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Rechte von Pflegebedürftigen als Basis individueller Pflege

Ältere Dame im Rollstuhl blickt aus dem Fenster. (Foto: rawpixel Ltd./ Fotolia.com)

Die Rechte von Pflegebedürftigen und deren Wahrung haben sich in den vergangenen Jahren positiv entwickelt. Wertschätzung und Respekt für die individuellen Bedürfnisse erscheinen dabei als Schlüsselfaktoren. Julia Schulz, Referentin für Pflege, betrachtet den derzeitigen Stand der Praxis.

Persönliche Werte, Zielvorstellungen und Präferenzen prägen uns und sind Motor eines selbstbestimmt gestalteten Lebens. Daher ist es wichtig, dass hohes Alter und Pflegebedürftigkeit diesen Motor nicht ins Stocken bringen. Pflege kann und muss somit die individuellen Prägungen und Bedürfnisse im Blick haben.

Die seit 2005 bestehende Pflegecharta bildet hierfür eine wichtige Grundlage. Sie umreißt, wie sich allgemeingültige Rechte (wie  Selbstbestimmung, Teilhabe  und  eine  individuelle  Pflege)  im Alltag hilfe- und pflegebedürftiger Menschen widerspiegeln sollen. Gleichzeitig soll sie die professionelle Pflege stärken und den eigentlichen Auftrag festschreiben, den Pflegende in der Versorgung haben. Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen soll die Pflegecharta bei der Qualitätsbeurteilung genutzter Pflegeleistung dienen.

Situation der Rechteumsetzung

Die Qualitätsentwicklung in der Pflege sowie die Berücksichtigung von Rechten Pflegebedürftiger in verschiedenen Pflegesettings wurden in den vergangenen Jahren verschiedentlich untersucht. Besonders interessant erscheint dabei die 2016 erschienene Studie „Rechte Pflegebedürftiger und Funktion der Pflege-Charta – Einschätzung von Mitarbeitern ambulanter Pflegedienste und stationärer Einrichtungen“, für die Daniela Väthjunker und Daniela Sulmann ein breites Meinungsbild von bundesweit 1008 Pflegediensten und –einrichtungen einholten.

Rund 60 Prozent der Befragten sehen eine Qualitätsverbesserung in der Pflege. Zudem erwarten 84 Prozent in den kommenden Jahren weitere Fortschritte hinsichtlich der Rechte der Pflegebedürftigen. Eine Tendenz, die auch Pflegebedürftige und deren Angehörigen erkennen. Hierbei wird vor allem die bessere Information über Rechte und Ansprüche hervorgehoben, die über die letzten zehn Jahre zu verzeichnen ist.

Gleichzeitig wird der zunehmende Spagat von Pflegekräften sichtbar, die einerseits individuellen Bedarfen gerecht werden wollen, sich andererseits jedoch mit einem engen Handlungsrahmen konfrontiert sehen. Vor allem zeitliche Engpässe kommen diesbezüglich zur Sprache. Diese sehen 38 Prozent in einer unzureichenden Finanzierung und 28 Prozent in der zu geringen Personalausstattung begründet. Ein Drittel der befragten Pflegekräfte bestätigt daher, dass die persönlichen Rechte in der Praxis zum Teil übergangen werden. Mehr als die Hälfte ist jedoch davon überzeugt, dass eine Orientierung an den Rechten der Pflegebedürftigen zu einer Qualitätsverbesserung führt.

Zunehmende formelle Stärkung von Rechten Pflegebedürftiger

Eine zunehmende Stärkung der Rechte von Pflegebedürftigen ist auch in der Gesetzgebung erkennbar, die Pflegebedürftige immer mehr als Verbraucher*innen versteht. So sichern beispielsweise Heimgesetzgebungen der einzelnen Länder die Rechte der Bewohner*innen unter anderem mittels qualitativer und struktureller Mindeststandards in stationären Einrichtungen oder sie fördern strukturelle Mitbestimmung in sogenannten Heimbeiräten.

