger Beweis dafür. Wer mit derart martialischen Gesten versucht, politisch Andersdenkende unter Druck zu setzen, hat die Bodenhaftung zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung verloren.

Den Solidaritätsbekundungen für Petra Köpping schließen wir uns als Verband vorbehaltlos an und verurteilen das Verhalten der Aufmarschierenden auf das Schärfste. Ja, auch wir als Verband sind nicht mit allen von der Staatsregierung während der Pandemie getroffenen Entscheidungen zufrieden. Bedrohung oder Gewalt sind jedoch nie Mittel, um gesamtgesellschaftliche Lösungen zu finden.

Mit Petra Köpping ist eine auch über Sachsen hinaus bekannte Persönlichkeit von den unsäglichen Handlungen radikalisierter Personen betroffen. Spricht man mit Beobachter*innen der Szene, wird schnell klar, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Lokalpolitiker*innen oder zivilgesellschaftliche Akteur*innen im ländlichen Raum kennen ähnliche Begebenheiten schon länger. Die Begegnungen mit Personen, die sich vom Dialog verabschiedet haben, die mit Beschimpfungen anstatt mit Argumenten daherkommen oder unverhohlen mit Gewalt drohen, haben in den letzten Jahren zugenommen.

Dabei dürfen wir jedoch nicht vergessen: Es handelt sich immer noch um eine Minderheit in unserem Land. Selbst wenn deren mediale Präsenz etwas anderes vermuten lässt. Die Mehrheit hingegen schweigt noch zu oft. Deshalb muss der Fackelzug vor dem Privathaus von Petra Köpping für alle Demokrat*innen ein Weckruf sein, der genau das Gegenteil von dem erzeugt, was die Aufmarschierenden erreichen wollten. Wir alle, die für Grundrechte und Freiheit, Dialog und Menschenrechte, respektvollen Umgang miteinander und das Bekenntnis zu einer vielfältigen Gesellschaft stehen, dürfen nicht mehr schweigen. Wir müssen jetzt eine Grenze ziehen. Demokratie ist nicht selbstverständlich. Das muss angesichts der Bilder aus Grimma der schweigenden Mehrheit bewusstwerden. Sonst wachen wir eines Tages auf und müssen bemerken, dass es zu spät ist. Das darf auf keinen Fall geschehen.


Der Autor: Christian Kamprad ist Geschäftsführer des Bildungs- und Sozialwerks Muldental e.V. und auf der Mitgliederversammlung 2021 zum Landesvorsitzenden des Paritätischen Sachsen gewählt worden.