In der Reihe „Menschenrechte konkret“ erzählen sächsische Organisationen der Sozial- und Bildungsarbeit, was einzelne Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte für ihre Arbeit bedeuten. Heute: Paritätischer Wohlfahrtsverband Landesverband Sachsen e.V.
Wir sprachen mit Michael Richter, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Sachsen, über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und deren Bedeutung für die praktische Arbeit des Verbandes.
Warum ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte heute noch notwendig?
Die Erklärung ist in der Folge des zweiten Weltkrieges entstanden. Dort ist mit äußerster Brutalität sichtbar geworden, wozu Menschen fähig sind, wenn sie beginnen, in besser und schlechter zu unterteilen. Glücklicherweise haben die Staaten der Vereinten Nationen in Folge dessen begonnen, sich darüber zu verständigen, was es für ein friedliches Miteinander aller Menschen braucht. Das Ergebnis sind die Menschenrechte. Die Gräueltaten des NS-Regimes macht dies leider nicht ungeschehen. Aber es ist gelungen, sich in einen gemeinsamen Diskurs zu begeben.
Und genau diese Leistung erbringen die Menschenrechte auch noch heute. Sie sind die zentrale Richtschnur, wenn es um die Ausgestaltung unseres Zusammenlebens geht. Sie bieten nicht nur Orientierung, sondern helfen uns, persönliches Handeln zu reflektieren und uns in ihrem Sinne weiterzuentwickeln.
Jedem Menschen gleiche Rechte zu gewähren und die Gleichwertigkeit aller als unveränderlich festzulegen, ist eine klare Botschaft. Denn es ist unerheblich, welche weiteren Eigenschaften eine Person neben ihrem Menschsein hat. Wenn wir uns umsehen in Deutschland und der Welt, sehen wir, dass wir noch viel tun müssen, um die Idee der Menschenrechte vollumfänglich mit Leben zu füllen.
Weil dies auch für unsere eigene Arbeit gilt, gehört die Frage nach den eigenen Werten immer wieder in die verbandliche Diskussion. Daher war es für uns auch selbstverständlich, sich 2019 der Erklärung für eine menschenrechtsorientierte Sozial- und Bildungsarbeit in Sachsen anzuschließen.
Worin sehen Sie besondere Herausforderungen im Bereich der Sozialen Arbeit und Bildung mit Blick auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte?
Ich denke, eine der großen Herausforderungen liegt bei uns selbst. Wir arbeiten für und mit anderen Menschen. Egal ob im Team oder bei der fachlichen Arbeit – zwei Fragen sollten wir uns regelmäßig stellen: Erstens, wie gut gelingt es uns selbst, den Menschen, denen wir begegnen, immer Wertschätzung und Respekt im Sinne der Menschenrechte entgegenzubringen? Und zweitens – was tragen wir dazu bei, dass Menschen ein Leben in Würde führen können? Entsprechen also Rahmenbedingungen und Qualität unserer Arbeit immer und überall diesen hohen Ansprüchen? Dies immer wieder zu reflektieren und dabei nicht müde zu werden, ist aus meiner Sicht tägliche Aufgabe der Sozialen Arbeit und Bildung.
Je besser uns dies gelingt, desto selbstbewusster können wir gegenüber anderen für Menschenrechte eintreten. Denn nicht selten stoßen Soziale Arbeit und Bildung in ihrer Menschenrechtsorientierung auch an strukturelle Grenzen.
Worin sehen Sie die größten gesellschaftlichen Herausforderungen in Bezug auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte?
Die größten Gefahren sehe ich in rechtspopulistischen, aber auch in neokapitalistischen Haltungen, die leider wieder im Aufwind sind. Wenn Menschenfeindlichkeit und Rassismus sogar in Parlamenten salonfähig werden, dann schleifen sich Haltung und Werte ab. Wer die Menschenrechte in Frage stellt, oder sie umdefiniert nach solchen Menschen, die „es wert sind“ und solchen, wo man es mit der Gleichheit nicht so eng sehen muss, dem muss unmissverständlich widersprochen werden. Das gilt aber leider nicht nur für die Parlamente, für „die anderen“, sondern vielmehr noch für unseren eigenen Freundes- oder Kolleg*innenkreis. Um hier gegenhalten zu können, brauchen wir mehr als bloße Bekenntnisse.
