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Lebenslanges Lernen in der Kindertagespflege

Tagesmutter Sylvia Zabel-Thäder, eine blonde, freundlich blickende Frau, sitzt zwischen den fünf Kindern, die sie in ihrer Kindertagespflegestelle in Leipzig betreut und bildet.

Die Kindertagespflege in Sachsen ist vom persönlichen Engagement der Tagesmütter und Tagesväter geprägt – vor allem im Bereich Bildung. Das ist nicht nur für die frühkindliche Bildung der Kinder wichtig, sondern auch für die Betreuungspersonen selbst. Zwei Tageseltern erzählen.

Tagesmütter und Tagesväter sind aus einem ganz besonderen Holz geschnitzt: Oft liegt ein interessanter Lebensweg hinter ihnen, als Selbstständige leitet sie ein starker Wille durch alle Mühen und Risiken. Nicht zuletzt deswegen arbeiten Kindertagespflegepersonen in Sachsen nachweislich auf einem hohen qualitativen Niveau, ihre Weiterbildung geht oft weit über den Pflichtanteil von 20 Stunden pro Jahr hinaus – das bestätigt die Studie „Profis in der Kindertagespflege“ der Informations- und Koordinierungsstelle Kindertagespflege in Sachsen (IKS). Doch woher rührt dieses Engagement?

83 Prozent der über 1400 Tageseltern in Sachsen sind Quereinsteiger

Sylvia Zabel-Thäder nippt an ihrer Teetasse. „Ich bin sehr glücklich über meinen beruflichen Wandel“, lächelt die Frau mit der ruhigen Stimme. Die Leipziger Tagesmutter arbeitet nach einem musikalischen und naturnahen Ansatz. Obwohl ihre frühere berufliche Vielfalt als Senioren- und Kulturbeauftragte sowie als Gesellschafterin sehr erfüllend war, schwärmt sie von den vielen dankbaren Blicken der Kinder, die einfach durch nichts zu ersetzen seien.

Zum Einstieg in den neuen Job waren ihre Kompetenzen im Bereich der Seniorenfürsorge hilfreich. Aber auch die mitgebrachten Fähigkeiten aus der EDV und dem Rechnungswesen bringen viel Struktur in den Tagesablauf. „Bildung ist für mich das wichtigste Gut. Darum vermittle ich sie gerade in der Frühphase bis drei Jahren mit viel Leidenschaft“, fasst sie ihr Verständnis des lebenslangen Lernens zusammen. Das beruht auf Gegenseitigkeit: „Kinder lernen mit allen Sinnen. Auch wir Erwachsene können uns diese Leichtigkeit bewahren.“

Persönliche Fortbildung gehört zum Selbstverständnis der Tageseltern

Dass das Lernen kein Ende hat, zeigt sich auch an ihrer Fortbildungsbilanz: Statt der geforderten 20 absolviert Zabel-Thäder über 100 Stunden im Jahr. Dafür verwendet sie auch etliche Urlaubstage. Das gehört für sie ganz selbstverständlich dazu – schließlich war die Kindertagespflege für sie eine ganz bewusste Entscheidung. Nicht nur im Kopf, sondern auch aus ganzem Herzen: Es benötigt viel Hingabe, Ruhe, Empathie und die Bereitschaft, in Ergänzung mit den Eltern eine Erziehungsgemeinschaft zu bilden. Anfängern rät sie, dass sie diese Überzeugung unbedingt in sich tragen müssen. „Ja, der Job ist wunderschön, aber auch sehr anstrengend. Wer keine Ruhe mitbringt, braucht in diesem harten Geschäft gar nicht erst anfangen“, lacht sie mit strahlenden Augen.

