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Schuldnerberatung: Förderpraxis als Hürde

Symbolbild: Kleingeld in einer Hand (Foto: Bilderstoeckchen/ fotolia.com)

Rund zehn Prozent aller volljährigen sächsischen Bürger*innen sind laut dem Creditreform-  SchuldnerAtlas von 2018 überschuldet. Ist man in der Schuldenfalle gelandet, dann kann die Schuldnerberatung helfen. Die zweigleisige Förderung in Sachsen erschwert jedoch die Hilfe.

Man muss fast zweimal hinsehen, um die Schuldnerberatungsstelle der Gemeinnützigen Gesellschaft Striesen Pentacon e.V. (GGSP) im Dresdner Südosten zu finden. Diskretion gehört zum Geschäft. Im Gebäude angekommen, gehen von langen schmucklosen Fluren viele Türen ab, hinter denen sich Schicksale entscheiden. Das Team von Beratungsstellenleiterin Annett Gaumnitz hilft jenen Menschen, denen die Kosten über den Kopf wachsen. „Jede Klientin und jeder Klient hat seine eigene Geschichte. Zu Beginn geht es darum, Klarheit zu schaffen, die Lage zu sondieren. Anschließend können wir ein Vorgehen abstimmen, ob und wie eine Bewältigung der Schulden möglich ist“, erklärt die Leiterin ihr Vorgehen.

Dieser Ablauf ist Teil der sogenannten Sozialen Schuldnerberatung. Sie hilft den Menschen, sich zu strukturieren, berät und unterstützt bei möglichen Schritten der Entschuldung, wie beispielsweise der Kontaktaufnahme und Einigung mit Gläubigern. In vielen Fällen reicht dieses Vorgehen allerdings nicht aus. Die Verbindlichkeiten sind bereits zu hoch, das verfügbare Einkommen hingegen zu klein – die einzige Chance: Privatinsolvenz.

Ein Beratungsprozess, zwei getrennte Fördermittelgeber

Nicht jede*r Nutzer*in kann das aufwändige und kräftezehrende Insolvenzverfahren durchstehen und viele beginnen daher erst gar nicht damit. Ist die Entscheidung jedoch dafür gefallen, dann finden sich die Berater*innen und Schuldner*innen vor einer fördermittelbedingten Hürde wieder: Während die Soziale Schuldnerberatung über die kommunale Ebene gefördert wird, kommen die Mittel für die Insolvenzberatung aus dem Haushalt des Sächsischen Sozialministeriums.

In der Praxis bedeutet das für die Klient*innen bisweilen, die Beratungsstelle zu wechseln und ihren Sachverhalt erneut darzustellen, da nicht alle Einrichtungen beide Angebote vorhalten. Hinzu kommen Wartezeiten von bis zu mehreren Monaten und im ländlichen Raum außerdem lange Fahrtwege. Letztere sind ohne eigenes Auto oder Geld für Bus und Bahn fast nicht zu überwinden.

Annett Gaumnitz erzählt: „Ein Insolvenzverfahren fordert trotz unserer Begleitung viel von den Betroffenen. Daher fällt die Entscheidung nicht immer leicht, selbst wenn es der letzte Ausweg ist. Sich auf neue Ansprechpersonen einstellen zu müssen oder in den ländlichen Regionen lange Wartezeiten und Anfahrtswege in Kauf zu nehmen, sind gravierende Hürden. Menschen geben auf, es kommt nicht zum Insolvenzverfahren, die Schuldenspirale dreht sich weiter. Das ist nicht nur für die Betroffenen verheerend, sondern auch schade um jene Fortschritte, die vorher in der Sozialen Schuldnerberatung in oft monatelanger Arbeit erreicht wurden.“

