Kontaktaufnahme

Pflege: Geragogik - Wissen erneuern bei Pflegebedürftigkeit im Alter

Eine ältere Dame in einer Pflegeeinrichtung sitzt auf einem Stuhl. Die Hände greifen vor ihrer Brust ineinander und die Arme sind im rechten Winkel seitlich zum Körper erhoben. Bei dieser kleinen Fitnessübung lacht sie freundlich in die Kamera.

Lebenslanges Lernen kommt immer wieder zur Sprache, wenn es um Bildung geht. Doch die Ansprüche an Bildung wandeln sich mit fortschreitendem Alter. Kommt Pflegebedürftigkeit hinzu, ändern sich die Bedarfe an Bildung erneut. Was bedeutet dies für die Anbieter der Altenpflege?

Was selbstverständlich klingt, ist den wenigsten Menschen bewusst: Mit einsetzender Pflegebedürftigkeit betritt der Mensch einen neuen Lernabschnitt. „Je nach Schwere des Unterstützungsbedarfs bedeutet das, sich von erworbenen Denk- und Handlungsmustern zu verabschieden, den Alltag neu zu gestalten und sich Gewohntem anders anzunähern. Dieser Herausforderung erfolgreich zu  begegnen, ist nicht immer leicht. Gerade bei plötzlich eintretendem Pflegebedarf brauchen Betroffene eine vorher kaum gekannte Flexibilität, die besonders im höheren Alter schwerer zu meistern ist“, erklärt Julia Schulz, Referentin für Altenhilfe des Paritätischen Sachsen.

Bildungsverständnis im Alter: ganzheitlich und lebensweltbezogen

Zentrale Aspekte des Wissenserwerbs im Alter sind die Selbstfürsorge und die Beziehungsgestaltung. Hinzu kommen die Bewältigung von Lebenskrisen, des Sterbens oder von Krankheiten. Der richtige Umgang damit und der gezielte Einsatz der eigenen Ressourcen fallen älteren Menschen zunehmend schwerer. Umso stärker, kommt Pflegebedürftigkeit hinzu.

Bedingt durch physische und psychische Beeinträchtigungen verändern sich auch die eigenen Ansprüche an die Form des lebenslangen Lernens, wenngleich dieser Umstand selten bewusst als Bildungsprozess wahrgenommen wird. Julia Schulz umreißt es so: „Untersuchungen haben gezeigt, dass das Bildungsverständnis im Alter eher ein ganzheitliches und lebensweltbezogenes ist. Die persönliche Lebensgestaltung steht im Vordergrund. Der Umgang damit hat unmittelbaren Einfluss auf die Kommunikation und Interaktion mit dem eigenen Umfeld.“

Gezielt aktivierende Angebote unterbreiten

Damit Pflegebedürftige sich beteiligen und weiterhin Mitverantwortung übernehmen, ist es für Pflegeanbieter interessant, gezielt aktivierende Angebote zu unterbreiten. Nicht zuletzt die gesetzlichen Neuerungen der Pflegestärkungsgesetze I bis III öffnen diesbezüglich neue Möglichkeiten, bzw. stellen entsprechende Forderungen an die Anbieter. Das weitgehend selbstbestimmte Leben im hohen Alter und bei Pflegebedarf ist ein Kernstück der kürzlich in Kraft getretenen Reformen.

„Besonders das Lernen in informellen Kontexten gewinnt im Alter an Bedeutung. Doch auch diese Art der Wissenserweiterung erfordert eine gewisse bildungsrelevante professionelle Begleitung – eine geragogische Begleitung. Beispielsweise sollte hier auf den Umgang mit moderner Technik wie Fernsehern oder Telefonen hingewiesen werden. Diese neu erworbenen Kompetenzen fördern eine selbstbestimmtere, selbstständigere Lebensweise, die wiederum eine gewisse Unabhängigkeit von pflegerischem und betreuerischem Hilfebedarf mit sich bringt“, so Julia Schulz, die selber mehrere Jahre sowohl in der ambulanten als auch stationären Pflege tätig war.

Bildungsangebote für Pflegebedürftige mit Lebens- und Sinnbezug

Besonders wichtig ist bei Bildungsangeboten für Pflegebedürftige der Lebens- und Sinnbezug. Vorhandene Fähigkeiten sollen erhalten, bzw. genutzt werden. Zudem sind die Persönlichkeit und der Charakter der einzelnen Menschen in den Angeboten stärker zu berücksichtigen. Unterschiedliche Bildungsmethoden und Lehrmaterialien müssen sinnvoll zur Anwendung kommen. Einige Dinge nicht mehr richtig zu können, ist bei älteren Menschen meist von Scham und Rückzug begleitet. Daher bevorzugen pflegebedürftige Menschen oft einen kleinen, vertrauten Rahmen. Dieser schafft die Basis, um Angebote effektiv zu nutzen und ist die Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse. Bei der Begleitung sollte die zuständige Fachkraft zudem eine adäquate psychosoziale Betreuung anbieten und nicht die Defizite des Pflegebedürftigen im Fokus haben. „Im Arbeitsalltag von stationärer und ambulanter Pflege erscheinen derartige Anforderungen manchmal kaum leistbar. Der langfristig positive Effekt auf die Zufriedenheit der Pflegebedürftigen und in der Umkehr auch auf das Pflegepersonal ist die Anstrengungen aber allemal wert“, ermuntert die Referentin, sich stärker mit geragogischen Aspekten im Pflegealltag auseinanderzusetzen.

Der Artikel ist im Verbandsmagazin anspiel. Ausgabe 1/2017 erschienen.

Lesen Sie jetzt mehr...