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Sozialpolitisches Streitgespräch: „Bundesdeutsche Negativrekorde werden ausgeblendet!“

Dr. Ulrich Schneider, ein Mann mittleren Allters in dunklem Anzug und mit roter Krawatte, und Prof. Dr. Thomas Lenk, mit braunem Sakko, dunkler Hose und weißen Locken, sitzen an einem Tisch auf einer Bühne.

„Bei den derzeitigen sozialen Zuständen in Deutschland habe ich Angst, dass sich Deutschland selber zerlegt.“ Eine alarmierende Zustandsbeschreibung der sozialen Situation hierzulande gab Dr. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, im Rahmen eines sozialpolitischen Streitgesprächs in der Leipziger Stadtbibliothek am 9. Mai. Auf Einladung des Volkssolidarität Stadtverband Leipzig und der Städtischen Bibliotheken stellte er sein im Februar erschienenes Buch „Kein Wohlstand für alle?!“ vor und diskutierte seine Kernthesen mit Professor Dr. Thomas Lenk, Finanzwissenschaftler an der Universität Leipzig, und dem Publikum.

Schneider hob den zunehmenden Reichtum und Wohlstand in Deutschland bei gleichzeitiger Zunahme der gesellschaftlichen Spaltung und des Maßes an Ungleichheit hervor. „Das hält unser Land nicht weiter aus“, prognostizierte Schneider mit Blick auf die Anzahl der unter der Armutsgrenze lebenden Deutschen, die zunehmende Zahl der Leiharbeiter sowie den wachsenden Niedriglohnsektor. „Außerdem hängt Bildung noch immer vom Elternhaus ab. Wir geraten moralisch in eine Krise“, so Schneider. Soziale Negativrekorde würden in der öffentlichen Diskussion allzu oft ausgeblendet.

Vor diesem Hintergrund forderte Schneider einen schnellen und grundlegenden Kurswechsel in der Sozial- und Steuerpolitik. „Es braucht eine Restauration des Sozialstaates. Wir müssen das Selbstverständliche fordern: Löhne, von denen man leben kann, und Renten, die Altersarmut verhindern.“ Er forderte weiter, das Arbeitslosengeld I hinsichtlich Höhe und Bezugsdauer zu erhöhen. In der gesetzlichen Rentenversicherung solle der Personenkreis der Einzahler auf alle Erwerbstätigen verbreitert werden, um deren Ausgaben zu finanzieren. „Jeder muss als Beitragszahler je nach Leistungsfähigkeit herangezogen werden. Das ist Solidarität.“

In der Diskussion verwies Lenk unter anderem auf unterschiedliche Definitionen von Armut auf Grund von methodischen Problemen statistischer Erhebungen. Schneider ergänzte, so würden viele von Armut betroffene Gruppen in die Armutsbetrachtung nicht mit einbezogen. Beispielhaft nannte er Menschen in Pflege- oder Behinderteneinrichtungen. Lenk erinnerte zudem daran, der klassische Generationenvertrag gehe auf Grund des demografischen Wandels nicht mehr auf. Dies habe die Reformen der gesetzlichen Rentenversicherung notwendig gemacht. Zudem habe sich ein Dilemma abgezeichnet: die Entscheidung zwischen steigenden Beiträgen oder sinkendem Rentenniveau. Zusätzliches Risiko der heutigen Zeit bei Kapitalversicherungen zur privaten Altersabsicherung sei das niedrige Zinsniveau.

Autor: Martin Gey, Volkssolidarität Stadtverband Leipzig e.V.