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Mitbestimmung in der Sozialen Arbeit: Vom Spannungsfeld zum Vorteil für alle

Rund um einen Holzbaustein mit der Aufschrift 'Partizipation' sind viele kleine Holzwürfel mit dazu passenden Symbolen aufgebaut. (Foto: magele picture/ fotolia.com)

Die Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen in sozialen Angeboten zu ermöglichen, sollte selbstverständlich sein. Der Arbeitsalltag, die Routine von Abläufen oder Zeitdruck können jedoch bremsend wirken. Das Sozialteam bindet die Nutzer*innen bewusst ein und erreicht gleichzeitig eine höhere Mitarbeiter*innenzufriedenheit.

Spätestens mit dem Aufkommen des Schlagwortes der Inklusion haben Menschen mit Behinderungen an Selbstbewusstsein gewonnen und fordern zu Recht mehr Selbstbestimmung ein. Die Fähigkeiten des Individuums in den Vordergrund zu stellen und nicht die Defizite zu betonen, hat sich in jenen Tätigkeitsbereichen der Sozialen Arbeit weitgehend durchgesetzt, die man klassisch als Behindertenhilfe bezeichnete. Mit dem Bundesteilhabegesetz erhielt diese Sichtweise zu weiten Teilen ebenfalls in rechtliche Regelungen und die Leistungsgewährung Einzug. Doch wie kann ein Träger Mitbestimmung ermöglichen, ohne die Beschäftigten zu überfordern?

Auch bei der Sozialteam – Soziotherapeutische Einrichtungen für Sachsen gGmbH sah man dieses Spannungsfeld. Zum 25. Trägerjubiläum stieß man dennoch einen Rechteprozess an, der die Mitbestimmung der Nutzer*innen stärken sollte. „Um sich beteiligen und Mitwirkungsmöglichkeiten wahrnehmen zu können, muss man seine Rechte kennen“, berichtet Wolfgang Schneider-Pannewick, Projektleiter beim Sozialteam, über den Ansatz des Verfahrens. Zu Beginn fanden an den mehr als zehn Standorten in Bayern und Sachsen strukturierte Gruppeninterviews mit den Nutzer*innen statt. Die Ergebnisse bearbeiteten dann mehrere Arbeitsgruppen, bestehend aus Menschen mit Behinderungen und den Mitarbeitenden.

Trotz des nicht unerheblichen organisatorischen Aufwands für den über ein Jahr dauernden Prozess überwiegen für den Projektleiter die Vorteile: „Nutzerinnen und Nutzer sowie Beschäftigte gemeinsam am Prozess mitwirken zu lassen, eröffnete allen neue Perspektiven.“ So konnte im Dialog wechselseitiges Verständnis für die jeweiligen Abläufe geschaffen werden. Transparenz war im gesamten Verfahren ein wesentlicher Aspekt. „Im Ergebnis erleben wir einen beiderseitigen Erkenntnisgewinn, der spürbar dazu beiträgt, die Zufriedenheit bei allen Beteiligten zu fördern.“ Als praktisches Ergebnis wurden Flyer erstellt, die zeigen, welche Rechte die Nutzer*innen in ihren jeweiligen Einrichtungen haben. Auf diese weisen die Mitarbeiter*innen vor allem zu Beginn eines Betreuungsverhältnisses und dann regelmäßig hin.

Ausgewogenheit der Interessen aller Beteiligten

Das Gleichgewicht zwischen den Interessen der Beschäftigten und jenen der Menschen mit Behinderungen muss gewahrt bleiben. So gab es in der Belegschaft des Sozialteams anfänglich kritische Stimmen, die einen Aufgabenaufwuchs befürchteten oder sich im Dilemma befanden, einerseits die Selbstbestimmung der Nutzer*innen fördern zu wollen, aber andererseits die Grenzen der eigenen Belastbarkeit erreicht zu sehen.

