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Soziale Arbeit: Digitale Falldokumentation

Symbole für verschiedene Verwaltungsaufgaben sind neben einem Laptop und daran arbeitenden Händen platziert.

Die Falldokumentation gehört zur Sozialen Arbeit wie das Klient*innengespräch. Sie softwaregestützt umzusetzen, kommt den meisten in den Sinn, wenn von Digitalisierung in der Sozialen Arbeit die Rede ist. Der Kinderland Sachsen e.V. hat diesen Schritt schon lange hinter sich.

In einer Zeit, in der es für fast alles eine Softwarelösung zu geben scheint, erstaunt es umso mehr, wenn soziale Einrichtungen und Dienste ihre Dokumentation ausschließlich auf Papier vornehmen. Doch während die einen noch Stift und Zettel bemühen, dokumentieren die anderen ihre Arbeit am Computer oder auf dem Tablet und Smartphone.

Im Bereich der Hilfen zur Erziehung (HzE) des Kinderland Sachsen e.V. ist die computergestützte Dokumentation bereits seit 2005 üblich. „Bevor wir die Fälle am Computer dokumentiert haben, führten wir sogenannte Dienstbücher. Alle aus dem Team hatten einen eigenen Stil, die Eintragungen vorzunehmen. Wenn man etwas gesucht hat oder Prozesse nachverfolgen wollte, war das sehr umständlich und nur teilweise möglich“, erinnert sich Gundolf Schulz, Leiter der Dresdner Intensivwohngruppe des Kinderland Sachsen und seit fast 40 Jahren als Sozialpädagoge tätig.


Mehr Nachvollziehbarkeit und bessere Übergaben

Er begleitete die Einführung der HzE-Dokumentationssoftware beim Kinderland vor nunmehr 15 Jahren. Hauptmotivation war damals der Aufbau eines geordneten Systems, mit dem man Übergaben besser absichern, Abläufe nachvollziehbar darstellen und die Abrechnung einfacher gestalten kann. Impulse dazu kamen aus dem medizinischen Bereich. In jeder Praxis gab damals schon digitale Patient*innendaten, die es dem Personal dort ermöglichten, individuelle Behandlungsverläufe, Untersuchungsintervalle und Medikamentengaben angezeigt zu bekommen, sobald jemand vorstellig wurde. Gleiches wollte der Träger für die Falldokumentation in den Hilfen zur Erziehung auch erreichen und holte sich Erfahrungen für den Bereich der Jugendhilfe unter anderem bei einer Organisation aus Hamburg.

Die Dokumentationssoftware des Kinderland Sachsen entstand daraufhin in Zusammenarbeit mit einem Softwarehersteller. „Die technische Kompetenz auf der einen Seite und die Sichtweise der Jugendhilfe auf der anderen konnten so miteinander verknüpft werden. Unsere Ideen und Anforderungen bildeten die Grundlage, um eine bereits vorhandene Dokumentationssoftware weiterzuentwickeln. Die praktische Anwendung und die Arbeitsabläufe im Kinderland standen dabei immer im Mittelpunkt“, berichtet Gundolf Schulz.


Die pädagogische Arbeit abbilden

Anhand fester Felder lassen sich mit der Software die verschiedenen Aspekte der Arbeit mit Kindern oder Jugendlichen in den Diensten und Einrichtungen erfassen. Zum einen sind so Entwicklungsanalysen möglich, die in den regelmäßigen Fallbesprechungen unterstützend hinzugezogen werden können und die für die pädagogische Arbeit des Teams hilfreich sind. Zum anderen bilden die Felder die erbrachten Leistungen ab. Neben fachlichen Erwägungen spielen damals wie heute auch rechtliche Gesichtspunkte eine Rolle, die hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit von Prozessen von Belang sein können. Zusätzlich zu den vorgegebenen Feldern wie etwa Familie, Gesundheit und Freizeit können weitere hinzugefügt werden, so dies aus Sicht der Mitarbeiter*innen für den jeweiligen Fall notwendig sein sollte.


