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Mitbestimmung in der Jugendhilfe: Im Tun anstrengend - in der Wirkung entlastend

Drei Jugendliche und ein Mann sitzen an einem Tisch und Diksutieren. Das Bild illustriert einen Artikel über Mitbestimmung im SOS-Kinderdorf Zwickau des Magazins anspiel. (Foto: Michael Bader, Archiv SOS-KInderdorf e.V.)

Mitmachen, mitgestalten - Im SOS-Kinderdorf Zwickau werden Kinder und Jugendliche aktiv an Entscheidungen beteiligt. (Foto: Michael Bader, Archiv SOS-KInderdorf e.V.)


Kinder, die ins Zwickauer SOS-Kinderdorf kommen, haben oft schon viel erlebt. Wertschätzung und Respekt für die eigene Person gehören jedoch nur in den wenigsten Fällen dazu. Das Kinderdorf bietet ihnen nun die Chance, sich zu selbstbestimmten Persönlichkeiten zu entwickeln. Hierfür stehen den Bewohnenden rund um die Uhr erfahrene Fachkräfte zur Seite, die helfen, beraten und Geborgenheit geben.

Viele der Kinder haben zuvor nie erfahren, dass die eigenen Bedürfnisse berücksichtigt werden, sie eigene Interessen vertreten können und in respektvoller Aushandlung miteinander Gehör finden. Wie soll da Mitbestimmung gelingen?

Obwohl die zielführende Beteiligung von Kindern und Jugendlichen vor diesem Hintergrund nicht gerade als leichte Aufgabe erscheint, ist es fester Bestandteil der Arbeit des Kinderdorfes, altersübergreifende Beteiligung zu ermöglichen. Hierbei kommen institutionelle, aber auch viele informelle Ebenen zum Tragen.

Der Dorfrat: Instrument der Beteiligung und des Zusammenlebens

Von eher institutionellem Charakter ist beispielsweise der Dorfrat, der vom Sozialpädagogen Berthold Grenz koordiniert wird. Grenz beschreibt die Idee des Gremiums wie folgt: „Der Dorfrat ist das Bindeglied zwischen Erwachsenen und Kindern. Hier haben Kinder und Jugendliche die besondere Chance, Ideen, Wünsche und Beschwerden anzubringen, um sie öffentlich zu machen. Aber sie sollen auch bei bestimmten Entscheidungen mitwirken und gemeinsam über Themen diskutieren.“

Die Mitglieder des Dorfrates kommen aus den verschiedenen Bereichen der Einrichtung, wie zum Beispiel den Kinderdorffamilien oder den Wohngruppen. Auch in diesen entscheiden Kinder, Jugendliche und Fachkräfte gemeinsam, wer die Interessen oder Anliegen im bereichsübergreifende Gremium vertreten soll. Vorgaben für die Auswahl oder eine feste Amtszeit der Delegierten gibt es nicht. Schon an dieser Stelle beginnen die Aushandlungsprozesse zwischen den Bewohnenden. Sie erfolgen nach den in der jeweiligen Einheit gemeinsam beschlossenen Regeln.

Mitbestimmung ist mehr als Gremienarbeit

Bereits hier wird sichtbar, dass der Dorfrat zwar das bereichsübergreifende Beteiligungsgremium ist, die Mitbestimmung jedoch schon viel früher beginnt. „Es ist uns wichtig, dass die Kinder und Jugendlichen spüren: Meine Meinung ist wichtig, ich kann etwas bewegen“, betont Heico Engelhardt, Einrichtungsleiter des Kinderdorfes, und verweist dabei auf das demokratische Erziehungsverständnis des Trägers. Gleichzeitig ermögliche es Mitbestimmung, die eigene Selbstwirksamkeit kennenzulernen, aber auch deren Grenzen.

„Die Erfahrung, selbst etwas erreichen zu können, wenn man sich dafür einsetzt, und bestenfalls auch noch Anerkennung dafür zu erhalten, kannten die meisten unserer Kinder vorher nicht. Auf der anderen Seite bedeutet das für unsere Fachkräfte, behutsam und zugleich motivierend zu agieren, auch wenn die von Kindern geäußerte Meinung vielleicht erst einmal seltsam anmutet. Hier kann man sehr schnell viel kaputtmachen. Zudem ist es oft schwierig, mit der Logik von uns Erwachsenen und diskussionstrainierten Pädagogen und Pädagoginnen den Nerv der Kinder zu treffen. Sie möchten Ergebnisse und das möglichst schnell. Und wenn das nicht geht, wollen sie die Gründe verstehen und eine Alternative. Sie sind manchmal ergebnisorientierter als wir. Und das kann auch zu Frustration führen. Daran scheitern übrigens die meisten Beteiligungsformen“, so der Einrichtungsleiter.

Ergebnisse müssen erlebbar für die Beteiligten sein

Selbstverständlich kann nicht alles von und mit den Kindern entschieden werden. Diese Grenzen transparent darzustellen und bei Nachfragen gut zu begründen, versteht sich für Heico Engelhardt und sein 110-köpfiges Team von selbst. Umso wichtiger ist es, die Mitbestimmung dort wirksam werden zu lassen, wo es um die Aspekte der eigenen Lebenswirklichkeit geht.

Zum Beispiel stand kürzlich die Anschaffung von neuem Spielgerät zur Diskussion. Heico Engelhardt berichtet: „Wenn wir gefragt hätten, was sich die Kinder wünschen, hätten wir die tollsten Ideen bekommen. Nur hätten wir sie aus Kostengründen nicht umsetzen können. Deshalb stand eine feste Summe im Raum, innerhalb welcher frei entschieden werden konnte.“ In der Folge haben sich die Kinder und Jugendlichen untereinander verständigen müssen, was möglich ist und von den meisten gewünscht wird. So wurde dank der Beteiligung die abschließende Entscheidung selbst von jenen gut mitgetragen, die gerne andere Spielsachen angeschafft hätten. Die Entscheidung war verständlich und nachvollziehbar.

Diese positiven Erfahrungen motivieren Kinder und Jugendliche auch in anderen Entscheidungsprozessen, eigene Lösungsstrategien zu entwickeln. „Beteiligung hilft, konstruktives Lernen zu lernen“, hebt Berthold Grenz hervor, der im Kinderdorf die Mitbestimmungsprozesse schon seit vielen Jahren begleitet. Dass jedes Haus und jeder Bereich unterschiedliche Regeln des Zusammenlebens entwickelt hat, sieht der Sozialpädagoge als Erfolg, denn die Kinder und Jugendlichen sowie die Fachkräfte seien schließlich ebenfalls unterschiedliche Menschen.

Fachkräfte mitnehmen und Ressourcen einplanen

Mitbestimmung gelingt nicht nebenbei. „Als Einrichtung muss man feste Ressourcen dafür einplanen. Zudem sollte klar definiert werden, wo Beteiligung möglich ist. Dazu gehört die deutliche Unterscheidung zwischen Mitentscheiden und Mitreden. Da dies für Fachkräfte nicht immer leicht umsetzbar ist, sind Führungskräfte gefordert, für ein offenes Klima im Team zu sorgen und Unterstützung anzubieten. Kinder- und Jugendhilfe kann ohne Partizipation nicht gelingen“, ist Heico Engelhardt überzeugt.


Weitere Informationen zur Beteiligung im SOS-Kinderdorf Zwickau finden Sie auf der Website:
www.sos-kinderdorf.de/kinderdorf-Zwickau


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.

Die neue Ausgabe anspiel. mit dem Titel "Fachkräftemangel. Wirklich?" erscheint am 31. August 2018.