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Reform der Kinder- und Jugendhilfe: Verlässlichkeit und Leistungsfähigkeit in Gefahr?

Spielfiguren verschiedener Farben stehen bunt vermischt auf einem weißen Untergrund. Sie symbolisieren Vielfalt, Miteinander und Integration.

Die Sozialgesetzgebung ist in Bewegung. Pflegereform, Bundeteilhabegesetz und nun steht auch die Kinder- und Jugendhilfe auf dem Prüfstand. Bekanntgewordene Details zur Reform des Sozialgesetzbuch (SGB) VIII lassen nichts Gutes befürchten. Wir sprachen darüber mit Hartmut Mann, Referent für Kinder- und Jugendhilfe im Paritätischen Sachsen.

Herr Mann, eine weitere Änderung des SGB VIII ist schon lange im Gespräch. Nun scheint sich im zuständigen Bundesfamilienministerium etwas zu bewegen. Wie ist der aktuelle Stand?

Mann: Die letzte Gesetzesnovelle zum SGB VIII liegt erste wenige Monate zurück. Da ging es um die behördliche Verteilung von unbegleiteten ausländischen Kindern und Jugendlichen. Das Bundesjugendministerium hatte bereits für den Mai einen weiteren Referentenentwurf angekündigt, dessen Themen zuvor in mehreren Bund-Länder-Arbeitsgruppen entwickelt wurden. Erst einmal geschah nichts. Dann wurden Textfragmente und die Version einer Gesetzesvorlage bekannt, die jedoch nicht autorisiert waren. Seit dem 24. August kennen wir einen zweiten Arbeitsentwurf zu geplanten Neuregelungen, den das Ministerium mit den Spitzenverbänden der öffentlichen und freien Träger und mit den Ländern im September besprechen will. Ob und wenn ja, wann es einen Gesetzentwurf im Jahr 2016 geben wird, wissen wir noch nicht. Für einen geregeltes, beteiligungsorientiertes Gesetzgebungsverfahren noch vor Beginn des Bundestagswahlkampfs ist es bereits zu spät.

Bis jetzt sind nur einzelne Elemente geplanter Änderungen durchgesickert. Lassen sich daraus schon Tendenzen ablesen?

Mann: Die informell verbreiteten und eben nicht autorisierten Entwürfe enthalten zwei Hauptthemen: die sogenannte „Weiterentwicklung erzieherischer Hilfen“ und den Einbezug der Teilhabeleistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in das SGB VIII. Ersteres sollte demnach ab Januar 2017 greifen, der inklusive Leistungsansatz erst ab 2023. Das Verfahren zum Erkennen individuellen Hilfebedarfs bei den Jugendämtern würde extrem formalisiert. Das ist nicht gut. Die als Weiterentwicklung bezeichneten Änderungen stellen nach erster Einschätzung einen deutlichen Rückschritt dar, der auf eine weitreichende Entscheidungsmacht der öffentlichen Träger über den Bedarf von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern sowie ebenso über geeignete Angebote freier Träger abzielt. Das wäre keine gute Entwicklung, denn individuelle Rechtsansprüche und die partnerschaftliche Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Trägern tragen entscheidend zur Qualität der Kinder- und Jugendhilfe bei.

Inhaltlich ist das Vorhaben noch lange nicht ausgereift. Es gibt einige Korrekturen und Ergänzungen, die fachlich unstrittig sind. Für die beiden großen Veränderungsthemen brauchen wir mehr Zeit für einen gemeinsam getragenen Entwicklungsprozess, damit die nächste Gesetzesnovelle wirklich als Weiterentwicklung gelten kann.

Was bedeutet das für die Jugendhilfelandschaft in Sachsen?

Mann: Würden die bekannt gewordenen Änderungsvorschläge so verwirklicht, so hätte das weitreichende Folgen für die Bedarfserkennung, Planung und Leistungsgewährung in der Kinder- und Jugendhilfe. Letztlich wären alle Leistungsbereiche betroffen, neben den erzieherischen Hilfen auch die Kindertagesbetreuung, Angebote für Familien die Jugendarbeit und die Jugendsozialarbeit. Wir hätten zwar weiterhin ein Bundesgesetz, aber die Unterschiede in der Ausführung ihrer gesetzlichen Verpflichtungen zwischen den Landkreisen und kreisfreien Städte würden sich noch weiter verstärken. Ein Verlust an Verlässlichkeit und Leistungsfähigkeit zum Wohle von Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern wäre die Folge.

Am 19. September 2016 lädt der Paritätische Sachsen zur Fachbereichskonferenz nach Leipzig. Dort wird die bevorstehende Reform des SGB VIII ein Schwerpunktthema sein. Mehr Informationen dazu lesen Sie im Veranstaltungskalender.

 

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