Für ihre Tätigkeit benötigen die Kindertagespflegepersonen unter anderem ein abgeschlossenes Curriculum sowie eine Erstausbildung. Knapp 17% stammen ursprünglich aus dem pädagogischen Bereich, bei den meisten jedoch handelt es sich um Quereinsteiger. Und das ist gut so: Wer vorher in einem anderen Beruf gearbeitet hat, bringt die dabei erworbenen Kompetenzen und Lebenserfahrungen ein. Die IKS stärkt diesen Gedanken und unterstützt die Tageseltern mit speziellen Fortbildungen zur Biografie- und Persönlichkeitsarbeit. Im Jahr 2017 führt sie hierzu ein persönliches Fortbildungsbuch ein.

Die meisten Veranstaltungen der IKS sind ausgebucht, werden als Forum für Diskussionen und Austausch rege genutzt – von „Weiterbildungsmuffeln“ wie in anderen Branchen, wo oft Sparzwänge und Zeitmangel einer vitalen Lernkultur im Weg stehen, kann hier also keine Rede sein. Tageseltern sind Menschen mit Wissensdurst. Für ihre Arbeit, meist allein in den eigenen vier Wänden, wünschen sie sich regelmäßig theoretischen Input und praktische Anwendungstipps.

Fähigkeiten aus vorherigen Berufen in die Kindertagespflege einbringen

Daniel Wangemann ist eigentlich von ganzem Herzen Banker. Viele Jahre lang hat der 44-Jährige vermögende Kunden im Altlandkreis Aue-Schwarzenberg beraten. Seine Leidenschaft waren die Investments, das Brokerage und langfristige Anlagemöglichkeiten. Aus dieser „Erwachsenenwelt“ zog er sich jedoch zurück: Seit zwei Jahren betreibt er in Lauter-Bernsbach bei Aue seine eigene Kindertagespflegestelle.

„Man lernt eben nie aus“, kommentiert Wangemann seinen Berufs- und Lebenswandel. Die Neuorientierung ergab sich aus einer ganz persönlichen Entscheidung: Das Hamsterrad im Job, die vielen Überstunden und einige gesundheitliche Probleme zwangen ihn zu einer radikalen Entscheidung. „Meine Frau betrieb bereits ihre eigene Kindertagespflege in unserem Haus, allerdings nur für die Kleinen bis drei Jahre. Die Eltern wünschten sich schon lange eine Weiterbetreuung bis zum Schuleintritt. So kam das eine zum anderen.“

Den Einstieg in die Praxis empfand er kaum als schwierig. Die wichtigsten Kompetenzen brachte er nämlich schon aus dem Beratungssektor mit: Aufgaben lösen. Zuhören. Vorschläge machen und andere begeistern können. Diese Dinge wurden ihm quasi in die Wiege gelegt. Und dann kam sie doch noch, die neue Herausforderung: Dazulernen musste er in puncto Geduld, die von Kindern ganz anders eingefordert wird als vom Bankkunden am Beratungstisch. „Kinder sind kleine, starke Persönlichkeiten. Es ist mein Job, ihnen die Zeit zu geben, die sie brauchen. Und diese individuelle Zeit ist auch die große Stärke der Kindertagespflege“, so der Tagesvater. In der Anfangszeit habe er durch seine Frau viel gelernt und auch sie habe durch seinen Blick für Struktur profitieren können.

Durch Haushalt, Verwaltung und Dokumentation kann ein normaler Arbeitstag schnell zehn bis zwölf Stunden dauern. Dabei decken Kindertagespflegepersonen ein breites Spektrum an Kompetenzen ab. Daher gleichen die Wangemanns mit strikten Öffnungszeiten ihrer beiden Kindertagespflegestellen die Work-Life-Balance aus. „Ich bin ein neugieriger Mensch. Bestimmt wird es irgendwann wieder eine Veränderung geben. Doch im Moment will ich es nicht anders haben“, zieht er zufrieden sein Resümee und zupft liebevoll die Decken seiner Schützlinge zum Mittagsschlaf zurecht.


Der Artikel ist im Verbandsmagazin anspiel. Ausgabe 1/2017 erschienen.

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