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Kommentar: Für eine Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit

Symbolbild: Mehrere Menschen stehen nebeneinander und halten sich gegenseitig an ihren hochgestreckten Händen.

In erwartbarer Regelmäßigkeit flammt sie auf, die Debatte um einen Pflichtdienst oder ein sogenanntes Gesellschaftsjahr. Junge Menschen sollen so zum Engagement angehalten werden, das gesellschaftliche Miteinander Stärkung erfahren. Warum ein Rechtsanspruch auf Freiwilligendienste diese Ziele besser ermöglichen könnte, erklärt Maria Hille, Bereichsleiterin Jugendfreiwilligendienste der Paritätische Freiwilligendienste Sachsen gGmbH.

Die Forderung nach einem Pflichtdienst wirkt auf den ersten Blick verlockend: Mehr helfende Hände in gesellschaftlich wichtigen Bereichen und ein vermeintlicher Beitrag gegen die sogenannte Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft. Doch bei genauerer Betrachtung wird klar, dass ein Pflichtdienst dies nur bedingt leisten kann. Denn Zwang kann keine echte Solidarität hervorbringen. Von den hohen Kosten bei geringer Wirksamkeit ganz zu schweigen.

Pflichtdienst: Idee mit Fallstricken

Die Pflichtdienstdebatte scheint mir etwas aus der Zeit gefallen. Mit Formulierungen wie „der Gesellschaft etwas zurückgeben“ oder „die Unwilligen aktivieren“ wird der paternalistische Ansatz der Befürwortenden augenscheinlich. Man kann den erhobenen Zeigefinger fast sehen, der mit derartigen Argumenten daherkommt. Ein Ansatz, der einer freien und pluralistischen Gesellschaft nicht gerecht wird. 

Gerne wird in der Debatte die Unwilligkeit der Jugend angeführt, die sich nicht mehr einbringe und nur noch in einer Konsumhaltung verharre. Die jährlich steigende Zahl an Freiwilligendienstleistenden widerspricht dieser Annahme deutlich. Jährlich leisten etwa 100.000 überwiegend junge Menschen freiwillig ihren Beitrag in sozialen, ökologischen oder kulturellen Einrichtungen. 

Junge Menschen müssen nicht gezwungen werden, sich gesellschaftlich einzubringen. Engagement gedeiht dann am besten, wenn es aus freiem Willen entsteht. Das erleben wir in der Praxis jeden Tag. Nur ein selbstbestimmtes Engagement kann die intrinsische Motivation und die langfristige Bereitschaft zu ehrenamtlicher Arbeit fördern. 

Zudem irritiert mich der Ansatz, das gesellschaftliche Miteinander mittels Pflicht erreichen zu wollen. Eine solidarische Gesellschaft lässt sich nicht erzwingen. Sie muss erarbeitet werden, indem man Mitwirkung ermöglicht und den Menschen Gestaltungsspielräume aufzeigt. Daher muss für freiwilliges Engagement geworben und es müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, welche Freiwilligkeit mobilisieren und wertschätzen.

Dass dies gelingen kann, zeigt die Rückschau auf das Jahr 2010, das letzte vollständige Jahr der Wehrpflicht. Groß waren damals die Befürchtungen vor einer Versorgungslücke, die aufgrund der Aussetzung der Wehrpflicht entstehen würde. Im Jahr 2010 waren noch knapp 78.500 Männer im Zivildienst tätig. Die damals besetzten Einsatzplätze wurden jedoch längst durch die Freiwilligendienste kompensiert. 

Darüber hinaus birgt die Idee eines Pflichtdienstes zahlreiche Fallstricke. Die Einführung eines verpflichtenden sozialen Jahres für alle jungen Menschen ab 18 Jahren würde bedeuten, dass jährlich für etwa 500.000 Personen geeignete und arbeitsmarktneutrale Tätigkeiten gefunden werden müssten. Hinzu kommt ein enormer Verwaltungsaufwand, der mit hohen Kosten für den Bundeshaushalt einhergehen würde. Schätzungen belaufen sich auf jährlich über 13 Mrd. Euro. Ausbau und Förderung des Rechtsanspruches auf Freiwilligendienste würden sich demgegenüber lediglich auf 2,7 Mrd. Euro belaufen.

Die bessere Alternative: Ein Rechtsanspruch auf Freiwilligendienste 

Wirklich solidarisch wäre es doch, die Freiwilligkeit zu fördern und diese so attraktiv zu gestalten, dass sie zu einem natürlichen Bestandteil der Lebensbiografie junger Menschen wird. Das Konzept einer bereits jetzt erfolgreichen „Kultur selbstverständlicher Freiwilligkeit“ bietet tatsächlich die Chance, Engagement und Miteinander langfristig zu stärken. Dafür sind drei Aspekte wichtig:

Jede Vereinbarung zwischen Freiwilligen, Trägern und Einsatzstellen soll bedarfsgerecht gefördert werden. Begrenzte Platzzahlen dürfen hierbei kein Hindernis sein. Bürger*innen sollten also einen Rechtsanspruch auf einen Freiwilligendienst haben.

Soziale Herkunft oder finanzielle Ressourcen dürfen keine Rolle spielen, wenn Menschen einen Freiwilligendienst leisten wollen. Daher sollte für alle Freiwilligen ein staatlich finanziertes Freiwilligengeld auf BAföG-Niveau gezahlt werden.

Gerade junge Menschen am Ende ihrer Schullaufbahn müssen die Möglichkeiten eines Freiwilligendienstes kennen. Eine umfassende Informationskampagne muss sicherstellen, dass alle Schulabgänger*innen Bescheid wissen und zu einem Engagement eingeladen werden.

Die Vision eines Rechtsanspruchs auf Freiwilligen-dienste ist eine pragmatische und nachhaltige Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit. Sie fördert Solidarität, stärkt die Demokratie und ermöglicht jungen Menschen prägende Erfahrungen – ohne Zwang, aber dafür mit Perspektive. Das ist nicht nur ein Gewinn für die jungen Menschen, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes. Junge Menschen, die einen Freiwilligendienst absolvieren, bleiben der Gesellschaft oft langfristig als aktive Mitgestalter*innen erhalten.

Freiwilligendienste sind ein Gewinn für die Gesellschaft und die Einzelnen

Die Vision der verbandlichen Zentralstellen und Zusammenschlüsse ist klar: Bis 2030 soll die Zahl der Freiwilligendienstleistenden auf 200.000 pro Jahr verdoppelt werden. Das kann gelingen, denn immer dann, wenn gesetzliche Rahmenbedingungen verbessert wurden, stiegen auch die Teilnehmendenzahlen. Bessere Förderbedingungen motivieren mehr junge Menschen, einen Dienst zu leisten. 

Anstatt wiederholt Debatten über einen Pflichtdienst zu führen, sollten wir Freiwilligendienste nachhaltig stärken. Entscheidungsträger*innen sollten die Potentiale für das gesellschaftliche Miteinander nutzen. Setzen wir auf Freiwilligkeit – für eine starke und solidarische Gesellschaft.


Kontakt:

Maria Hille (Bereichsleiterin Jugendfreiwilligendienste, Paritätische Freiwilligendienste Sachsen gGmbH)
Tel.: 0351 - 828 71 320
E-Mail: hille(at)parisax-freiwilligendienste.de


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe März 2025 des Verbandsmagazins anspiel.