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Pflege- und Teilhabeleistungen besser miteinander vereinbaren

Rollstuhl Behinderung Teilhabe Inklusion (Sophie Lamezan/ pixelio.de)

Die Generation „Baby-Boomer“ altert und dazu gehören auch Menschen mit Behinderungen. Wie bei allen Menschen, steigt bei diesem Personenkreis mit dem Alter ebenfalls die Pflegebedürftigkeit. Die besondere Herausforderung dabei ist jedoch, Pflege- und Teilhabeleistungen ergänzend zueinander zu gestalten, meint Anne Cellar, Referentin Teilhabe.

Aktuell werden Pflegebedarfe in besonderen Wohnformen durch pauschale Zahlungen der Pflegekassen gedeckt. Diese sind allerdings oft unzureichend, um den tatsächlichen Versorgungsaufwand zu decken. Nach einer Lösung für dieses Spannungsfeld suchen Verantwortliche in Sachsen ebenso wie in vielen andere Bundesländer. Die Frage nach dem Versorgungsaufwand ist allerdings nur eine Seite der Medaille. Die viel grundlegendere Frage ist: Welche Leistungen gehören zur Pflege und welche sind originär Teilhabeleistungen?  

Das Recht auf Teilhabe trotz hohem Pflegebedarf

Laut der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) haben Menschen unveräußerliches Recht auf Teilhabe – unabhängig von einem möglichen Rehabilitationsverlauf. Dieses Recht leitet sich direkt aus dem Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ab. Die UN-BRK betont, dass Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen gleichberechtigt teilnehmen sollen. Das bedeutet, Teilhabeleistungen müssen auch dann erbracht werden, wenn der Pflegebedarf hoch ist.

Pflege als primäre Leistung vernachlässigt Teilhabe

Die Praxis zeigt jedoch, dass dieser Anspruch oft zur Streitfrage wird. Ein Beispiel dafür ist Herr Müller, der mit 56 Jahren und einer geistigen Behinderung sowie zunehmenden körperlichen Einschränkungen in ein Pflegeheim umzieht. Hier werden seine Pflegebedarfe gut gedeckt: Die Pflegekräfte kümmern sich um seine Ernährung, Körperpflege und Mobilität, und durch aktivierende Pflege wird er zur Selbstständigkeit angeregt.

Allerdings erhält Herr Müller nach dem Umzug keine Teilhabeleistungen mehr, da der Kostenträger ihn nun als Pflegefall bewertet und die Leistungen aus der Pflegekasse bezahlt werden sollen. Somit gibt es keine Maßnahmen mehr, die Herr Müller die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglichen. Er ist in keiner Arbeitsmaßnahme, hat keine Freizeitgestaltung oder Assistenz, die ihm helfen würde, außerhalb des Pflegeheims soziale Kontakte zu pflegen oder an Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen. Dies führt zu einem sozialen Rückzug. Seine Fähigkeiten, wie das Einkaufen im Supermarkt oder Treffen mit Freunden, verkümmern zunehmend. Seine Lebensfreude sinkt.

Dieses fiktive Beispiel zeigt, dass selbst eine gute pflegerische Versorgung nicht ausreicht, um Menschen wie Herrn Müller ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Ohne Teilhabeleistungen bleibt er isoliert und kann seine Potenziale nicht entfalten.

Klare Definitionen fehlen

Es gibt derzeit keine klare juristische oder fachliche Abgrenzung zwischen Pflege und Teilhabe. Es bestehen vielen Mischleistungen, die nicht voneinander trennbar sind. Allerdings wird oft nur auf die Frage geschaut, welche Gelder aus welchem Topf kommen. Dieser Ansatz greift jedoch zu kurz, da er den Bedürfnissen der Menschen nicht gerecht wird. 

Der Paritätische Sachsen setzt sich in der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe dafür ein, dass Pflege und Teilhabe als miteinander verbundene Bereiche betrachtet werden, die Menschen mit Behinderungen ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben ermöglichen. In vielen Einrichtungen wird Wohnen für Menschen mit Behinderung bereits als sogenannte Komplexleistung erbracht, wobei der Anteil der Pflege oft nicht dem realen Aufwand entspricht. Statt auf Länderebene über Abgrenzungen zu streiten, sollten die Unterstützungsbedarfe der Menschen aus einer Hand gedeckt werden.

Leistungen aus einer Hand koordinieren

Der Pflegebedarf lässt sich über das etablierte System der Pflegegrade gut abbilden. Auch bei Menschen mit Behinderung, die in Eingliederungshilfe-Einrichtungen leben, wird der pflegerische Bedarf durch den Medizinischen Dienst (MDK) festgestellt. Die Vergütung, die aktuell bei pauschalen 266 Euro im § 43a SGB XI festgeschrieben ist, deckt den tatsächlichen Pflegeaufwand jedoch nicht ab und müsste dringend angepasst werden.

Da wir von einer Komplexleistung sprechen, die sowohl Teilhabe als auch Pflege umfasst, sollte eine gestaffelte Anpassung der Pflegekassen-Beiträge nach Pflegegraden erfolgen, beispielsweise in Höhe von 50 % der Pflegesachleistung. Dies würde die Eingliederungshilfe in die Lage versetzen, den steigenden Pflegebedarfen gerecht zu werden und mehr Angebote zu schaffen, die Menschen mit Behinderung nutzen können. Eine gerechtere Finanzierung durch Bund (Pflege) und kommunale Haushalte (Eingliederungshilfe) könnte die Landkreise entlasten und Freiräume für soziale Aufgaben schaffen.

Das Gesamtplanverfahren als Lösung

In Thüringen beispielsweise wird zur Ermittlung des Bedarfs das Gesamtplanverfahren eingesetzt. Hier arbeiten Eingliederungshilfe-Träger, andere Leistungsträger und die betroffene Person zusammen, um alle notwendigen Leistungen – von der Eingliederungshilfe über Grundsicherung bis hin zu Pflege – so abzustimmen, dass der Bedarf lückenlos gedeckt ist. Dieses Verfahren ist seit 2020 für den Eingliederungshilfeträger gesetzlich vorgeschrieben, wird in Sachsen jedoch bisher nicht genutzt.


Kontakt:

Anne Cellar (Referentin Teilhabe)
Tel.: 0351 – 828 71 150
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de


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