Freiwillige sollen während ihres Dienstes Neues kennenlernen und sich dabei in die Arbeit der jeweiligen Einrichtung einbringen. Oft werden die freiwilligen Helfer*innen jedoch in feste Abläufe eingebunden und ihre Mitgestaltungsmöglichkeiten sind beschränkt. Dass es anders gehen kann und wie, zeigt der Sachsenforst.
Das Wetter ist grau und leichter Schneeregen rieselt gegen das Bürofenster von Kai Noritzsch, der beim Sachsenforst im Forstbezirk Neustadt mit zwei weiteren Kollegen für die Anleitung von Freiwilligen zuständig ist. „Unsere Freiwilligen sind in der Regel draußen im Einsatz. Bei Wetterbedingungen wie wir sie heute haben, muss aber niemand in den Außeneinsatz. Das können die Freiwilligen jedoch selbst entscheiden“, sagt er und spricht bereits einen wichtigen Punkt des Selbstverständnisses im Umgang mit den Freiwilligen an: das eigenständige Arbeiten derjenigen, die beim Sachsenfost ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) oder einen Bundesfreiwilligendienst (BFD) absolvieren.
Zusätzliche Aufgaben, die das Kerngeschäft stützen
Es gibt eine Fülle an Aufgaben im Forstbezirk Neustadt, den Kai Noritzsch mitverantwortet. Der Einsatz von Freiwilligen ist daher auch hier ein wichtiges Instrument, um zusätzliche Tätigkeiten erledigen zu können, die andernfalls liegen bleiben müssten. „Die FÖJler oder Bundesfreiwilligen übernehmen Dinge, die unsere tägliche Arbeit unterstützen, aber nicht zum Tagesgeschäft gehören. So kartierte ein Freiwilliger kürzlich den Zustand von Quellen in einem Waldstück. Wir wussten vorher zwar, wo die Quellen liegen, aber die jetzt vorhandene Zustandserfassung gibt uns wichtige Hinweise, falls in der Gegend beispielsweise Waldarbeiten durchgeführt werden müssen bzw. ob die Quellstandorte durch aktive Maßnahmen zu schützen sind. Der zuständige Revierförster oder die Waldarbeiter können nun auf diese hilfreichen Informationen zugreifen“, erklärt der Anleiter.
Die Kartierung übernahm der Freiwillige in Eigenregie nachdem er eine entsprechende Einweisung erhalten hatte. Während seiner Arbeit gab es immer wieder Rücksprachen und er unterbreitete außerdem wichtige Vorschläge. Darauf legen Kai Noritzsch und seine Kollegen großen Wert. Immer wieder haben Freiwillige auf diese Weise Denkanstöße geliefert, die dem Team ebenfalls neue Sichtweisen ermöglichten.
Aufgabenprofile und Ziele mit den Freiwilligen definieren
Als Einsatzstelle hat der Sachsenforst genaue Vorstellungen von Aufgaben, die Personen im FÖJ oder BFD während ihrer bis zu einjährigen Dienstzeit umsetzen können. Das Aufgabenprofil und mögliche Zielvorgaben entwickeln Anleitende und Freiwillige jedoch gemeinsam. „Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass man sich am Anfang ausreichend Zeit für das gegenseitige Kennenlernen nehmen muss. Auf die Fertigkeiten und Interessen des Freiwilligen zu blicken, ist dabei ebenso wesentlich, wie dessen Erwartungen zu kennen. Nur so lässt sich gemeinsam ein Projekt finden, das während der Dienstzeit umgesetzt werden kann und das beiden Seiten nützt - uns als Einsatzstelle genauso wie demjenigen, der seine Zeit freiwillig bei uns einsetzt“, schildert der Anleiter das Vorgehen.
Während dieses Kennenlernens stellt sich schon oft heraus, wieviel Begleitung notwendig ist oder von den Freiwilligen gewünscht wird. Davon hängt dann letztlich der Umfang der Mitbestimmung und Eigenständigkeit ab. Bei den jüngeren Teilnehmer*innen, wie zum Beispiel Schulabgänger*innen, muss öfter geschaut werden, wie es läuft, ob Hilfe benötigt wird oder ob es darum geht, Mut zu machen, sich an neue Aufgaben heranzuwagen. Erwachsene sind auf Grund ihrer Lebenserfahrung oft viel selbstständiger und bringen sich mehr ein. Spontane Rücksprachen und feste Termine bilden den Rahmen, um miteinander in Kontakt zu bleiben und das weitere Vorgehen oder einfach nur einen Zwischenstand zu besprechen.
Als Basis der Zusammenarbeit sieht das Anleitendenteam das gegenseitige Vertrauen. Das gilt auch, wenn es mal nicht so läuft. Kai Noritzsch beschreibt sein Verständnis von Anleitung wie folgt: „Es geht eher darum, Impulse zu geben als ein enges Korsett an Vorgaben zu schnüren. Andererseits darf man klare Ansagen nicht scheuen und muss Probleme offen ansprechen. Dazu ermuntern wir auch die Freiwilligen.“ Lächelnd fügt er hinzu: „Ja, man muss gleichzeitig die Bereitschaft mitbringen, zu scheitern. Dann ist umsteuern angesagt und die Aufgaben sind neu auszurichten. Die vielen positiven Erlebnisse mit den bisherigen Freiwilligen bestärken mich jedoch darin, dass es immer eine passende Lösung gibt.“
Obwohl Aufgabenprofile und Zielstellung konkret sein müssen, brauchen die Projekte der Freiwilligen demnach ein Maß an Flexibilität, das Nachsteuern ermöglicht. Das gilt sowohl dafür, die Anforderungen nach unten zu schrauben als auch für ein Höherstecken der Ziele. Nicht selten wachsen Freiwillige mit ihren Aufgaben. Dazu tragen neben den inhaltlichen Anforderungen ebenso die eigenen Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten bei.
Eigenständiges Handeln von Freiwilligen hilft Anleitenden
Mit den beschriebenen Freiräumen möchte der Sachsenforst den Freiwilligen attraktive Entfaltungsmöglichkeiten und positive Erfahrungen bieten. Gleichzeitig geht es den Anleitenden ähnlich wie in vielen Einsatzstellen: Der Spielraum für die Anleitung ist durch innerbetriebliche Abläufe und die eigenen Aufgaben beschränkt. Die den Freiwilligen zugestandene Freiheit sieht man daher als Chance, um gute Anleitung erst möglich zu machen. Die Umsetzung von Aufgaben in einzelnen Schritten vorzugeben und folglich deren korrekte Umsetzung akribisch zu kontrollieren, erachtet man als um ein Vieles aufwendiger und zeitintensiver.
Die Zusammenarbeit mit mehreren Freiwilligen über die Jahre hat gezeigt: Wenn man in vertrauensvollem Dialog miteinander arbeitet und Ideen zulässt, dann entstehen in der Regel gute Ergebnisse. „Wir haben in den letzten Jahren viele tolle Projekte mit Freiwilligen umgesetzt. Die Art, wie wir das handhaben, hat meiner Ansicht nach einen gewichtigen Anteil daran“, sagt Kai Noritzsch und blickt zufrieden aus dem Bürofenster in den nebligen Januartag.
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.
Die neue Ausgabe anspiel. mit dem Titel "Fachkräftemangel. Wirklich?" erscheint am 31. August 2018.