Ab Herbst 2023 werden Ausfallzeiten bei der personellen Ausstattung in Sachsens Kitas stärker berücksichtigt. Ein richtiger Schritt, findet unsere Bildungsreferentin Anne Cellar. Vom Aufbau einer Personalreserve könne jedoch noch keine Rede sein.
„Starke Kitas, gute Schulen“ lautet das Motto des Kultusministeriums hinsichtlich der sächsischen Bildungspolitik und alle Regierungsfraktionen eint das Ziel, die Bildungsqualität stärken zu wollen. Das klingt gut. Zudem sind wir eines der wenigen Bundesländer, die dem Fachkräftemangel halbwegs entspannt entgegenblicken können. Freiwerdende Stellen können gut nachbesetzt werden, viele Absolvent*innen pädagogischer Berufe stehen in den Startlöchern und sinkende Kinderzahlen lassen den Druck auf die Orte frühkindlicher Bildung sinken. Soweit das Bild, welches Politik und Verwaltung zeichnen. Blicken wir in die Praxis, sieht es jedoch etwas anders aus.
Kita-Alltag: ein Balanceakt
Lassen Sie mich das beispielhaft darstellen: In einem Kindergarten leben und lernen täglich 100 Kinder. Sie werden zwischen 6 und 17 Uhr von neun Pädagog*innen begleitet. So weit sind wir noch im Bild von SMK und Politik. Leider findet sich die beschriebene Situation aber nur auf dem Papier wieder. Denn statistisch betrachtet sind in unserer Beispieleinrichtung täglich zwei Kolleg*innen krank, haben wohlverdienten Urlaub oder bilden sich fort. Nicht zu vergessen, dass die meisten Pädagog*innen nur in Teilzeit arbeiten. Konkret bedeutet dies, dass die Betreuung in den schwierig abzudeckenden Randzeiten halbwegs gelingt. Ferner erlaubt es die verringerte Personalausstattung auch noch, einen Ausflug abzusichern oder sich gegenseitig abzulösen, um wichtige Bildungsaufgaben zu erfüllen. Die Lage ist jedoch sprichwörtlich auf Kante genäht. Jede besondere Situation, die nun hinzukommt, bringt die Kita ins Straucheln.
Leider sind „besondere Situationen“ im Kita-Alltag gar nicht so besonders, sondern eher die Regel. Das heißt: Ein Kind hat ein neues Geschwisterkind bekommen und nässt neuerdings mehrmals am Tag ein. Ein anderes Kind ist sehr zurückgezogen und braucht Unterstützung, um teilzuhaben. Eines übt sich in Bewältigungsstrategien und beißt wiederholt andere Kinder. Wiederum ein anderes Kind teilt begeistert alles mit, was es gerade erlebt, und soll Gehör finden. Jedes Kind entwickelt sich unterschiedlich, hat eigene Themen und sein eigenes Tempo. Dem gerecht zu werden, ist Auftrag und Anspruch guter frühkindlicher Bildung. Mit der eingangs benannten theoretischen Personalausstattung ist das machbar - wenn da die Realität nicht wäre.
Ach, und dann ist da noch die Krankheitswelle. Leider verteilen sich Urlaub und Krankheit nicht gleichmäßig auf das Jahr und zudem auch noch planungstauglich zwischen Kindern und Fachkräften. Nein, es kommt in der Regel gehäuft. Der Ablauf, der dann folgt, ist immer gleich: Der Dienstplan wird angepasst. Die einzelnen Erzieher*innen betreuen noch mehr Kinder gleichzeitig, arbeiten mehr Stunden und verschieben private Angelegenheiten zum x-Mal. Ausflüge oder Projekte, Beobachtungen und pädagogische individuelle Begleitung? Fehlanzeige, denn jetzt geht nur noch der Betreuungsmodus. Und Eltern werden gebeten ihre Kinder früher abzuholen oder besser gleich zu Hause zu behalten.
Lösungen im Alltag, die keine sind
Welche Lösungen haben Einrichtungen derzeit zur Verfügung? Personaldienstleister werden eingesetzt, um die Lücken in den Teams zeitweise aufzufüllen. Bezüglich des Kinderschutzes und einer beziehungsorientierten Arbeit ist das jedoch mindestens bedenklich. Die Alternativen sind nicht besser: Familien durch Betreuungseinschränkung belasten oder das eigene Personal verschleißen.
Viele Einrichtungen setzen des Weiteren auf Transparenz und erstellen Notfallpläne, anhand derer sie die Auswirkungen der aktuellen Situation auf Betreuung, Bildung und Begleitung vor Ort darstellen. So sind alle Beteiligten im Bild. Das bessert die Lage zwar nicht, es macht diese aber sichtbar und ein Stück planbar. Es ist erschreckend, zu sehen, wie oft Kitas in Schieflage geraten.
Weg zur Bildungsqualität konsequent weiter gehen
Sie sehen: Das durch Politik und Verwaltung gezeichnete Bild ist mehr Wunschdenken als Realität. Aber seien wir fair - die sächsische Landesregierung ist nicht untätig. Sie sieht die Lücken und positioniert sich klar für Qualität. In den letzten Jahren wurden immer wieder kleine Schritte vollzogen, die zu Gunsten der Bildungsqualität gingen. Auch im aktuellen Doppelhaushalt sind Gelder eingestellt, mit denen ab Herbst die Fehlzeiten abgepuffert werden sollen. Mit Blick auf unsere Beispiel-Kita bedeutet das, dass eine Fachkraft mit 13 Wochenstunden zum Team hinzukommen könnte oder jede Fachkraft etwa 1,4 Stunden mehr zur Verfügung hat. Nur wirkt sich das auf den Betrieb leider kaum aus. Der Krisenmodus bleibt bestehen. Von einer Personalreserve, wie dieser Ausgleich nun benannt wird, können wir deshalb noch lange nicht sprechen. Die Personalreserve verdient diesen Titel erst, wenn die Fachkraft-Kind-Relation von 1:12 in der Kita erreicht ist und Personal darüber hinaus aufgebaut wird.
Zur Ehrlichkeit gehört jedoch auch, dass der Arbeitsmarkt aktuell nicht die Anzahl an Fachkräften hergeben würde, die wir dafür benötigen. Nun könnten wir sagen, die Kinderzahlen gehen perspektivisch zurück. Irgendwann gleicht sich das von allein aus. Das mag stimmen, doch dürfen wir diesen Moment nicht verpassen. Tritt er ein, müssen die Rahmenbedingungen für gute Bildungsqualität bereits gesetzt sein. Schon heute lassen sich demnach Maßnahmen ergreifen, die die jetzige Situation abmildern: mehr Möglichkeiten zur Berufsorientierung im sozialen Bereich, eine finanziell abgesicherte Ausbildung für zukünftige Fachkräfte und die Träger als Praxispartner, eine gestärkte Praxisanleitung, leichtere Anerkennung ausländischer Abschlüsse und ein klares Bekenntnis zur frühkindlichen Bildung. Das Ziel der starken Kitas teilen wir - gehen wir den Weg gemeinsam.
Kontakt:
Anne Cellar, Referentin Bildung
Tel.: 0351 - 828 71 146
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de