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Menschenrechte konkret: Recht auf die freie und volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit

Logo der Erklärung für eine menschenrechtsorientierte Sozial- und Bildungsarbeit in Sachsen

In der Reihe „Menschenrechte konkret“ erzählen sächsische Organisationen der Sozial- und Bildungsarbeit, was einzelne Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für ihre Arbeit bedeuten. Heute: Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V. aus Zwickau zu Artikel 29 - Grundpflichten.

Diesmal sprachen wir mit Silvia Rentzsch, Vorstand des Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V., über die Bedeutung des Artikels 29 und dessen Auswirkungen auf die praktische Arbeit des Vereins.

Welche Rolle spielt Artikel 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Ihrer Organisation, wenn Sie an Mitarbeitende oder Zielgruppen denken?

Wir vom „Trans-Inter-Aktiv Mitteldeutschland e.V.“ (TIAM) verstehen uns prinzipiell als Menschenrechts- und Selbsthilfeorganisation für die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Für uns ist es oberstes Ziel, dass in Deutschland Menschenrechte für trans*- und inter*- und nicht-binäre Menschen einen rechtsverbindlichen Status erhalten. Für diese Menschen müssen grundlegende Rechte spezifiziert werden. Das sind beispielsweise das Recht auf ein selbstbestimmtes Geschlecht, der barrierefreie Zugang zu medizinischer Versorgung, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, der Schutz vor ungewollten medizinischen Eingriffen und der Schutz vor jeder Art von Diskriminierung.

Dabei sind insbesondere Kinder und Jugendliche entsprechend ihrer Fähigkeiten und Entwicklung in Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, einzubeziehen (Art. 12 UN-Kinderrechtskonventionen). Ebenso gilt das Recht auf Teilhabe an umfassender Bildung (Art. 24 UN-Behindertenrechtskonventionen) - mit dem Ziel die menschlichen Möglichkeiten sowie das Bewusstsein der Würde und das Selbstwertgefühl des Menschen voll zur Entfaltung zu bringen, als auch die Achtung vor den Menschenrechten, den Grundfreiheiten und der menschlichen Vielfalt zu stärken.

Worin sehen Sie die größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf Artikel 29?

Die oben genannten Grundrechte sind einer unserer Gründungsanlässe und gehören zum Hauptaufgabengebiet von TIAM. Häufig existiert nur ein geringer gesetzlicher Schutz – oftmals gar keiner. trans*-Personen müssen sich nach wie vor einem als entwürdigend empfundenen juristischen Verfahren unterziehen, wenn sie Namen und Geschlechtseintrag ändern wollen. Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist nur mittels Mehrfachbegutachtung (i.d.R. 5 bis 6 Gutachten) möglich. Auch dann ist eine Behandlung nicht immer sichergestellt. Die gesetzlichen Krankenkassen lehnen zunehmend die Übernahme von Behandlungskosten für nötige Therapien und Operationen ab.

An intergeschlechtlichen Kindern werden bis heute geschlechtsnormierende Operationen ohne deren Einwilligung und ohne medizinische Notwendigkeit durchgeführt. Die Bundesregierung ist über die UN-Folterkonvention (CAT), die UN-Kinderrechtskonvention (CRC) und die UN-Frauenrechtskonvention (CEDAW) in der Pflicht, eine wirksame Verbotsregelung für diese (in den allermeisten Fällen) medizinisch nicht notwendigen Behandlungen einzuführen, welche seit mehreren Jahren nicht umgesetzt wird.

Welche Lösungen für diese Herausforderungen sehen Sie?

Als Lösung sehen wir konkrete gesetzliche Regelungen, die den beschriebenen Missständen Einhalt gebieten. Beispiele dafür sind unter anderem das im Entwurfsstadium befindliche „Gesetz zum Schutz von Kindern vor geschlechtsverändernden Eingriffen“ und das <s>geplante</s> Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen.

Die 2018 eingeführte Änderung des Personenstandsrechts ist mit den nun möglichen Eintragungen „männlich“, „weiblich“ oder „divers“ oder dem „Offenlassen“ des Eintrages nur ein Anfang für mehr Sichtbarkeit vielfältigen Lebens in der Gesellschaft.

Für trans*-Personen ist dringend eine Neuregelung des Personenstandsrechts nötig, bei gleichzeitiger Abschaffung des 1981 verabschiedeten und völlig veralteten Transsexuellengesetzes.

Auch die Verankerung von Schutzrechten von trans*- und inter*-Personen im Grundgesetz halten wir für geboten. So könnten Art. 3 (3) GG und Art. 18 Abs. 3 der Verfassung des Freistaates Sachsen, in denen das Verbot von Benachteiligung oder Bevorzugung auf Grund bestimmter Persönlichkeitsmerkmale festgeschrieben ist, um „geschlechtliche und sexuelle Identität“ erweitert werden.

Ein modernes Gleichstellungsgesetz, das alle Menschen berücksichtigt, ist im Freistaat Sachsen umso wichtiger.

Was tun Sie in Ihrer Arbeit dafür, dem Artikel 29 gerecht zu werden?

TIAM arbeitet auf mehreren Ebenen. Zum ersten bieten wir Beratung für trans*-, inter*- und nicht-binäre Personen. Außerdem bieten wir Hilfe bei Entscheidungen, Unterstützung bei Verfahren zur Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages sowie Beratung und Entscheidungshilfen für oder gegen medizinische Maßnahmen.

Ziel unserer Arbeit ist, den Betroffenen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Unserer Erfahrung nach werden selbstbestimmt lebende Personen auch eher für die Durchsetzung der Rechte von trans*-, inter*- und nicht-binären Menschen aktiv.

Im Rahmen von Mitgliedschaften (Landesarbeitsgemeinschaft Queeres Netzwerk Sachsen, Bundesverband Trans*) nehmen wir selbst auf die Politik Einfluss, um die Lebenssituation von trans*- und inter*-Personen zu verbessern.

Und nicht zuletzt klären wir durch Öffentlichkeitsarbeit – von Medieninterviews bis hin zu überregionalen Fachkongressen – über die Situation von Betroffenen auf und schützen damit indirekt vor Diskriminierung.


Allgemeine Erklärung der Menschenrechte - Artikel 29

  1. Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entfaltung der eigenen Persönlichkeit möglich ist.
  2. Jeder Mensch ist bei der Ausübung der eigenen  Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten anderer zu sichern und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohles in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.
  3. Diese Rechte und Freiheiten dürfen in keinem Fall im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen ausgeübt werden.

Lesen Sie mehr über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf www.institut-fuer-menschenrechte.de


Trans-Inter-Aktiv in Mitteldeutschland e.V. ist eine von rund 200 Organisationen, die sich der Erklärung für eine menschenrechtsorientierte Sozial- und Bildungsarbeit in Sachsen angeschlossen haben.

Ihre Organisation möchte die Erklärung ebenfalls unterzeichnen?

Senden Sie eine E-Mail an nicole.boerner(at)parisax.de oder rufen Sie an unter 0351/ 828 71 152.


Alle bereits erschienen Interviews der Reihe können Sie hier lesen.