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Kommentar: Lernen aus der Krise – eine Hoffnung

Symbolbild: Corona Virus, covid-19

Welche Auswirkungen wird die Corona-Pandemie auf uns und die Gesellschaft haben? Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen, richtet einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.

Das gab es wirklich noch nie. Die Corona-Pandemie hat unsere Gewohnheiten - das was wir Normalität nennen - gehörig durcheinandergewirbelt. Was für den einen als Schreckensszenario daherkommt, sieht ein anderer als Chance. Doch was von beiden trifft nun eher zu?

Die Antwort darauf wird wohl sehr individuell ausfallen und stark davon abhängen, wie der jeweilige Umgang mit den gemachten Erfahrungen ist bzw. war. Als optimistischer Mensch möchte ich generell das Positive sehen. Gleichzeitig handelt es sich um eine nie dagewesene Situation, die wohl keiner von uns voll erfassen kann. Neben dem Willen, aus der bestehenden Lage heraus etwas gestalten zu wollen, spielt das Prinzip Hoffnung eine wichtige Rolle.  

Deshalb gestatten Sie mir eine hoffnungsvolle Fantasiereise in die Zukunft. Ich hoffe, dass wir – eines Tages von unseren Enkel*innen darauf angesprochen – Corona nur als ferne historische Begebenheit „damals im Jahr 2020“ erklären müssen. Als ein Frühjahr, in dem die ganze Welt für einige Wochen zu Hause blieb und viele Bereiche des täglichen Lebens heruntergefahren wurden. Ich hoffe, dass wir ihnen davon als von einem einmaligen Ereignis erzählen können und 2020 nicht als jenes Jahr bekannt sein wird, das unser Leben seither nachhaltig negativ prägt. Hoffen wir also, dass wir das Virus in den Griff bekommen und wir zumindest keine weiteren massiven Beschränkungen des öffentlichen Lebens erfahren müssen.

Dann können wir unseren Enkel*innen befreit erzählen, wie es uns damals erging, damals in den Monaten im Frühjahr und Sommer 2020. Welche Entscheidungen damals getroffen wurden – von Politik und Verantwortungsträger*innen in den Verwaltungen, Unternehmen und Einrichtungen. Jeder und jedem Einzelnen am entsprechenden Platz. Wir können mit ihnen darüber sprechen, welche Entscheidungen sich im Nachhinein als richtig, welche als falsch herausgestellt haben. Welche Veränderungen eingesetzt haben, die unser Leben auf Jahre prägen sollten.

Vielleicht fragen sie uns verwundert: „Stimmt es,

  • dass Ihr nur Sprachanrufe gemacht habt?
  • dass Ihr immer mit dem Auto auf Dienstreisen musstet, um Euch persönlich in Sitzungen oder Weiterbildungen zu treffen?
  • dass viele Lehrer*innen kein Home Schooling anbieten konnten und Kinder zum Lernen jeden Tag in die Schule gehen mussten?
  • dass nicht alle Kinder Tablets und Zugang zu schnellem Internet hatten?
  • dass Pflegekräfte nicht genügend Schutzausrüstung hatten?
  • dass Ihr Eure Mitarbeiter*innen oft nur befristet eingestellt habt, weil der Staat immer nur für ein Jahr Eure Arbeit bezahlen wollte?
  • dass Ihr arglos nur die Messengerdienste des Datenmonsters Facebook verwendet habt? (An der Stelle werden sie besonders belustigt kichern.)
  • dass Auszubildende in sozialen und Gesundheitsberufen sogar Schulgeld bezahlen mussten, obwohl sie so dringend gebraucht wurden?
  • dass Ihr Fachkräftemangel hattet, weil Menschen immer noch die Arbeit machen mussten, die Computer längst hätten erledigen können?“

Kaum auszumalen, welche Fragen sie stellen werden. In jedem Fall fragen und argumentieren sie aus einer Selbstverständlichkeit heraus, die für uns noch unbekannt ist. Welche Aspekte dieser Selbstverständlichkeit ihre Wurzeln rückblickend im Frühjahr 2020 haben werden, bleibt ein Gedankenspiel.

