Selbsthilfe kann für Jugendliche in bestimmten Lebenslagen hilfreich sein. Allerdings scheinen die derzeitigen Angebote wenig attraktiv für junge Menschen. Wie sich das ändern könnte, besprachen Akteur*innen aus der Selbst- und aus der Jugendhilfe bei einem Fachaustausch.
Stuhlkreis, feste Termine, Verantwortung bei der Organisation übernehmen - spätestens an dieser Stelle steigen junge Menschen beim Thema Selbsthilfe aus. Doch wie lässt sich das ändern? Der Paritätische Sachsen, die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V. und die Landeskontaktstelle Selbsthilfe Sachsen luden im November 2023 Akteur*innen aus der Selbsthilfe und Fachkräfte aus der Jugendhilfe ein, um dieser Frage nachzugehen.
Brückenschlag zwischen Selbsthilfe und Jugendhilfe
„Fachbereichsübergreifendes Denken und Handeln ist wichtiger denn je. Deshalb haben wir Jugendhilfe und Selbsthilfe auf einem Fachtag zusammengebracht. In der aktuellen Praxis haben die beiden Bereiche nur wenige Berührungspunkte. Und doch gibt es sie, wie sich auf der Veranstaltung zeigte. Die Kolleg*innen der Jugendhilfe machten deutlich, dass Selbsthilfe für junge Menschen ein hilfreiches und interessantes Konzept sein kann. Sie merkten jedoch an, dass die derzeitigen Strukturen und Bedingungen meist nicht zu den Bedürfnissen junger Menschen passen“, berichtet Nicole Börner, Referentin Selbsthilfe des Paritätischen Sachsen.
Lücken in der Selbsthilfelandschaft
Im Dialog der beiden Fachbereiche wurden verschiedene Lücken in der Angebotslandschaft identifiziert. So seien junge Menschen an diagnoseübergreifenden Gruppen interessiert. Denn neben dem Austausch zur eigenen Lebenslage oder zum eigenen Krankheitsbild geht es Jugendlichen darum, als sie selbst und nicht nur als ihr Problem oder ihre Krankheit wahrgenommen zu werden. Ein Wunsch, der ebenfalls von erwachsenen Personen in der Selbsthilfe formuliert wurde.
Auch der Begriff der Selbsthilfe scheint eher antiquiert zu sein und wirkt auf junge Menschen mitunter abschreckend. Ebenso der Umstand, sich nur vor Ort zu treffen. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Möglichkeiten der digitalen Selbsthilfe in Form von Videocalls oder Chats angesprochen. Alle Anwesenden waren sich jedoch einig, dass Selbsthilfe nur im persönlichen Kontakt funktionieren könne. Digitale Formate wurden nicht rundweg abgelehnt, sollten jedoch immer im Ausgleich mit persönlichen Treffen stattfinden.
Kinder und jüngere Jugendliche brauchen zudem eine fachliche Begleitung an ihrer Seite. Das ist nicht nur hinsichtlich der Unterstützung bei administrativen Aufgaben rund um die eigentliche Selbsthilfe nötig. Besonders die Selbsthilfe bei Kindern braucht zudem einen moderierenden Rahmen, in dem die gegenseitige Stärkung erst möglich wird, sowie die Absicherung der Aufsichtspflicht. Für Jugendliche können Impulse - unter anderem für Gruppen- oder Freizeitaktivitäten - wichtig sein, bei denen Selbsthilfe eher „nebenbei“ passiert.
Unschärfe im Verständnis von Selbsthilfe
„Es war spannend zu sehen, wie die Diskussion um die Bedarfe der jungen Menschen gleichzeitig ein unterschiedliches Verständnis von dem offenbarte, was unter Selbsthilfe zu verstehen ist. Die Bandbreite reichte vom positiven Effekt des Erlebens von Miteinander in der Gruppe bis hin zum praktischen Austausch von Informationen und einer beratenden Funktion. Einige Teilnehmende hatten zudem ein sehr formales Verständnis, nach dem Selbsthilfe nur das ist, was aktuell als solches durch Krankenkassen förderfähig ist“, stellt Nicole Börner fest. Diese Diskussion über eine übergreifende Vorstellung von Selbsthilfe konnte nicht abschließend geführt werden, soll jedoch an anderer Stelle noch einmal aufgegriffen werden. Dies wurde ebenfalls im vielfachen Wunsch nach weiterer Vernetzung und Zusammenarbeit geäußert.
Bestehende Fördermöglichkeiten für junge Menschen ungeeignet
Eine Hürde auf dem Weg zu flexibleren oder sogar aufsuchenden Selbsthilfeangeboten für Jugendliche sind die derzeitigen Förderstrukturen. Die Förderung der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe erfolgt hauptsächlich über die Krankenkassen. Grundlage dafür ist der Leitfaden zur Selbsthilfeförderung des GKV-Spitzenverbandes. Dieser umfasst viele formale Vorgaben, die den Bedarfen junger Menschen entgegenstehen. Alle Anwesenden waren sich somit einig, dass die Anforderungen des Leitfadens niedrigschwelliger sein müssten, um passende Angebote für junge Menschen zu ermöglichen. So wurden beispielsweise die Notwendigkeit eines eigenen Kontos für die Selbsthilfegruppe, die fehlende Förderfähigkeit von Gruppen mit einer anleitenden Person oder das sehr formelle Antragsverfahren als Hürden für junge Menschen identifiziert. Besonders hinderlich ist es auch, dass gemeinsame Freizeitaktivitäten von Selbsthilfegruppen, die junge Menschen besonders ansprechen würden, derzeit gar nicht förderfähig sind. Gedacht sei hier z.B. an einen gemeinsamen Kochnachmittag, den Ausflug ins Schwimmbad oder das Picknick im Park, zu dem die Kiste Limo schon dasteht.
Guter Auftakt – weiterer Dialog gewünscht
„Die Veranstaltung war ein guter Auftakt. Wir konnten viele Impulse sammeln. Als Verband nehmen wir mit, dass wir zunächst grundsätzlich auf den Begriff der Selbsthilfe blicken müssen. Darauf basierend wird es im Gespräch mit den Krankenkassen darum gehen, den Leitfaden zur Selbsthilfeförderung weiterzuentwickeln. Das wird kein leichtes Unterfangen, aber wir erkennen auch bei der AOK PLUS die Bereitschaft, dies anzugehen, um perspektivisch mehr junge Menschen für die Idee der Selbsthilfe zu gewinnen“, resümiert Nicole Börner im Rückblick auf die Veranstaltung.
Die wichtigsten Ergebnisse der Veranstaltung lesen Sie in der Ergebniszusammenfassung des Fachtages
Kontakt
Nicole Börner (Referat Selbsthilfe)
Tel.: 0351 – 828 71 152
E-Mail: nicole.boerner(at)parisax.de