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Nachhaltigkeit: Einfach anfangen!

Symbolbild: Eine gläserne Weltkugel liegt in einer grünen Wiese auf die aus einem blauen Himmel die Sonne scheint.

Nachhaltigkeit und Soziale Arbeit zusammenzubringen, erscheint im ersten Moment nicht leicht. Die Lebenshilfe Annaberg hat sich dieser Aufgabe gestellt und ein Nachhaltigkeitskonzept entwickelt. Wir sprachen darüber mit deren Geschäftsführer Sebastian Groß.

Herr Groß, ein Nachhaltigkeitskonzept für ein Unternehmen umzusetzen, klingt nach einer beträchtlichen Aufgabe. Welche Vorbehalte gab es und wie sind Sie diesen begegnet?

Sebastian Groß: Ich denke, es ist normal, dass Veränderungen für Verunsicherung sorgen. Natürlich gab es in der Mitarbeiterschaft durchaus die Frage: „Ist das überhaupt notwendig?“ Verunsicherung fußt jedoch oft auf Unwissen, weshalb wir in allen Teams Workshops zur Nachhaltigkeit organisiert haben. Dort sind wir darüber ins Gespräch gekommen, was alle Beteiligten unter Nachhaltigkeit verstehen und welche Ideen es schon gibt. Mittels eines Brainstormings beteiligten wir die Mitarbeitenden direkt am Prozess und motivierten so, sich näher mit dem Thema auseinanderzusetzen. Davon profitieren wir noch jetzt, da immer wieder Anregungen aus der Belegschaft kommen. Als Leitungskreis befassten wir uns dann zwei Tage lang intensiv mit Nachhaltigkeit und diskutierten deren Implementierung.

Wie haben Sie Prioritäten gesetzt?

Sebastian Groß: Natürlich haben wir versucht, das Thema für uns fassbar zu machen und auch die Auswertung der besagten Workshops half dabei, Schwerpunkte zu identifizieren. Konkrete Prioritäten haben wir in diesem Sinne anfangs nicht gesetzt. Viel entscheidender war, dass wir direkt mit jenen Dingen begonnen haben, die sich relativ leicht umsetzen ließen. Wir haben beispielsweise auf Ökostrom umgestellt, wechselten zu einer nachhaltig wirtschaftenden Bank, stellten in den WfbM auf Mehrwegsysteme um und verzichten nach Kräften auf Einwegprodukte. Das sind alles Maßnahmen, die nicht mit hohen Kosten verbunden sind. Zudem gibt es Fördermittel, die bei der Umstellung helfen, wie beispielsweise die Wallbox-Förderung für E-Autos. Zu sehen, wie diese ersten Schritte konkret wirken, beflügelt für das weitere Vorgehen. Stück für Stück haben wir alles in einen konzeptuellen Rahmen gegossen und tun das auch heute noch, da immer wieder Erkenntnisse und Ideen dazukommen. Hilfreiche Impulse erhalten wir außerdem durch das Projekt „Klimaschutz in der Sozialen Arbeit stärken“ des Paritätischen Gesamtverbandes, bei dem wir seit Anfang 2022 mitwirken.

Worauf sollten Organisationen achten, wenn sie sich der Nachhaltigkeit nähern wollen?

Sebastian Groß: Sowas kann nur gelingen, wenn man alle Mitarbeitenden mitnimmt und die Vorteile in den Mittelpunkt rückt. Bei Nachhaltigkeit darf keine Verzichtsdebatte geführt werden. Der Klimawandel ist ein Fakt und wir brauchen neue Lösungen. Das bedeutet nicht Verzicht, sondern neu zu denken und Chancen zu ergreifen. Und das können wir in der Sozialen Arbeit sehr gut. Nur weil man bestimmte Dinge schon immer so gemacht hat, ist das nicht gleichbedeutend damit, dass man sie schon immer gut gemacht hat. Ja - bei allen positiven Effekten, die es zu erreichen gibt, heißt es an einigen Stellen, die sprichwörtliche Komfortzone zu verlassen. Für uns kann ich feststellen, dass sich das bisher sehr gelohnt hat.

