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Teilhabe am Wohnen: Neue Durchführungsverordnung mit Hürden

Ältere Dame im Rollstuhl blickt aus dem Fenster. (Foto: rawpixel Ltd./ Fotolia.com)

Im April 2024 trat das Sächsische Wohnteilhabegesetz (SächsWTG) in Kraft. Gemeinsam mit einer Durchführungsverordnung (DVO) ersetzt es die bisherigen Regelungen zur Betreuungs- und Wohnqualität im Alter, bei Behinderung und Pflegebedürftigkeit. Das Regelwerk öffnet neue Möglichkeiten. Andererseits finden sich jedoch auch Hürden, die eine Umsetzung in der Praxis erschweren.

Das SächsWTG berücksichtigt die individuellen Bedarfe von Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarfen besser als sein Vorgänger und fördert somit auch deren Selbstbestimmung. Alle Vorgaben zum Einsatz von Fachkräften werden eigentlich durch einen Rahmenvertrag geregelt, der bisher jedoch fehlt. Übergangsweise werden diese Fragen daher in einer Durchführungsverordnung geregelt, die im dritten Quartal 2024 greifen soll.

Fehlender Rahmenvertrag und Notwendigkeit einer DVO

Schon während der Diskussion um das SächsWTG war abzusehen, dass bei Inkrafttreten des Gesetzes ein passender Rahmenvertrag zum Einsatz von Fachkräften fehlen würde. Daher forderten der Paritätische Sachsen und weitere Leistungsanbieter schon früh eine DVO mit realitätsnahen Regelungen zur personellen Ausstattung.

Im Mittelpunkt standen dabei die Anforderungen an die fachliche Eignung der jeweiligen Leitung, der Rahmen für den Fachkrafteinsatz und die Qualifikation als Fachkraft. Zudem sollten Mindestanforderungen für Einrichtungen und anbieterverantwortete ambulant betreute Wohngemeinschaften berücksichtigt werden, in denen Menschen mit Behinderungen leben. Das Fachreferat des Paritätischen Sachsen stand dazu in engem Kontakt mit dem zuständigen Ministerium.

Nun liegt der Entwurf der DVO vor. Das Fachreferat Teilhabe nahm unter Beteiligung der AG Strategisches Verhandlungsmanagement im Paritätischen und der Mitgliedsorganisationen eine erste Bewertung des Entwurfes vor. Die Ergebnisse dieser Betrachtung flossen in eine gemeinsame Stellungnahme der Liga der Freien Wohlfahrtspflege ein.

Flexibler Fachkrafteinsatz künftig möglich

Das zukünftige Heimrecht sieht keine Fachkraftquote vor. Stattdessen soll eine abschließende Aufzählung von sogenannten Vorbehaltsaufgaben bestimmen, welche Tätigkeiten von Fachkräften übernommen und von der Heimaufsicht kontrolliert werden. Die Wohlfahrtsverbände schlugen hierzu gemeinsam vor, Aufgaben wie Organisation, Steuerung, Anleitung und Evaluation der Unterstützungs- und Qualitätsprozesse den Fachkräften vorzubehalten. Auch umfassendere Assistenzleistungen sollen durch Fachkräfte erbracht werden. Diese flexiblere und nicht an eine Fachkraftquote gebundene Lösung soll sicherstellen, dass Fachkräfte gezielt dort eingesetzt werden, wo spezialisierte Unterstützung erforderlich ist. Die Vorschläge finden sich im Entwurf der DVO wieder.

Die DVO sieht eine breitere Anerkennung der Fachkräfte vor, um trotz der sich verschärfenden Fachkraftsituation den gesetzlichen Anspruch der Leistungsberechtigten zu gewährleisten. Neue oder zukünftige Berufe, wie englischsprachige Bachelor-Studiengänge, werden ebenfalls berücksichtigt. Die geplante flexible Handhabung des Fachkräfteeinsatzes stellt sicher, dass spezialisierte Unterstützung genau dort bereitgestellt wird, wo sie am dringendsten benötigt wird. Die Anerkennung neuer Berufe und Studiengänge in der DVO ist ein positiver Schritt, der jedoch konsequent umgesetzt werden muss, um die Fachkräftesituation zu entschärfen.

