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Pflege: Humor als Werkzeug

Mit einem Lächeln im Gesicht geht vieles leichter: Für Personal und Bewohner*innen die Belastung im Pflegealltag zu reduzieren, ist eines der Ziele des Pilotprojektes „Humor in der Pflege“. Dieses Modellprojekt verändert derzeit das Altenheim „Sonnenschein“.

Zwei Personen tauchen am Ende des Flures im Altenpflegeheim „Sonnenschein“ der Volkssolidarität Leipzig auf. Im Gegenlicht sind nur ihre Umrisse zu sehen, doch beim Näherkommen fallen ihre roten Nasen mit den Gummibändern ins Auge. „Sie sind da, sie sind da“, ruft Heimbewohner Herr Walther, reißt die Arme nach oben und beginnt zu jubeln. Die beiden, die so freudig begrüßt werden, sind die Clowninnen Lulu und Muk vom ROTE NASEN Deutschland e. V. Ihr Besuch steht ganz im Zeichen des besonderen Modellprojekts „Humor in der Pflege - für die seelische Gesundheit“.

Das dreijährige Gemeinschaftsprojekt der AOK Plus und der ROTEN NASEN findet im Pflegeheim „Sonnenschein“ seit einem Jahr statt. Es ist einer der drei stationären Pflegeeinrichtungen in Sachsen und Thüringen, die daran teilnehmen. Ziel ist es, zu zeigen, dass Humor erlernt und bewusst eingesetzt werden kann, um die Resilienz zu stärken und die Herausforderungen im Pflegealltag zu bewältigen. Der Blick liegt dabei auf allen Beteiligten gleichermaßen:  Den Mitarbeitenden, den Bewohner*innen sowie den Angehörigen.

Turbulente Clownvisite

Wie das in der Praxis aussieht, demonstrieren die beiden Clowninnen eindrücklich bei ihrer heutigen Visite „So freundlich wollen wir immer begrüßt werden, das machen wir gleich noch mal“, schlägt Clownin Lulu vor und dirigiert Herrn Walther und die Fotografin in eine Reihe, damit sie sich für eine La-Ola-Welle positionieren. Arme fliegen in die Luft und ein lautes „Heeeey“ geht durch den Raum – die Aufmerksamkeit der Seniorinnen und Senioren, die gerade im großen Aufenthaltsraum bei Kaffee und Kuchen sitzen, ist ihnen nun sicher.

So turbulent wie die Begrüßung geht die Clownvisite weiter. Clownin Muk spielt einen langsamen Walzer auf ihrer Ukulele während Lulu und Herr Walther dazu tanzen. Sie klettern auf Stühle, vergleichen Oberarmmuskeln, ziehen die Schuhe aus. Herr Walther blüht im Zusammenspiel mit den Clowninnen regelrecht auf und die anderen Heimbewohner*innen stimmen durch Zwischenrufe, Gelächter und Anfeuern in das Spiel ein. Dabei gilt stets: Alles kann, nichts muss – in die Interaktion mit den Clowninnen steigt nur ein, wer auch Lust dazu hat.

Fokus auch auf dem Wohlergehen der Mitarbeitenden

Neben den vierzehntäglichen Clownvisiten für die Bewohner*innen steht ebenso das Wohlergehen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des „Sonnenscheins“ im Fokus. Der Hintergrund hierfür ist ein ernster: Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten, sind über alle Krankheitsarten hinweg häufiger krankgeschrieben als andere Berufsgruppen. Das Wissenschaftliche Institut der AOK (WldO) untermauerte dies in einer Analyse vom August 2022: Psychische Erkrankungen, die mit Burnout in Verbindung stehen, sind bei Pflegekräften deutlich verbreiteter als in anderen Berufsgruppen. Die Burnout-Rate liegt um 68 Prozent höher als im Durchschnitt.

Damit es nicht so weit kommt, müssen neue Präventionsstrategien entwickelt werden. Hier setzt „Humor in der Pflege“ an. „Das Modellprojekt liefert uns wertvolle Impulse und bietet insbesondere unseren Mitarbeitenden eine neue Sicht auf die Dinge: Sie sehen, dass Humor ein tolles Werkzeug ist, um mit mehr Leichtigkeit den Arbeitstag und stressige Situationen zu bewältigen“, sagt Tanja Treffurth, Leiterin Soziale Dienste der Volkssolidarität Leipzig. Deshalb werden die Pflegekräfte in Zusammenarbeit mit den ROTEN NASEN in ganztägigen Workshops zu sogenannten „Humor-Agent*innen“ ausgebildet.

