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Kommentar: Keine Pause für Inklusion an Sachsens Schulen

Dr. Susanne Kleber, Referat Bildung, Paritätischer Sachsen

Dr. Susanne Kleber, Referentin für Bildung

Inklusion in der Schule ist gescheitert? Wir haben doch noch gar nicht richtig angefangen, kommentiert Dr. Susanne Kleber, Referentin für Bildung, die aktuelle Diskussion um schulische Inklusion.

Vieles hört und liest man derzeit vom Scheitern der Inklusion. Gleichzeitig berichtete erst kürzlich die Zeitschrift KLASSE  (2/2018) des Sächsischen Staatsministeriums für Kultus (SMK) über das erfolgreiche Projekt Inklusionsassisten*innen der TU Chemnitz. In derselben Ausgabe erzählte eine Schulleiterin unter der Überschrift ‚Inklusion braucht Zeit‘ über ihre Erfahrungen mit dem Schulversuch ERINA. Also: Was läuft falsch?

Die ersten Schritte erschienen so vielversprechend

Vor fast 20 Jahren hat Deutschland das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung – die sogenannte UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) – ratifiziert. Sie ist  daher in allen Bundesländern völkerrechtlich verbindlich. Die UN-BRK soll eine vollumfängliche und gleichberechtigte aktive gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen mit Behinderungen gewährleisten.

Um entsprechende Schritte für die Inklusion im schulischen Bereich in Sachsen einzuleiten, berief der damalige Kultusminister Prof. Dr. Roland Wöller im August 2011 ein Expert*innengremium Inklusion ein. Dieses sollte entsprechende Empfehlungen erarbeiten, wie das sächsische Schulsystem im Sinne der UN-BRK zu entwickeln sei. Insgesamt dreizehnmal tagte das Gremium bis Ende 2012.

Parallel dazu forderte der Sächsische Landtag die Staatsregierung auf einen Maßnahmeplan vorzulegen, wie Schule in Zukunft inklusiv zu gestalten ist. Was im Dezember 2012 geschah und konkrete Handlungsansätze für die folgenden fünf bis zehn Jahre vorschlug.

Eigentlich lagen somit das Ziel und der Weg dorthin in greifbarer Nähe. Wenn also alle ihre Hausaufgaben machen, würde spätestens 2017 (2022) zieldifferentes Lernen von Schüler*innen in allen Schulformen (außer der Ausbildung/berufliche Ausbildung) möglich sein. So die Hoffnung.

Wissen vs. Handlungswillen

Nun schreiben wir Mitte 2018 und erklären die Inklusion für gescheitert. Warum? Warum müssen selbst die Beauftragten von Bund und Ländern für die Belange von Menschen mit Behinderungen kürzlich in ihrer Hannoverschen Erklärung erneut fordern, dass inklusive Bildung endlich deutschlandweit umgesetzt wird?

Die Erklärung erscheint recht einfach: Die Handlungsschritte sind an und für sich klar - nur der Handlungswille blieb auf der Strecke.

Denn es handelt es sich eben nicht um schlicht zu erledigende Hausaufgaben. Vielmehr fehlt es an professioneller Haltung. Das gilt in gewissem Maße für alle Ebenen  für Pädagog*innen, für Politiker*innen, für die Verwaltung.

Obwohl die Staatsregierung eine breite thematische Diskussion in der Öffentlichkeit ermöglichte, flossen die dabei entstandenen Vorschläge und Anregungen nur zu einem Bruchteil in die Novellierung des Sächsischen Schulgesetzes 2017 ein.

Die Kommunen und Schulen haben aufgezeigt, welche Unterstützung notwendig ist, um das Ziel einer gemeinsamen Lernkultur vor Ort zu erreichen. Allein es fehlte der politische Wille, hier für eine auskömmliche Finanzierung zu sorgen.

Inkludiert oder einfach nur umetikettiert?

Nicht nur Hans Wocken – Erziehungswissenschaftler im (Un)Ruhestand – spricht von einem „Separationsstillstand “. In einem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung stellt er fest, dass die „nackte empirische Wahrheit“ darin besteht, dass in acht Jahren die Förderschulquote lediglich um 0,5 Prozent vermindert wurde.

Da verwundert es doch sehr, wenn einige Bundesländer von einer Inklusionsquote von um die 60 bis 84 Prozent berichten. Wie kommt es zu einem derart hohen Anteil an Schüler*innen mit sonderpädagogischen Förderbedarf, wenn die Zahl der Förderschüler*innen nur minimal gesunken ist?

Wocken stellt fest, dass sich in den besagten Inklusionsquoten Regelschüler*innen finden, die dank großzügiger Diagnostik als Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf identifiziert werden. Diese verbleiben in den Regelschulen und gelten als inkludiert. Eine wirkliche Inklusion jener Kinder und Jugendliche aus der separierten Eigenwelt Förderschule hat demnach überhaupt noch nicht stattgefunden. Das Minimalkriterium einer wirklichen Inklusionsreform muss jedoch die stetige Minimierung der Förderschulquote sein.

Loslegen und Chancen ergreifen

Diese Betrachtungswiese lässt den Schluss zu, dass nicht die Inklusion, sondern die Pseudo-Inklusion gescheitert ist und die Inklusionspolitik dringend umsteuern muss. Es braucht also:

  • ein klares politisches Bekenntnis zur Inklusion nach UN-BRK,
  • ein klares bildungspolitisches Bekenntnis zum Abbau der Separation und zum unumkehrbaren Rückbau des Sonderschulsystems,
  • eine klare Verpflichtung aller Schulgemeinschaften zur Inklusion unabhängig ihrer Schulart und
  • eine auskömmliche Finanzierung sowie eine Änderung der Ressourcensteuerung.

Wenn es endlich eine klare Haltung für Inklusion bei jedem Menschen gibt, dann sollte die sonderpädagogische Ressoucenbeschaffungsdiagnostik und Etikettierungsschwemme der Vergangenheit angehören. Hans Wocken hat dafür einen praktikablen Vorschlag: „Statt Ressourcen pro Kopf zuzuweisen, sollten sie systemisch an der Gesamtschülerzahl sowie den Prävalenzraten von Behinderungen orientiert und mit einem Sozialindex für schulische Einzugsbereiche verknüpft werden.“

Also: Weg vom Aktionismus hin zu zielführenden Aktionen! Inklusion ist Ausdauertraining im Breitensport und kein Hürdensprint bei Olympia. Es darf keine Pause für Inklusion geben, denn es geht um unsere Zukunft als inklusive Gesellschaft.

Kontakt:

Dr. Susanne Kleber, Referentin Bildung
Tel.: 0351/ 491 66 66
E-Mail: susanne.kleber(at)parisax.de