Doppelstrukturen und begrenzte Förderlaufzeiten

Vor diesem Hintergrund haben die Klient*innen in der Dresdner Beratungsstelle Glück, denn sie kann derzeit beide Beratungsangebote bedienen. Alle Teammitglieder besitzen die entsprechenden Qualifikationen und sind in der Lage, überschuldete Menschen bei Bedarf vom ersten Kontakt bis zum erfolgreichen Ende eines Privatinsolvenz-Verfahrens zu begleiten. Damit könnte allerdings 2020 Schluss sein. Denn die Förderung der Insolvenzberatung wird alle drei Jahre neu vergeben. Träger müssen sich in einem Interessenbekundungsverfahren um einen Zuschlag bewerben. Ob und in welcher Höhe mögliche Beratungsstellen gefördert werden, bleibt bis zuletzt offen. Ein kompletter Wegfall ist möglich. Infolgedessen müssten Klient*innen abgewiesen und laufende Verfahren abgegeben werden. Zudem stehen die Beschäftigungsverhältnisse der Fachkräfte immer wieder in Frage.

Unnötige Bürokratie kostet Zeit

Der Wechsel von der einen in die andere Beratungsstruktur erfolgt für die Nutzer*innen des Beratungsangebots bei der GGSP derzeit ohne die beschriebenen Schwierigkeiten. Der Aufwand für Annett Gaumnitz und ihr Team ist hingegen hoch. „Die aus der geteilten Förderung resultierende Gefährdung der erfolgreichen Entschuldung der Menschen ist nur eine Facette des Problems. Für uns bedeutet es viel zusätzlichen Verwaltungsaufwand. Damit geht Zeit verloren, die wir viel lieber für die Begleitung jener Menschen verwenden würden, die unsere Hilfe suchen“, bedauert die Beraterin.

Die Fachkräfte müssen verschiedene Abrechnungsformalitäten beachten, die sich sowohl inhaltlich unterscheiden als auch formell abweichende Anforderungen stellen. Zudem sind mehrere Statistiken für Stadt, Land und Bund mit jeweils anderen Systematiken zu führen. Für jede Beratungsart muss ein Bericht mit eigenen Schwerpunkten angefertigt werden. Dass an dieser Praxis seit Jahren festgehalten wird, ist für Annett Gaumnitz und ihre Kolleginnen unverständlich.

Eine Zusammenführung der beiden Förderstränge wird in Sachsen bereits länger diskutiert. Essenzielle Fortschritte im Sinne eines verlässlichen Hilfsangebots aus einer Hand zum Vorteil der Nutzer*innen und der Träger blieben bisher aber aus. Die Beraterinnen hoffen, dass sich daran etwas ändert, um auch künftig die Türen ihrer Beratungsstelle öffnen und ganzheitlich helfen zu können.


Bärbel Herold, Referentin für besondere Lebenslagen des Paritätischen Sachsen, kritisiert die doppelte Förderstruktur:

„Sachsenweit gibt es 76 soziale Schuldnerberatungsstellen der Freien Wohlfahrtspflege mit 25 Nebenstellen. Was auf der ersten Blick nach viel klingt, erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als lückenhaft. Trotz der beschriebenen Probleme stellt das nebenstehende Beispiel aktuell den Idealfall im Freistaat dar. Eingeschränkte Öffnungszeiten, Wartelisten, lange Anfahrtswege und fehlende Unterstützungsangebote bei Privatinsolvenzen sind die Regel – gerade im ländlichen Raum.

Die Förderung der Schuldner- und Insolvenzberatung muss daher dringend überarbeitet werden, damit die fast zehn Prozent überschuldeten Menschen in Sachsen die Hilfe bekommen können, die sie benötigen. Das bedeutet: Schnelle Hilfe aus einer Hand! Auch für die Fachkräfte ist die immer wieder in Frage gestellte Förderung eine Zumutung, die niemand auf Dauer ertragen kann. Es geht hier nur zum Teil um Kosten. Im Vordergrund stehen strukturelle Fragen, die mit einer zusammengeführten Förderung leicht zu beheben sind.“


Der Beitrag erschien zuerst in der Ausgabe 1.2019 unseres Verbandsmagazins anspiel.