Nicht im Raster des Programms denken

Der Einrichtungsleiter sieht die Vereinfachung, die dank der softwaregestützten Dokumentation zweifellos vorhanden ist. Diese Erleichterung und Struktur dürfe jedoch nicht den Blick für die Klient*innen verstellen. Er betont: „Die Fachkräfte müssen sich die Prozesse, die bei den jeweiligen Kindern und Jugendlichen ablaufen, immer wieder bewusst machen, damit man nicht ausschließlich im Raster des Programms denkt. Über der Dokumentation darf man nicht die pädagogische Arbeit vergessen. Soviel Dokumentation wie nötig und so wenig wie möglich.“ Dieses Gleichgewicht hinzubekommen, ist gerade für Berufsanfänger*innen mitunter schwer. Aber auch langjährige Fachkräfte sind nicht davor gefeit, sich in der Dokumentation zu verlieren. Leitungskräfte und das Team als Ganzes sind hier gefordert, das gesunde Mittelmaß immer wieder neu auszuloten.


Software im Dialog weiterentwickeln

Nicht nur die Dokumentation an sich, sondern auch die Tauglichkeit der Software für die tägliche Arbeit ist ein wiederkehrendes Thema in den Teambesprechungen. Denn die Wirklichkeit entwickelt sich weiter - die Software aber nur, wenn dies aktiv geschieht. Deshalb gibt es beim Kinderland Sachsen klare Zuständigkeiten. Die Teams geben ihre fachlich motivierten Änderungshinweise an einen dafür verantwortlichen Kollegen, der sowohl pädagogisch als auch technisch kompetent ist. Er bündelt die Rückmeldungen und sorgt anschließend im Gespräch mit der Softwarefirma dafür, dass die pädagogische Perspektive der Fachkräfte berücksichtig bleibt. Nur so gelingt es, zu einer praxistauglichen Lösung zu gelangen. „Der Kollege ist sozusagen als Übersetzer zwischen Pädagogik und IT tätig. Diese Rolle ist nicht zu unterschätzen und bei derartigen Projekten unabdingbar. Schließlich soll das Ergebnis für die Kolleg*innen eine Unterstützung sein und ihre Arbeit bestmöglich begleiten“, merkt Gundolf Schulz an. Von daher ist es sinnvoll, diesen Prozess kontinuierlich mit einem Budget zu untersetzen, um im Falle notweniger Anpassungen flexibel zu bleiben.


Dokumentation und Selbstreflektion

Die gängige Dokumentation fokussiert auf die Klient*innen und deren Entwicklung. Softwaregestützte Systeme können aber auch Fachkräften den Raum für Selbstreflektion eröffnen und helfen, ihr Befinden in der Arbeit mit den jeweiligen Klient*innen sichtbar zu machen. Eine offene Teamkultur und die freiwillige Nutzung dieser Möglichkeit sind dabei zwingende Voraussetzungen. Gundolf Schulz meint dazu: „Wer seine Rolle schriftlich reflektiert, durchdenkt das eigene Handeln bewusst. Zudem hilft es dem Team und den Leitungskräften, den Kolleg*innen gerade im Umgang mit herausfordernden Kindern und Jugendlichen den Rücken zu stärken. Richtig angewandt sehe ich hier eine Ergänzung zu Instrumenten wie der Supervision, den regelmäßigen Teamsitzungen oder dem Mitarbeiter*innengespräch.“ Insbesondere für jene Bereiche Sozialer Arbeit, die mit hohen psychischen Belastungen für die Mitarbeiter*innen einhergehen, könnte diese Sichtweise auf die Dokumentation neue Perspektiven bieten.


Der Artikel erschien zuerst in der März-Ausgabe 2021 des Magazins anspiel. mit dem Schwerpunkt "Ab jetzt digital?!"