Dass diese Interessen nicht gegenläufig sein müssen, zeigt ganz praktisch das Beispiel der Mitbestimmung in einer der Wohngruppen des Sozialteams. In dieser wurde das Essen lange von einem externen Caterer angeliefert und sorgte oft für Unzufriedenheit. Daher beschloss das Team, künftig selber mit den Bewohnenden zu kochen. Obwohl sich der Planungsaufwand und der Umfang der abschließenden Abrechnungsmodalitäten erhöhten, ist gleichzeitig die gestiegene Zufriedenheit aller Beteiligten zu spüren. Die Bewohner*innen erarbeiten einen gemeinsamen Speiseplan, kaufen ein und bereiten zusammen die Mahlzeiten zu. „Sie wurden ernst genommen und konnten sich einbringen. Insbesondere psychisch- oder suchterkrankte Personen konnten auf diesem Weg wieder Erfahrungen von Selbstwirksamkeit sammeln. Wenn etwas nicht funktionierte oder das Essen nicht schmeckte, waren alle gelassener, da man es selbst in der Hand hat, beim nächsten Mal anders zu handeln. Das Klima in der Wohngruppe entwickelte sich in der Folge insgesamt positiv und gleichzeitig reduzierten sich stressige Situationen für die Mitarbeitenden“, berichtet Wolfgang Schneider-Pannewick. Zudem wird die Mitbestimmung auf diesem Weg gleichzeitig zu einem Instrument der Therapie.

Die Einrichtungsform sowie die Art der jeweiligen Behinderung wirken sich selbstverständlich auf den Grad der Mitbestimmungsmöglichkeiten aus. Doch selbst in stärker reglementierten Settings wie der geschlossenen Unterbringung von psychisch Erkrankten gibt es Spielräume, um individuelles Handeln zu ermöglichen. Der Projektleiter ist überzeugt, dass selbst kleine Entscheidungen für die Nutzer*innen von Bedeutung sein können. Diese gelte es stets auszuloten und auszubauen.

Rollen klären und Grenzen deutlich kommunizieren

Mitbestimmung muss von einer dialogischen Grundhaltung getragen sein. Daher wurde im Sozialteam ebenfalls über die Grenzen von Mitbestimmung gesprochen. Als Voraussetzung steht immer ein klares Rollenverständnis, in dem es keine versteckten Machtungleichgewichte geben darf. Außerdem muss der Unterschied zwischen Wunsch und Recht deutlich werden. Nicht alles was wünschenswert ist, ist umsetzbar. In Aushandlungsprozessen ist nach dem Machbaren zu suchen. Wünsche sind ernst zu nehmen, aber es müssen auch Grenzen gesetzt werden. Fachkräfte sind gefordert, pädagogisch zu arbeiten und keine pauschalen Verbote auszusprechen.

„Mitbestimmung kann ein ausgewogenes Geben und Nehmen befördern“, ist der Sozialpädagoge überzeugt und hebt hervor: „Damit dies gelingt, sind Führungskräfte gefordert, diese Überzeugung vorzuleben und ein gutes Gespür dafür zu haben, dass die Beschäftigten nicht an ihre Grenzen stoßen. Wir haben konsequent darauf geachtet, unsere Fachkräfte diesbezüglich weiterzubilden. Themen waren dabei zum Beispiel Autonomieförderung, Handeln im Rahmen von Dilemmata oder Nähe und Distanz professionell zu gestalten.“ Das Sozialteam fährt bisher gut mit diesem Ansatz, da neben den Bedürfnissen der Nutzer*innen gleichzeitig die Beschäftigten Berücksichtigung finden und sich wohlfühlen. Ein Aspekt, der gerade in Zeiten des erhöhten Fachkraftbedarfs an Gewicht gewinnt.


Mitbestimmung in den Alltag integrieren und Klient*innen aktivieren. Tauschen Sie sich mit der Sozialteam - Soziotherapeutische Einrichtungen für Sachsen gGmbH über praktische Erfahrungen und Chancen aus. Kontakt und weitere Informationen unter: www.sozialteam.de


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.