Bauliche Vorgaben realitätsnah gestalten

Im Gegensatz zum Pflegebereich dürfen Träger der Eingliederungshilfe nur Mieten in Höhe des aktuellen regionalen Mietspiegels erheben. Kosten für technische Anlagen und Bauqualitäten, die über die Normalmieten hinausgehen, tragen die Träger oder die Menschen durch ihre Zuzahlungen selbst. Diese Regelung galt bisher bereits. Durch die erhöhten Anforderungen rechnen die Träger mit enormen Kostenaufwüchsen. An dieser Stelle muss die DVO dringen nachgebessert werden.

Bauliche Vorgaben für Funktions- und Arbeitsräume, Rufanlagen und sanitäre Anlagen führen in den Wohnformen der Eingliederungshilfe zu erheblichen Umbauten und Platzreduzierungen. Nachrüstungen sollten nur dort Pflicht sein, wo sie tatsächlich erforderlich sind. Der Paritätische hat sich daher dafür stark gemacht, dass Umbauten nur in jenen Räumlichkeiten umzusetzen sind, wenn diese von Personen ab einem Pflegegrad drei bewohnt werden sollen.

Für anbieterverantwortete Wohngemeinschaften gibt es derzeit wenig barrierefreien Wohnraum, der über die Kosten der Unterkunft bezahlbar ist. Wohnungen, die den Anforderungen der DVO entsprechen, sind auf dem freien Markt kaum verfügbar. So gibt die DVO beispielsweise vor, dass eine Wohnung für vier Bewohner mit geringem Pflegegrad über zwei sanitäre Anlagen verfügen muss. Dies erschwert die Anmietung deutlich. Hier sollte der individuelle Bedarf der Bewohner*innen leitend sein. Die Vorgaben der DVO sollten hier ebenfalls erst ab dem Pflegegrad drei gelten. Unnötige Kosten ließen sich vermeiden und der Zugang zu ambulanten Leistungen würde erleichtert. Zudem würde der Umzug aus Einrichtungen in Wohngemeinschaften unkomplizierter und mehr Wohnraum stünde dafür zur Verfügung.

Kurz gesagt: Technische und bauliche Vorgaben sollten pragmatisch und bedarfsgerecht gestaltet werden, um finanzielle Belastungen der Träger zu minimieren und den Bewohner*innen gleichzeitig die notwendige Unterstützung zu bieten.

Erste Schritte – weiter Weg

Das SächsWTG markiert einen wichtigen Schritt hin zur Verbesserung der Betreuungs- und Wohnqualität für Menschen mit Behinderungen und Pflegebedürfnissen. Um diesem Anliegen vollständig Rechnung zu tragen, dürfen sowohl das Gesetz als auch die begleitenden Regelungen nicht stehen bleiben. Bereits jetzt lässt sich absehen, dass die vorhandene Regelungsdichte den Trägern und Nutzer*innen bei der praktischen Umsetzung viel abverlangen wird. Daher sind der Gesetzgeber und vor allem das Sächsische Sozialministerium gefordert, die Regelungen kontinuierlich mit der Praxis abzugleichen, damit das Anliegen des Gesetzes Realität werden kann.

Eine zentrale Forderung bleibt die zügige Verabschiedung eines Rahmenvertrags, der die bestehenden Unsicherheiten beseitigt. Er muss praktikable Regelungen zur personellen Ausstattung enthalten. Das Augenmerk muss dabei auf der fachlichen Eignung von Leitungspersonen und der Qualifikation des Fachpersonals liegen. Diesbezüglich wird sich der Paritätische Sachsen weiterhin konstruktiv einbringen.


Kontakt

Anne Cellar (Referat Teilhabe)
Tel.: 0351 - 828 71 150
E-Mail: anne.cellar(at)parisax.de