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Kommentar: Gesetze für die Praxis machen

Auf der Hand eines älteren Menschen, die auf dem Griff eines Gehstocks liegt, liegt die Hand einer Pflegekraft.

Seit dem 15.3. greift die einrichtungsbezogene Impfpflicht. Die sicher gut gemeinte Idee, um sogenannte vulnerable Gruppen vor einer Corona-Infektion zu schützen, erweist sich in der praktischen Umsetzung als schwierig. Julia Liebscher, Referentin Altenhilfe und Pflege, kommentiert.

Schon die Verabschiedung des Gesetzes im Dezember 2021 beunruhigte insbesondere die Einrichtungen und Dienste in der Pflege. Kein Wunder, denn die Altenpflege ist seit Jahren damit beschäftigt, eine Reform nach der nächsten umzusetzen. Anforderungen an die praktische Arbeit sind in ständiger Veränderung und die Arbeitsbelastung für Personal und Fachkräfte scheint immerfort zu steigen. Die Corona-Pandemie verschärfte die Lage erneut.

Unabhängig davon, wie man zu einer einrichtungsbezogenen Impfpflicht steht und inwieweit sie ein geeignetes Instrument zum Schutz vulnerabler Gruppen ist, waren es die vielen offenen Fragen zur Umsetzung, die die betroffenen Akteure verunsicherten. Um diese Unsicherheit abzufangen, organisierte das Referat Pflege des Paritätischen Sachsen seit Jahresbeginn wöchentliche Videokonferenzen, in denen die Fragen der Mitglieder aufgenommen und aktuelle Entwicklungen kommuniziert wurden. Neben den teils kleinteiligen Beratungen von Mitgliedsorganisationen mussten deren Ergebnisse aufbereitet und gegenüber den zuständigen Akteur*innen auf Landes- und regionaler Ebene vertreten werden. Dies geschah immer im Wissen, dass der Kenntnisstand und die innerverbandliche Willensbildung von aktuellen Entwicklungen bereits überholt sein könnten.

Die anfangs noch bestehende Zuversicht, dass sich bis zum Stichtag 15.3.2022 alles klärt, wurde von der Ernüchterung über sich verändernde Auslegungen verdrängt. Landesregelungen ließen auf sich warten. Die Umsetzungshinweise wurden immer länger. Zuständigkeitszuweisungen ließen verlässlich geglaubte Informationen wieder fraglich erscheinen. Einige Fragen - insbesondere zum Umgang mit externen Dienstleistern oder Haftungsfragen – sind bis heute offen. Es gibt sogar Beschäftigtengruppen, bei denen noch immer nicht eindeutig ist, ob sie unter die Impfpflicht fallen oder nicht. Zu erwarten sind in Sachsen zudem 13 unterschiedliche Umsetzungen des Gesetzes, je nach Auslegung durch das zuständige Gesundheitsamt. Hier hat sich der Paritätische immerhin erfolgreich gegen pauschale Betretungs- bzw. Beschäftigungsverbote, den Fokus auf die Versorgungssicherheit und die Anhörung der Einrichtungen eingesetzt. Das Fachreferat Altenhilfe und Pflege mutierte zum Fachreferat Impfpflicht. Themen mussten liegen bleiben.

Diese Gemengelage trifft auf eine Pflegelandschaft, die seit Jahren in Bewegung ist. Deren Beschäftigte nach zwei Jahren Corona-Pandemie und vielen Hygieneauflagen ermüdet sind. Die sich parallel mit nicht minder komplexen Prozessen konfrontiert sieht, wie der Einführung einer Tarifbindung, einem hohen Krankenstand und der ohnehin angespannten Personalsituation. Spannend wird der Sommer, wenn die verbliebenen Pflegekräfte in ihren mehr als verdienten Jahresurlaub gehen wollen. Die Dienstplanung ist schon jetzt eine Drahtseilakt und fordert von den Verantwortlichen nicht nur Managementfähigkeiten, sondern auch Kreativität und immer öfter auch den Mut zur Lücke

Auf der anderen Seite ist die öffentliche Verwaltung zu sehen. Verantwortlich für die Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht sind die Gesundheitsämter und Landkreisverwaltungen. Jene Institutionen, die pandemiebedingt auch schon auf dem sprichwörtlichen Zahnfleisch gehen. In denen es ebenfalls an Personal mangelt und deren technische Ausstattung meist nicht dem entspricht, was effektives Arbeiten unterstützt. Wir sprechen hier von jenen Verwaltungseinheiten, die zudem aufgrund der Fluchtbewegung aus der Ukraine, für die Unterbringung und Teilhabe von abertausenden Kriegsvertriebenen verantwortlich sind. Hinsichtlich des letzten Aspektes können wir froh sein, dass zivilgesellschaftliche und gemeinnützige Akteure an dieser Stelle bereits viel leisten. Das Aufgabenvolumen für die Verwaltung bleibt dennoch beträchtlich.

Die gut gemeinte Idee des Gesetzes trifft auf eine Realität, in der wir dringend aufpassen müssen, dass allen Beteiligten nicht die Puste ausgeht. Die jetzigen Erfahrungen müssen in der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht dringend berücksichtigt werden. Politisch Verantwortliche waren bei keinem Thema mehr gefordert, die gewünschte Wirkung und das Machbare gut abzuwägen. Denn die Unschärfe der Regelungen zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht hat bis jetzt nicht nur die konkret betroffenen Akteure enorm belastet, sondern auch gesellschaftlich ihre Spuren hinterlassen. Das darf in dieser Form nicht noch einmal geschehen.


Kontakt:

Julia Liebscher, Referentin Altenhilfe und Pflege
Tel.: 0351 - 828 71 142
E-Mail: julia.liebscher(at)parisax.de