In den zurückliegenden Pflegereformen lassen sich ähnlich Entwicklungen erkennen. Hier wird der Ausbau an Informations-, Beteiligungs-  und  Nutzungsrechten deutlich, die Pflegebedürftige und deren Angehörige hinsichtlich der Mitsprachekompetenz sowie des Wissens um die eigenen Handlungsmöglichkeiten unterstützen.

Hervorzuheben ist vor allem der Anspruch auf Pflegeberatung. Kritisch ist dabei jedoch die oft fehlende Unabhängigkeit der Beratungsstellen anzumerken. Eine aktuelle Erhebung des Zentrums für Qualität in der Pflege zeigte 2018 zudem, dass bei über einem Drittel der Betroffenen nach der Pflegereform noch ein großes Informationsdefizit besteht. In der Folge werden bestehende Leistungsausweitungen nur bedingt genutzt.

Andererseits haben sich die Pflegereformen hinsichtlich des Leistungsumfangs und des Zugangs für eine Vielzahl an Pflegebedürftigen positiv ausgewirkt. Damit wurden weitere Voraussetzungen geschaffen, um selbstbestimmt Pflege in Anspruch nehmen zu können.

Individuelle Rechte vs. Leistungsfähigkeit

Rechte können nur dann wahrgenommen werden, wenn passende Rahmenbedingungen vorhanden sind. Insbesondere in ländlich geprägten Regionen kann dies nur bedingt gelingen, da pflegerische Strukturen und Angebote zum Teil einfach fehlen oder schwer erreichbar sind.

Personalmangel in den ambulanten Diensten und Einrichtungen erschwert ebenfalls die vollständige Umsetzung. Der daraus folgende Zeitmangel wirkt bremsend auf eine Verbesserung der selbstbestimmten Alltagsgestaltung der Pflegebedürftigen. Diese gelingt nur dann, wenn Pflegebedürftige durch Pflegekräfte eine professionelle, personenzentrierte Unterstützung erhalten. Allein so lässt sich selbstständiges Handeln und Entscheiden ermöglichen. Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff sieht genau das vor und muss dringend weiter in den Versorgungsstrukturen implementiert werden. Auch eine Anpassung der dafür nötigen Rahmenbedingungen ist unabdingbar.

Wissenschaftliche Pflegemodelle mit menschenrechtskonformen Konzepten der Würde, Selbstbestimmung, Freiheit und Hilfe zur Selbsthilfe bieten hierbei interessante Lösungen an und finden verstärkt Berücksichtigung. Zudem haben Träger in den vergangenen Jahren neue Modelle der Versorgung von Pflegebedürftigen umgesetzt, die eben jenes Spannungsfeld zwischen der Wahrung von Rechten und der Leistungsfähigkeit von Pflegekräften aufzulösen versuchen.

Einmal mehr wird deutlich, wie hoch der Handlungsbedarf beim Thema Pflege bleibt, wenn allen am Pflegeprozess beteiligten Akteur*innen Rechnung getragen werden soll. Der Auftrag an Politik und Kostenträger, aber auch Träger und Fachkräfte bleibt somit bestehen: Weiter um gute Lösungen für eine menschenwürdige Pflege in Deutschland zu ringen und offen für neue Modelle zu sein.

Kontakt:

Julia Schulz (Referentin für Pflege)
Tel.: 0351/ 49 166 64
E-Mail: julia.schulz(at)parisax.de


Die erwähnte Studie „Rechte Pflegebedürftiger und Funktion der Pflege-Charta – Einschätzung von Mitarbeitern ambulanter Pflegedienste und stationärer Einrichtungen“ des Zentrums für Qualität in der Pflege können Sie hier nachlesen: www.zqp.de/portfolio/rechte-pflegebeduerftiger-menschen


Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2018 des Verbandsmagazins anspiel.