Die Kosten steigen. Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes kommt in den Ländern unterschiedlich schnell voran. Die Diskussion um die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe hat Fahrt aufgenommen. Anne Cellar, Referentin Teilhabe, kommentiert die aktuellen Vorschläge der Kommunen und Landkreise zur Reform der Eingliederungshilfe.
Die Eingliederungshilfe soll Menschen mit Behinderungen bedarfsgerecht unterstützen, damit sie selbstbestimmt leben können. Darin scheinen sich Gesetzgeber, Kostenträger und Leistungsträger grundsätzlich einig zu sein. Wie das gelingen kann, wird indes unterschiedlich bewertet. Das zeigt auch ein im September 2025 veröffentlichtes Papier des Deutschen Landkreistags, des Deutschen Städtetags und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS). Die Autoren zeichnen ein Bild von zu teuren und zu komplizierten Verfahren, um gleichzeitig auch Vorschläge für mögliche Vereinfachungen und Kosteneinsparungen vorzustellen. Ein wichtiger Beitrag in einer Debatte, die zunehmend rein aus fiskalischer Perspektive geführt wird. Wie sind die Vorschläge zu bewerten?
Pro: Bürokratieabbau, Bedarfsplanung und Verbleib in der eigenen Häuslichkeit
Die Regelungsdichte ist hoch. Dokumentations- und Nachweispflichten haben teilweise absurde Züge angenommen. Ob Leitung, Verwaltung oder Fachkraft - jeder zusätzliche Dokumentationsbogen ist wie Sand im Getriebe. Weniger Papier und mehr Zeit für die Praxis ist daher ein richtiger Ansatz. Daher teilen wir den Vorschlag vereinfachter Dokumentationspflichten im Gesamtplan sowie längerer Überprüfungsintervalle bei stabilen Bedarfen. Ebenso ist die Idee digitaler, trägerübergreifender Anträge mit klaren Schnittstellen und Mindestdatensätzen richtig, um Entscheidungen spürbar zu beschleunigen und Leistungen wie aus einer Hand zu erbringen. Dass der Zugang zum System und der Personenkreis nicht enger gefasst werden soll, ist zu begrüßen.
Verbindliche Sozial- und Bedarfsplanung und gemeinsame Versorgungsverantwortung, Abbau von Barrieren und inklusivere Regelsysteme sind künftig noch wichtigere Elemente, wenn Teilhabe überall gelingen soll. Gerade dort, wo barrierefreier Wohnraum knapp ist, komplexe Bedarfe zunehmen oder die soziale Infrastruktur zusammenzubrechen droht, braucht es Planung anstatt Flickwerk.
Wenn Menschen mit Behinderung altern, sollen sie so lange wie gewünscht und möglich in ihrer eigenen Häuslichkeit wohnen bleiben dürfen. Es ist daher sinnvoll, die Pflegeleistungen in besonderen Wohnformen verlässlich anzuheben. Das verhindert erzwungene Umzüge und sichert Lebensorte.
Contra: Vorrang der Pflege, anlassloses Prüfwesen, Schiedsstellen, Tarifdeckel
Die in den letzten Jahren immer lauter geführte Diskussion eines Vorrangs der Pflege vor der Teilhabe holen die Autoren auch diesmal hervor. Dabei wird vergessen, dass Pflege und Teilhabe wie zwei Hände sind, die gemeinsam tragen. Ein Vorrang der Pflege würde Teilhabebedarfe unversorgt lassen und die Isolation von Menschen begünstigen. Notwendig ist die geregelte Verzahnung beider Systeme mit klaren Verfahren und abgestimmter Finanzierung.
Der Vorschlag anlassloser Prüfungen und einseitiger Vergütungskürzungen ist abzulehnen. Sie schüren Unsicherheit und binden ohne spürbaren Nutzen Personal. Wirksamer könnten hier Qualitätsdialoge mit schlanken Berichtsformaten sein. Menschen mit Behinderungen sind in Monitorings und Evaluationen einzubeziehen.
Die Abschaffung von Schiedsstellen würde das System ohne eine unabhängige Instanz außerhalb des Klageweges zurücklassen. Wenn Verhandlungen feststecken, braucht es eine neutrale Entscheidungshilfe. Schiedsstellen sichern zügige, rechtssichere Ergebnisse. Gerichte werden entlastet und Steuern gespart.
Künftige Tarifsteigerungen pauschal zu deckeln, sendet den Fachkräften das falsche Signal. Qualität und Attraktivität würden sinken. Insbesondere in Zeiten des Personalmangels ist dieser Ansatz verfehlt und nicht nötig, denn Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und das Besserstellungsverbot gelten bereits heute.
Gemeinsame Lösungen sichern Teilhabe
Kostensteigerungen sind für Kommunen und Landkreise ein Problem. Das ist nachvollziehbar. Obwohl von den Autoren des Papiers nicht ausgeführt, ist allseits bekannt, dass die Kostensteigerungen nicht vorrangig aus einer Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes resultieren. In Sachsen sind sie sogar fast allein die Folge von Tarif- und Betriebskostensteigerungen sowie der allgemeinen Kostenentwicklung. Dennoch brauchen Kommunen finanzielle Entlastung, um vom Bund übertragene Aufgaben zuverlässig zu refinanzieren, Planungssicherheit und schlanke Verfahren, damit Mittel dort wirken, wo sie nötig sind.
Statt Leistungsabbau oder Tarifdeckelung brauchen wir Fachkraftbindung, Schnittstellenarbeit, klare Rollen im Übergangs- und Entlassungsmanagement verschiedener Systeme und sozialraumnahe, flexible Unterstützungsleistungen. So entstehen Routinen, die halten. Freie Träger bieten Strukturen, die auffangen und den Weg zur Teilhabe ermöglichen. Sie senken die emotionale Last, die oft mit Krisen und ungeklärten Zuständigkeiten einhergeht. Sie schützen vor teuren gesellschaftlichen Folgekosten.
In der gesamten Debatte sind alle Beteiligten gefordert, ihren Beitrag zu leisten. Eine rein fiskalisch orientierte Betrachtung greift zu kurz, wenn sie Fachlichkeit und Bedarfslagen auszublenden droht. Die Regelungsdichte zu entflechten und Nachweispflichten auf ein sinnvolles Maß zurückzuschrauben erscheint im ersten Schritt die sinnvollste Stoßrichtung zu sein. Sie entlasten spürbar die Praxis und die öffentlichen Kassen.
Kontakt:
Anne Cellar (Referat Teilhabe)
Tel.: 0351 - 828 71 150
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de
