Freiwilliges Lernen und Mitbestimmung sind in der Freien Schule Leipzig e.V. zentrale Elemente des Bildungsverständnisses. Sie prägen den Schulalltag, sorgen bei Außenstehenden jedoch oft für Unverständnis. Aber auch die Rahmenbedingungen im sächsischen Schulsystem setzen diesem Bildungsansatz zu.
„Nur wer sich selbst Ziele setzt und motiviert sowie ein hohes Maß an Eigendisziplin aufbringt, kann wirklich in vollem Umfang von der Freien Schule profitieren. Mit unserem Konzept bieten wir ein sehr anspruchsvolles Modell“, ist Henrik Ebenbeck von der Freien Schule Leipzig überzeugt und reagiert damit auf oft vorgebrachte Zweifel am eigenverantwortlichen Lernen. Schon bei der Gründung des Leipziger Trägers ging es darum, eine kindgerechte Schule ins Leben zu rufen, die den bis dahin gekannten starren Vorgaben aus der DDR-Zeiten etwas entgegensetzte. Feste Bestandteile waren von Anfang an die Freiwilligkeit des Lernens und Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Schüler*innen.
Freiwilligkeit des Lernens und Mitbestimmung
Die Vorstellung von Schule ist bei den meisten Menschen von festen Stundentafeln und Frontalunterricht geprägt. Andere Lernformen erscheinen da schnell weltfremd. Henrik Ebenbeck, der unter anderem das Fach Kritisches Denken unterrichtet, kann diese ablehnende Sichtweise nachvollziehen, aber nicht verstehen. „Die Vorstellung, dass Lernen freiwillig, ohne Druck, selbstgesteuert und lustvoll sein kann, ist für die meisten Menschen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Schulerfahrung so unvorstellbar und abseitig, dass sie sich dann nur solch ein extremes Bild vorstellen können“, bezieht sich der Lehrer auf die Titelzeile eines SPIEGEL-Artikels. Ein Beitrag über Freie Schulen war dort mit der Aussage überschrieben: „Wer will, kann zehn Jahre im Baum hocken.“ Eine überspitzte Formulierung, die leider noch zu oft die Vorstellung Außenstehender von der Bildungsarbeit freier Schulträger prägt.
Ein Blick in die Freie Schule Leipzig offenbart schnell, dass der Baumhocker nur wenig mit dem Schulalltag der Bildungseinrichtung zu tun hat. „Bei uns stellen sich die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Stundenpläne individuell zusammen. Der Großteil schöpft dabei den Rahmen des Möglichen aus. Neben der interessengeleiteten Auswahl lernen die Heranwachsenden dabei, sich selbst einzuschätzen und sich nicht zu überfordern“, erklärt der Lehrer.
Lernfreiheit bringt mehr als nur Wissenserwerb
Die hohe Lernmotivation liegt nicht zuletzt in den breiten Auswahlmöglichkeiten der Schule begründet. Neben grundlegenden Inhalten wie Mathematik, Biologie oder Physik finden sich zum Beispiel auch Tanzen, Nähen und Japanisch im Unterrichtsangebot. Zudem gibt es das Fach Kritisches Denken, in dem wichtige Grundlagen für eigenständiges Handeln und eine reflektierte Betrachtungsweise geübt werden. Die Teilnehmenden gingen beispielsweise schon der Frage nach, woher Geld kommt und wie das Zinssystem funktioniert. Als ganz praktische Erfahrung von Demokratie richteten die Teilnehmenden eine Petition an den Leipziger Stadtrat, die ein Verbot von Alkohol- und Zigarettenwerbung an Haltestellen in der Nähe von Schulen forderte – mit Erfolg.
„Die Erfahrung der eigenen Selbstwirksamkeit, das bewusste Abwägen von Entscheidungen und persönliches Engagement für eine Sache sind für die Schülerinnen und Schüler selbst wichtig, aber auch für unsere Gesellschaft als Ganzes“, beschreibt der Lehrer eine der Grundüberzeugungen der Schule. Die Lernenden teilen diese Ansicht. In einer kürzlich durchgeführten Befragung bewerteten sie als am wichtigsten an der Schule: „Dass ich selbst entscheiden kann, was und wie ich lernen will und dass ich alles mitbestimmen kann.“
Prüfungsanforderungen schränken zunehmend die Lernfreiheit ein
Inwieweit dieses System trägt, zeigte sich vor einigen Jahren als die ersten Schüler*innen ihre Abschlussprüfungen für einen staatlich anerkannten Schulabschluss absolvierten. Die Freie Schule Leipzig ist eine genehmigte Ersatzschule, jedoch nicht staatlich anerkannt. Daher werden die Prüfungen an einer staatlichen Mittelschule abgelegt. Statt fünf müssen dort neun Prüfungen absolviert werden. Vornoten werden nicht berücksichtigt. Dennoch bestehen rund 80 Prozent der Antretenden ihre Prüfungen beim ersten Mal.
„Seit die Prüfungen zur jährlichen Routine geworden sind, wird die Lernfreiheit nicht mehr so intensiv genutzt. Vorher gab es beispielsweise mehr fächerübergreifende Projekte. Es ist daher sehr bedauerlich, dass die staatlichen Abschlussprüfungen sich so machtvoll in den Schulalltag hineindrängen und Zeit und Raum okkupieren“, kritisiert Henrik Ebenbeck. Die Schüler*innen verspüren nun den Druck, vornehmlich die lehrplanrelevanten Angebote zu besuchen. Die interessengeleitete Auswahl gibt es immer noch, findet jedoch nicht mehr den ursprünglichen Freiraum. Umgekehrt müssen sich die Lehrkräfte stärker darauf konzentrieren, die Lernenden gut auf die externen Abschlussprüfungen vorzubereiten. Zudem stehen die Lehrer*innen während der Prüfungskurse nicht für andere Projekte zur Verfügung. Die Zeit für Ideen fernab der Lehrpläne ist merklich zurückgegangen.
Erfahren Sie mehr über die Freie Schule Leipzig auf: www.freie-schule-leipzig.de
Text: Hendrik Ebenbeck, Thomas Neumann
Der Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 1.2017 unseres Verbandsmagazins anspiel.