Die Corona-Pandemie hat uns hart erwischt. Weil uns das Virus Angst gemacht hat. Die Bilder aus China, Italien und den USA waren nur schwer zu ertragen. Dabei war es nicht unbedingt immer nur das Virus als Krankheitserreger an sich und eine mögliche Infektion, was Ängste aufkommen ließ und lässt. Die verschiedenen Facetten des Infragestellens unserer als unumstößlich angenommenen Lebensweisen sorgten für weit mehr Verunsicherung.

Das hängt sicher damit zusammen, dass der große Teil der Bevölkerung annahm, wir seien auf sämtliche Eventualitäten vorbereitet. Als hochentwickelte Industrienation habe man für alles Pläne und wenn nicht, gäbe es Technik und Regeln, die das wie auch immer daherkommende Problem schon lösen können, so die Vorstellung.

Aus der heutigen Sicht kann man nüchtern feststellen: Wir waren unzureichend vorbereitet. Krisenpläne mussten erstmal beweisen, was sie können. Viele Abschnitte dieser Pandemiepläne entpuppten sich als nette Theorie mit nur bedingt praktischem Wert. Schlimmer noch die Erkenntnis: ausreichend Schutzausrüstung = Fehlanzeige. Diese musste erst um die halbe Welt reisen, um für einen Tag ihre Funktion zu erfüllen und anschließend im Müll zu landen.  

Nun gut, es ist wie es ist. Viel wichtiger ist deshalb schon heute der Blick nach vorn. Es geht darum, die Erkenntnisse aus der Corona-Krise zu sichern und uns damit für die Zukunft besser zu rüsten. „Wann denn?“, höre ich einige fragen. Ich antworte: „Jetzt.“

Zu schnell sind wir bereits zurück im Alltagstrott. Nehmen wir uns also jetzt die Zeit - gehen wir für und mit uns selbst, der Familie, aber auch dem Team und dem ganzen Unternehmen in Klausur. Überlegen wir: „Was lief gut? Was schlecht? Was soll zukünftig ganz konkret anders funktionieren?“ Dazu gehört Mut, denn Veränderungen fordern uns heraus. Das Virus zwang uns von außen zum Handeln. Nachhaltige Veränderung muss nun jedoch aus uns selbst heraus kommen.

Dazu gehört besagter Optimismus, denn auch wenn der Weg anstrengend ist, werden wir am Ziel gemeinsam mit unseren Kolleg*innen viele Schritte nach vorn gemacht haben. Dazu brauchen wir auch Geld, ja. Denn Zeit, Mut und Optimismus allein reichen nicht und sind eben nicht zum Nulltarif zu haben. Organisieren Sie deshalb für 2021 auch die nötigen finanziellen Mittel, um die Veränderungen kraftvoll und mutig angehen zu können. Denn wenn wir einen Einschnitt wie die Corona-Pandemie nicht nutzen, um zu lernen, werden wir die kommenden Einschnitte - wie auch immer sie aussehen werden - womöglich nicht mehr so gut durchstehen.

Ich hoffe, wir können unseren Enkel*innen einmal erzählen, dass uns das Virus zwar sehr unvorbereitet traf, wir aber sachlich unsere Schlüsse gezogen und mutig Veränderungsprozesse angestoßen haben. Ich hoffe, wir können ihnen erzählen, dass wir trotz vieler Menschen, die schwer erkrankten und auch verstarben, am Ende Schlimmeres verhindern konnten. Ich hoffe, wir können ein Beispiel dafür geben, wie Vernunft und Mut eine zweite Krise dieser Art verhindert haben. Jetzt ist der Zeitpunkt, um diese Hoffnung wahr werden zu lassen. Packen wir es an. Gemeinsam.


Der Artikel erschien zuerst in der September-Ausgabe 2020 unseres Magazins anspiel. Der Schwerpunkt des Heftes leutet: Corona - und was nun?

Lesen Sie jetzt die September-Ausgabe der anspiel.