Weil der Diskurs über Nachhaltigkeit leicht zu politischen Fragen führen kann, haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, diese Dimension aus den Diskussionen herauszuhalten. Im Mittelpunkt muss klar stehen, was vor Ort im Unternehmen getan werden kann. Leitfrage ist: Welche Ideen wollen wir hier umsetzen? Man ist überrascht, was alles geht und welche Möglichkeiten sich eröffnen. Gleichzeitig sollte nichts überstürzt werden. Mit dem Motto „Schritt für Schritt“ sind wir bisher gut gefahren.

Als Geschäftsleitung hätte ich gerne eine Checkliste gehabt, an der ich mich Punkt für Punkt hätte entlangarbeiten hätte können, um am Ende bei einem Nachhaltigkeitskonzept zu landen. Die hatten wir nicht. Aber vielleicht war das wiederum auch gut so, da der Austausch dabei half, die Idee der Nachhaltigkeit im Team und der täglichen Arbeit zu verankern.

Welchen Nutzen bringt das Nachhaltigkeitskonzept für die Kernaufgaben der Lebenshilfe Annaberg?

Sebastian Groß: Nachhaltigkeit ist ja mehr als Umwelt- und Klimaschutz. Es geht um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Die UN benennt immerhin 17 Nachhaltigkeitsziele. Die soziale Komponente spielt dabei eine wichtige Rolle. Dazu gehören bei uns beispielsweise faire und tarifliche Löhne, familienfreundliche Arbeitszeiten, gelebte Gleichberechtigung, Angebote der persönlichen Fort- und Weiterbildung sowie die Wertschätzung aller.

Ich bin davon überzeugt, dass dies zu unserer Arbeitgeberattraktivität beiträgt und unsere Position im Wettbewerb um Fachkräfte stärkt. In Gesprächen bemerke ich immer wieder, dass Mitarbeitende ein gutes Gefühl dabei haben, in einer Organisation tätig zu sein, die nicht nur mit ihrem Kerngeschäft einen gesellschaftlichen Beitrag leistet, sondern auch darüber hinaus. Sowas motiviert nicht nur die Mitarbeitenden, sondern auch mich und die anderen Leitungskräfte. Wenn wir als Team mit dieser Grundeinstellung an unsere jeweiligen Aufgaben herangehen, spüren das selbstverständlich auch unsere Klient*innen. Ganz konkret erleben diese es zudem auf dem eigenen Teller. Denn gesunde Ernährung gehört ebenfalls zur Nachhaltigkeit. Hinsichtlich der Verpflegung haben wir in der letzten Zeit einige Veränderungen vorgenommen. Zudem achten wir darauf, dass die Lebensmittel möglichst aus der Region kommen.

Was würden Sie sich wünschen, um hinsichtlich der Nachhaltigkeit weiterzukommen?

Sebastian Groß: Ein Wunsch wäre natürlich, dass wir eine Fachkraft einstellen könnten, die sich des Themas vollumfänglich annehmen und dessen Umsetzung koordinieren kann. Die Frage muss ohnehin gestellt werden, inwieweit Aktivitäten zur Nachhaltigkeit künftig in die Finanzierung Sozialer Arbeit mit eingepreist werden sollten. Es gibt bereits verschiedene Förderprogramme, über die sich einzelne Aspekte abdecken lassen. Doch das geht immer mit einer Vielzahl an verschiedenen Förderverfahren einher, die dann ihrerseits bürokratische Erfordernisse mit sich bringen. Auch auf dieser Ebene muss neu gedacht werden, wenn wir als Gesellschaft nachhaltiger werden wollen.

Herr Groß, herzlichen Dank für das Gespräch.


Sebastian Groß verfolgt gemeinsam mit seinem Team das Ziel, die Lebenshilfe Annaberg e.V. zu einer nachhaltigen Organisation umzubauen. Sie wollen sich dazu austauschen? Kontaktdaten finden Sie unter: www.lebenshilfe-annaberg.de


Das Interview erschien zuerst in der Ausgabe September 2022 des Verbandsmagazins anspiel. Das Heft können Sie hier herunterladen.