Was haben Straßenbahnfahrten und Häusliche Krankenpflege gemein? Egal, wie viele Haltestellen man fährt - der Preis bleibt gleich. Und egal, wie viele Leistungen in der Häuslichen Krankenpflege erbracht werden – auch hier bleibt der Preis gleich. Matthias Steindorf kritisiert das bestehende Vergütungssystem.
So erhält ein Pflegedienst beispielsweise für einen Einsatz in der Häuslichen Krankenpflege in der Leistungsgruppe 1 genau 7,27 Euro. Zur Leistungsgruppe 1 gehören: Blutzuckermessung, Blutdruckmessung, Medikamentengabe als Richten und als Verabreichen, subkutane Injektionen, Richten von Injektionen, Kälteträger auflegen, Kompressionsstrümpfe an- und ausziehen sowie Kompressionsverband abnehmen. Egal, wie viele der aufgezählten Leistungen erbracht werden, es bleiben 7,27 Euro.
Und das ist noch nicht alles. In den 7,27 Euro stecken auch die Fahrzeit zum Einsatz, das Geld für Kraftstoffe und die Parkgebühren in Städten, für Ausfallzeiten wie Urlaub, Krankheit und Weiterbildung, Nacht- und Feiertagszuschläge, die Mitnahme einer zweiten Arbeitskraft (z.B. bei schwierigen häuslichen Verhältnissen), die Dokumentation der erbrachten Leistungen, Qualitätssicherung, Abstimmungen mit Ärzten sowie die Allgemeinkosten des Pflegedienstes wie Leitung, Verwaltung und sämtliche Sachkosten.
Mehr erbringen für gleiches Geld?
Oder schauen wir auf die Leistungsgruppe 3, für die es 11,52 Euro gibt. Dazu gehören Aufgaben wie das Absaugen der oberen Luftwege, Blasenspülung, Dekubitusbehandlung, dermatologische Bäder, tropfenweises Einbringen ärztlich verordneter flüssiger Medikamente in Harnblase, Harnröhre oder Darm, Einlauf, Klistier, Klysma, digitale Enddarmausräumung, Kompressionsverband anlegen, Stomabehandlung, stützende und stabilisierende Verbände, Wundverbände anlegen und wechseln einschließlich Versorgung der Wunde sowie zentrale Venenkatheter pflegen und wechseln. Ja, es gibt 11,52 Euro - egal wie viele Leistungen und inklusive aller weiteren Kosten. Erbringen Sie außerdem noch Leistungen der Leistungsgruppe 1, bleibt es trotzdem nur bei den insgesamt 11,52 Euro.
Und das alles soll möglichst mit motivierten Pflegefachkräften erfolgen. Geht das und wie geht das? Es geht. Und zwar zu Lasten der Arbeitsbedingungen - Schneller, schneller, schneller. Zu Lasten der Pflegebedürftigen, für die keine Zeit da ist. Zu Lasten der Qualität. Zu Lasten des Pflegeberufes. Täglich ist die Pflege in den Medien - mit schlechten Arbeitsbedingungen, schlechtem Image, mangelnder Qualität … Fazit: Es geht so nicht weiter!
Endlich für gute Arbeitsbedingungen in der Pflege sorgen
Eine zukunftsfähige Pflege kostet Geld. Aber es geht hier um mehr als nur um Geld. Es geht um gute Arbeitsbedingungen, die den Pflegeberuf attraktiv und zukunftsfähig machen. Die gesonderte Abrechnung von Fahrzeiten würde zum Beispiel den Stress im Straßenverkehr reduzieren. Eine zweite Pflegekraft reduziert den Stress bei der Leistungserbringung. Die Anerkennung jeder Leistungsgruppe würdigt die Hochwertigkeit und Qualität der Arbeit, die Pflegende tagtäglich erbringen.
Was könnten also stattdessen Fernbahnfahren und Häusliche Krankenpflege gemeinsam haben? Ganz einfach: Je mehr Haltestellen, umso höher der Preis. Nimmt man eine zweite Person mit, kostet die extra. Und der Weg zum Bahnhof ist auch zu bezahlen. Dieses Modell brauchen wir für die Häusliche Krankenpflege.
Laut Medienberichten haben die gesetzlichen Krankenkassen 2017 einen Überschuss von 3,1 Milliarden Euro erzielt. Damit steigen die Rücklagen und Reserven der Kassen auf 19 Milliarden Euro. Zusammen mit den von Fachleuten auf 9 Milliarden Euro kalkulierten Rücklagen im Gesundheitsfonds ergibt sich daraus eine Gesamtreserve im Gesundheitssystem von 28 Milliarden Euro. Die Krankenkassen wollen das Geld als Vorsorge für schlechte Zeiten nutzen. Dem stimmen wir zu. Aber nicht, indem es zurückgelegt wird. Sondern indem es in gute Arbeitsbedingungen für die Zukunft der Pflege investiert wird. Und zwar ab sofort - die Zeit drängt!
Matthias Steindorf ist Bereichsleiter Soziale Arbeit und Bildung des Paritätischen Sachsen. Er leitete viele Jahre das Fachreferat Pflege und begleitet aktuell Träger bei Kostensatzverhandlungen. Zudem ist er Mitglied der Pflegesatzkommission im Freistaat Sachsen.
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