Eine Humor-Agentin im Einsatz

Eine der ersten Absolventinnen ist nach einem Jahr Sozialbetreuerin Susan Richter. „Anfangs war ich skeptisch und hatte etwas Angst, mich im Arbeitsalltag als Clown verkleiden zu müssen. Diese Angst war aber unbegründet“, erzählt sie. Vielmehr geht es darum, Humor als Haltung einzunehmen und Situationen aus anderen Perspektiven zu beleuchten. Wie sie das im Alltag umsetzt, erklärt Susan Richter: „Neulich war es stressig und da haben wir im Team beschlossen, wir müssen uns zur Aufmunterung einen ‚Schmidti‘ geben. Das haben wir im Humor-Workshop erfunden.“ Schon macht sie vor, wie das aussieht: Sie gibt sich einen Kuss auf den Daumen und drückt sich diesen auf die Schulter. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Es ist nur eine kleine Geste, aber sie hebt die Laune und lässt sich auch anwenden, wenn niemand anderes da ist, um positive Energie zu geben.

Außerdem ist die frisch gebackene Humor-Agentin nun bei der Arbeit mit den Pflegeheimbewohner*innen experimentierfreudiger. So kommt etwa ein Glücksschwein zum Einsatz. Eigentlich ein schnödes grunzendes Gummischwein verbreitet es in den Händen von Susan Richter gute Stimmung. „Ich versprühe damit unsichtbares Glück. Den Bewohner*innen hat es Spaß gemacht und sie haben es sogar gestreichelt.“ An einem anderen Tag hat sie in die Arbeit mit den Senior*innen Scherzbrillen integriert. Klar ist dabei stets, dass der Einsatz von Humor tagesformabhängig ist und die Bedürfnisse der Akteur*innen respektiert werden.

Positive Überraschungen

Manchmal kommt es dabei zu Überraschungen. „Wir haben eine Bewohnerin, die ich schon mehrere Jahre kenne, und bei ihr waren die Clowns zur Visite. Ich dachte, dass sie das bestimmt nicht gut findet und uns vor die Tür setzt“, erzählt Susan Richter. Das Gegenteil war der Fall: Die Bewohnerin reagierte sehr positiv und ging auf die Interaktion mit den Clowns ein. „Das hat mich sehr beindruckt“, sagt die Sozialbetreuerin. Die Lerneffekte aus dem Humor-Seminar nimmt sie so ernst, dass die Workshop-Unterlagen stets griffbereit auf ihrem Schreibtisch liegen – falls sie ihr Wissen auffrischen will. Von ihrer anfänglichen Skepsis ist nichts mehr übrig und sie resümiert: „Ich habe noch viele Jahre vor mir. Warum also nicht Neues ausprobieren, was mir für die Arbeit helfen kann?“

Begleitendende wissenschaftliche Studie

Ob und wie das Projekt den Arbeitsalltag und die Lebensqualität im Pflegeheim verändern wird, ist Gegenstand der begleitenden wissenschaftlichen Studie der Europa-Universität Flensburg. Die Wissenschaftlerinnen Prof. Dr. Tabea Scheel und Laura Korock evaluieren „Humor in der Pflege“. Bis die ersten Ergebnisse zu erwarten sind, zeigt sich zumindest schon im Kleinen – inmitten grunzender Glücksschweine, tanzender Bewohner*innen und tröstlicher „Schmidtis“ - die positive Kraft von Humor als Werkzeug.


Lachen ist gesund. Das besagt schon eine alte Volksweisheit. Humor gezielt im Arbeitsalltag einzusetzen, kann für alle Beteiligten positiv sein. Mehr über das Pilotprojekt „Humor in der Pflege“ sowie weitere Aktivitäten der Volkssolidarität Leipzig lesen Sie auf: www.volkssolidaritaet-leipzig.de


Der Artikel erschien zuerst in der September-Ausgabe 2023 des Verbandsmagazins anspiel.