Welche Lösungswege sehen Sie?
Letztendlich geht es um den viel beschworenen Zusammenhalt der Gesellschaft. Und damit meine ich die Gesellschaft hier vor Ort in Sachsen, aber auch die Weltgesellschaft.
Die Corona-Pandemie führt uns vor Augen, wozu wir fähig sind - im Positiven wie im Negativen. Da werden Einkäufe für Nachbarn übernommen, es wird vor Pflegeheimen musiziert oder chinesische Partnerstädte schicken Schutzmasken. Das ist ein gutes Zeichen für gesellschaftlichen Zusammenhalt in schwierigen Zeiten. Aber andererseits werden auch Haltungen der völkischen Eugenik, Schwache zugunsten der Volkswirtschaft zu opfern, ganz offen geäußert oder die Schuld für die Ausbreitung der Pandemie Geflüchteten unterstellt. Menschenrechte sind universal, aber sie können sich in der Krise durchaus entgegenstehen. Schutz und Unversehrtheit oder Sterben in Würde – das war vor einigen Wochen plötzlich eine Debatte. Und da hilft auch kein Lippenbekenntnis, dass wir für Menschenrechte seien. Da braucht es ein aktives Ringen um eine eigene Haltung.
Menschenrechte taugen nicht zum Populismus. Krisen wie die Corona-Pandemie sind da ein guter Gradmesser, ob wir ein Aufweichen als Gesellschaft zulassen oder nicht. Dafür braucht es klare Haltung und die Stärke, diese Haltung einerseits deutlich zu machen, aber andererseits auch andere Haltungen sachlich zu reflektieren. Dazu gehört neben der eigenen Haltung auch die vorurteilsfreie Debatte, auch innerhalb der eigenen „Filterblase“. Schauen wir uns doch nur Beispiele an, die uns auch selbst ganz konkret betreffen - Impfen meinetwegen oder Abtreibung. Da gehen die Risse auch durch unsere Wohlfühl-Peergruppen.
Diese offene und vorurteilsfreie Debatte ist uns in der Vergangenheit immer weniger gelungen. Auch ich fühle mich doch wohler, wenn ich die Welt in ein „Wir Guten“ und „Die Bösen“ einteilen kann. Aber das ist zu einfach – wofür stehe ich denn wirklich? Wie komme ich zu dieser Haltung? Wie begegne ich Mitmenschen mit einer anderen Haltung? Wie können wir zu einer Verständigung, zu Gemeinsamkeiten kommen.
Einen Königsweg kann ich nicht nennen, aber es ist mir persönlich wichtig, in einer Weise für Werte, für die Menschenrechte einzutreten, die andere Menschen einlädt, es mir gleichzutun und nicht abstößt. Es gehört aus meiner Sicht gerade bei diesem Thema dazu, dass man klar ist in seiner Haltung und trotzdem Respekt und Wertschätzung für das jeweilige Gegenüber in den Dialog einbringt. Wie schwierig das ist, zeigt unser Ringen um den richtigen Umgang mit Personengruppen, die selbst gerade nicht respektvoll und wertschätzend ihre Meinungen kundtun. Ich finde es richtig, sich von diesen Verhaltensweisen nicht anstecken zu lassen oder zu resignieren. Wir müssen da immer wieder mit gutem Beispiel voran gehen. Auch wenn es anstrengend ist.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Lesen Sie mehr über die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte auf www.institut-fuer-menschenrechte.de
Der Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband LV Sachsen e.V. ist eine von rund 200 Organisationen, die sich der Erklärung für eine menschenrechtsorientierte Sozial- und Bildungsarbeit in Sachsen angeschlossen haben.
Ihre Organisation möchte die Erklärung ebenfalls unterzeichnen?
Senden Sie eine E-Mail an nicole.boerner(at)parisax.de oder rufen Sie an unter 0351/ 828 71 152.